Die Staatsanwaltschaft ermittelt gegen Ärzte der Uniklinik Heidelberg wegen des Vorwurfs der fahrlässigen Körperverletzung. Sie sollen schwer kranken Patienten wichtige Herzmittel nicht gegeben haben. Was ist an dieser Geschichte dran? Und was bedeuten die Ermittlungen für die Patienten, die in Heidelberg oder anