Behauptet der Patient, er sei von einem Physiotherapeuten beim Einrenken an einer Halsarterie verletzt worden, so muss er folgendes beweisen: Erstens dass der Physiotherapeut ihn einrenkte (und nicht erlaubtermaßen nur mobilisierte) und zweitens, dass eben dieses Enrenken zu seinem Schaden (einer Gefäßwandverletzung mit anschließendem Hirninfarkt) führte. Dabei geht das OLG Hamm davon aus, dass gesunde Arterien nicht durch Mobilisationen verletzt werden können, dass der Kläger bei der Maßnahme des Physiotherapeuten keine Schmerzen als Warnsignal geäußert hat und dass nicht auszuschließen ist, dass der Schaden des Klägers auch auf einer vorgeschädigten Arterie beruhte (OLG Hamm, Urteil vom 19.12.2014 - 26 U 44/14).

Der Fall:

Der Kläger litt unter Verspannungen im Rücken- und Nackenbereich, weshalb ihm physiotherapeutische Behandlungen ärztlich verordnet wurden. Nach der vierten Behandlung verspürte der Kläger linksseitige Lähmungserscheinungen, die auf einem Hirninfarkt beruhten, weil es zu einer Dissektion (Gefäßwandverletzung) der Arterie vertebralis (Wirbelaterie) gekommen war. Der Kläger musste umschulen und verlangt Schadensersatz sowie ein Schmerzensgeld von 110.000 Euro nebst einer monatlichen Schmerzensgeldrente von 100 Euro. Der Kläger meint, dass er den Schlaganfall erlitten habe, weil die ihn behandelnde Physiotherapeutin ein unzulässiges Einrenkmanöver durchgeführt und dabei die Arterie verletzt habe. Zudem sei er über die Risiken der Behandlung nicht hinreichend aufgeklärt worden.

Die Entscheidung:

Das OLG Hamm wies die Klage ebenso wie die Vorinstanz vollständig ab. Es können keinen Fehler feststellen. Aus Sicht des Gerichts habe der Kläger vorliegend nicht nachweisen können, dass er mit einer nur den Ärzten vorbehaltenen Manipulation behandelt worden sei.

Der vom Gericht angehörte Sachverständige machte zu dem Fall folgende Ausführungen, denen sich das Gericht voll anschloss:
Ein Physiotherapeut dürfe einen Patienten mit Verspannungen im Bereich des Nackens und des Rückens mobilisieren. Eine Manipulation, das sog. Einrenken, sei einem Arzt vorbehalten. Die feststellbaren Behandlungsweisen könnten zulässige Mobilisationsbehandlungen gewesen sein, die von der Physiotherapeutin fachgerecht mit einem Probezug, dem Release, begonnen und dann mangels feststellbarer Schmerzäußerungen des Klägers in richtiger Weise fortgesetzt worden sein. Allein der zeitliche Zusammenhang zwischen der Behandlung und der Dissektion mit Hirninfarkt belege keine unzulässige Manipulation, weil die Arterie des Klägers aus Sicht des Sachverständigen bereits vor der Behandlung geschädigt gewesen sein könne.
Einen Aufklärungsfehler sah das Gericht auch nicht. Denn eine gesunde Arterie könne durch eine Mobilisation nicht geschädigt werden. Es gibt also kein Risiko, über das aufgeklärt werden müsste.

Anmerkung:

Die Beweislast für Pflicht Ersetzung und Schaden liegt beim klagenden Patienten. Ebenso hat er zu beweisen, dass der Schaden durch die Pflichtverletzung entstand. Die Beweislast ist eine hohe Hürde. Allein der zeitliche Zusammenhang zwischen der Behandlung durch den Physiotherapeuten und das Eintreten des Hirninfarktes ist dafür sicher ein Indiz, aus Sicht des OLG Hamm ist es aber nicht ausreichend. Denn die Arterie des Klägers könne bereits vorgeschädigt gewesen sein.

Und hier irrt das OLG Hamm hinsichtlich der Beweislast. Ein Vorschaden steht einer Kausalität entgegen. Allerdings ist der Vorschaden eine dem Beklagten günstige Tatsache; daher ist sie von ihm zu beweisen. Dies ist anerkannte Rechtsprechung im Bereich der Unfallversicherung (wo Unfallversicherer regelmäßig einwenden, der Unfallschaden beruhe auf Vorschäden). Im vorliegenden Fall ist nicht erkennbar, wo und wie der Beklagte den Vorschauen beweisen hat. Lediglich hat der Gutachter geäußert, "dass die vom Kläger beklagten Beeinträchtigungen schon ein Hinweis auf eine stattgefunden Beeinträchtigung der Arterie gewesen sein k ö n n e n". Hier hätte das Gericht den Sachverständigen weiter befragen müssen: Wie wahrscheinlich war in der konkreten Situation des Klägers ein Vorschaden? Gab es Anzeichen für den Vorschaden? Wann ist eine Arterie vorgeschädigt? Hier hat es sich das OLG Hamm zu einfach gemacht. Möglicherweise hat aber der Kläger auch nicht hinreichend protestiert gegen diese lapidare "Feststellung" des Gutachters.

Zum Thema:

Rechtsanwalt und Fachanwalt für Medizinrecht Philip Christmann
Vertretung und Beratung im Medizinrecht und Arztrecht
Witzlebenstraße 3 - 14057 Berlin - Tel: (030) 536 47 749
E-mail: mail@christmann-law.de