Ein Arzt darf für eine schmerztherapeutische Erstanamnese mit einer Dauer von 75 Minuten gem. § 6 II GOÄ i. V. m. Nr. 30 GOÄ analog einen Betrag in Höhe von 183,61 € in Ansatz bringen. Denn die Gebührenordnung für Ärzte (GOÄ) sieht für die Erhebung einer schmerztherapeutischen Erstanamnese keine gesonderte Gebührenposition vor. Dass die analog verwendete Gebührenziffer nicht in dem „Verzeichnis der analogen Bewertungen der Bundesärztekammer (Analogverzeichnis)“ aufgeführt ist, ändert daran nichts, denn dieses Verzeichnis ist nicht abschließend (AG Kiel, Urteil vom 12.03.2015 - 115 C 469/14). Nach Nr. 34 GOÄ analog kann der Arzt die schmerztherapeutische Erstanamnese dagegen nicht abrechnen.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Klage hat in der Sache keinen Erfolg.

Der Kläger (Patient) hat gegen den Beklagten (Arzt) keinen Anspruch auf anteilige Rückzahlung eines Betrages in Höhe von 122,40 € aus der Rechnung vom 03.12.2013 gemäß § 812 Abs. 1 BGB. Denn die Zahlung des vorbezeichneten Rechnungsbetrages durch den Kläger ist nicht ohne Rechtsgrund erfolgt. Vielmehr ist der Beklagte berechtigt gewesen, für die Durchführung der schmerztherapeutischen Erstanamnese einen Betrag in Höhe von 183,61 € anzusetzen und nicht lediglich - dem Vorbringen des Klägers entsprechend - einen Betrag in Höhe von 61,20 €.

Im Einzelnen:

Zur Überzeugung des Gerichts kann für die schmerztherapeutische Erstanamnese, welche der Beklagte im Rahmen seiner ärztlichen Liquidation vom 03.12.2013 abgerechnet hat, gemäß § 6 Abs. 2 GOÄ i. V. m. Nr. 30 GOÄ analog ein Betrag in Höhe von 183,61 € in Ansatz gebracht werden.

Zwar enthält die GOÄ für die Erhebung einer schmerztherapeutischen Erstanamnese keine gesonderte Gebührenposition. Gemäß § 6 Abs. 2 GOÄ können jedoch selbständige ärztliche Leistungen, die in das Gebührenverzeichnis nicht aufgenommen sind, entsprechend einer nach Art, Kosten und Zeitaufwand gleichwertigen Leistung des Gebührenverzeichnisses berechnet werden. Die seitens des Beklagten vorgenommene Heranziehung von Nr. 30 GOÄ begegnet dabei keinen durchgreifenden Bedenken.

Soweit die von dem Beklagten herangezogene Gebührenziffer nicht in dem „Verzeichnis der analogen Bewertungen der Bundesärztekammer (Analogverzeichnis)“ ausgeführt ist, ist zu berücksichtigen, dass für die in dem Verzeichnis aufgenommenen ärztlichen Leistungen lediglich eine Regelvermutung gilt. In diesem Zusammenhang hat die Bundesärztekammer Folgendes ausgeführt:

„Das Analogverzeichnis der Bundesärztekammer ist nicht abschließend [...]. Der Bedarf an Analogen Bewertungen bleibt aber weiterhin. Die verschiedentlich von Kostenträgern vertretene Auffassung, dass mit der GOÄ-Novellierung und der Übernahme der von der Bundesärztekammer empfohlenen Analogpositionen Analoge Bewertungen überflüssig seien, ist nicht zutreffend. Der medizinische Fortschritt hält sich weder an Novellierungszeiträume der GOÄ noch an Erscheinungstermine der Ergänzungen des Analogverzeichnisses der Bundesärztekammer. Hinzu kommt, dass das Analogverzeichnis der BÄK niemals abschließend ist, weil - der Beratungsgang im Gebührenordnungsausschuss und der Vorstand der Bundesärztekammer sowie das oben dargestellte Verfahren der Abstimmung mit den Kostenträgern nur sukzessive erfolgen kann, - in das Analogverzeichnis nicht alle Vorschläge aufgenommen werden. So enthält das Analogverzeichnis zum Beispiel keine Positionen für Leistungen der so genannten „Außenseitermedizin“ oder Leistungen von allzu speziellem Charakter. [...] Das Recht des Arztes auf eigene analoge Bewertung bleibt aber (unter Berücksichtigung der obigen Kriterien) sowohl mit der „neuen“ GOÄ als auch mit dem Erscheinen des Analogverzeichnisses der Bundesärztekammer GOÄ-ANB / ZKA bestehen. Möglich ist allerdings, dass Kostenträger in ihren vertraglichen Bestimmungen beziehungsweise Beihilferegelungen die Kostenerstattung gegenüber dem Patienten für Analogberechnungen, die nicht im Analogverzeichnis
GOÄ-ANB / ZKA der Bundesärztekammer enthalten sind, ablehnen“ (vgl. Bundesärztekammer, Analoge Bewertungen der GOÄ - eine Einführung, abrufbar unter www.bundesaerztekammer.de).

Hinsichtlich der Frage der Berechtigung der beklagtenseits in Ansatz gebrachten Gebührenposition der Nr. 30 GOÄ analog für die streitgegenständliche schmerztherapeutische Erstanamnese ist der Umstand zu berücksichtigen, dass nach der gefestigten Rechtsmeinung in der Kommentarliteratur die Nr. 30 GOÄ - lediglich - für die Erhebung einer schmerztherapeutischen Erstanamnese bei chronisch Schmerzkranken durch entsprechend qualifizierte Ärzte entsprechend berechnet werden kann (Brück, Standardkommentar zur GOÄ, Band 1, 30. Auflage, Stand 01.06.2014, Nr. 30, Rn. 2; Hermanns/Filler/Roscher, GOÄ 2012, 6. Auflage, S. 124; Pieritz, Deutsches Ärzteblatt 2014, A 1267). Dabei ist jedoch Voraussetzung, dass - wie es für die homöopathische Anamnese zutrifft - die betreffende Anamneseleistung im Regelfall mindestens eine Stunde dauert. Vorliegend ist der Anwendungsbereich demgemäß eröffnet, da die Anamneseerhebung durch den Beklagten 75 Minuten gedauert hat.

Soweit der Kläger im Rahmen einer Analogbewertung nicht auf Nr. 30 GOÄ, sondern vielmehr auf die Nr. 34 GOÄ abstellen will, kommt zur Überzeugung des Gerichts jene Gebührenziffer nicht in Betracht, zumal Nr. 34 GOÄ, die „Erörterung der Auswirkungen einer Krankheit auf die Lebensgestaltung in unmittelbarem Zusammenhang mit der Feststellung oder erheblichen Verschlimmerung einer nachteilig lebensverändernden oder lebensbedrohlichen Erkrankung - ggf. einschließlich Planung eines operativen Eingriffs und Abwägung seiner Konsequenzen und Risiken - einschließlich Beratung - ggf. unter Einbeziehung von Bezugspersonen“ zum Gegenstand hat. Voraussetzung für eine Anwendbarkeit jener Gebührenziffer ist damit eine bereits erfolgte Anamnese. Unter dem 28.10.2013 hat sich der Kläger bei dem Beklagten jedoch erstmalig wegen heftiger Cluster-Kopfschmerz-Attacken vorgestellt, so dass alsdann hierauf eine (Erst-)Anamnese durch den Beklagten veranlasst worden ist.

Der Beklagte hat auch die von ihm erbrachten Leistungen im Einzelnen auch substantiiert dargelegt. Das Bestreiten mit Nichtwissen durch den Kläger ist insoweit nicht zulässig und angesichts dessen auch nicht berücksichtigungsfähig.

Schließlich begegnet auch der Ansatz des Steigerungsfaktors von 3,5 durch den Beklagten vorliegend keinen durchgreifenden Bedenken. Gemäß § 5 Abs. 2 Satz 1 und Satz 2 GOÄ sind innerhalb des Gebührenrahmens die Gebühren unter Berücksichtigung der Schwierigkeit und des Zeitaufwandes der einzelnen Leistungen sowie der Umstände bei der Ausführung nach billigem Ermessen zu bestimmen. Die Schwierigkeit der einzelnen Leistung kann auch durch die Schwierigkeit des Krankheitsfalles begründet sein. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Bestimmung des § 5 Abs. 2 Satz 1 GOÄ dem Arzt bei der Ermittlung bzw. Festsetzung der Gebühren sowie im Rahmen der Anwendung der Bemessungskriterien einen Entscheidungspielraum zugesteht, der nur einen eingeschränkten gerichtlichen Kontrolle unterliegt. Umstände, welche die Bestimmung des Steigerungssatzes durch den Beklagten vorliegend als unbillig erscheinen lassen könnten, sind nicht vorgetragen. Demgegenüber hat der Beklagte substantiiert zu den Voraussetzungen des in Ansatz gebrachten Steigerungssatzes vorgetragen. So hat der Beklagte bereits in der ärztlichen Liquidation vom 03.12.2013 zur Begründung eine komplexe und schwierige differenzialdiagnostische und therapeutische Erörterung, erschwerte Behandlung durch psychosoziale Faktoren sowie einen chronischen Verlauf angeführt Darüber hinaus hat der Beklagte mit Schriftsatz vom 23.01.2015 zu den Bemessungskriterien - Schwierigkeit und Zeitaufwand der einzelnen Leistungen, Schwierigkeit des Krankheitsfalles sowie Umstände der Ausführung - im Einzelnen eingehend vorgetragen.

Angesichts der Unbegründetheit der Hauptforderung besteht auch kein Anspruch auf die geltend gemachten Zinsen.

Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 91 Abs. 1, 708 Nr. 11, 711, 713 ZPO.

Praxishinweis:

Die Entscheidung zeigt, dass eine sorgsam dokumentierte und begründete Leistung analog anrechenbar ist. Gerade Ärzte, die zeitaufwändige Leistungen erbringen, die sich im Gebührenverzeichnis der GOÄ nicht direkt abbilden, erhalten so eine Möglichkeit, z.B. zeitintensive komplementärmedizinische Leistungen zu erbringen. Dies ist letztlich auch zum Vorteil des Patienten. Denn wenn der Arzt komplexe Leistungen - wie hier bei der Behandlung starker Kopfschmerzen - nicht abrechnen kann, wird er sie auch nicht erbringen wollen.  

Zum Thema:

Rechtsanwalt und Fachanwalt für Medizinrecht Philip Christmann
Vertretung und Beratung im Medizinrecht und Arztrecht
Witzlebenstraße 3 - 14057 Berlin - Tel: (030) 536 47 749
E-mail: mail@christmann-law.de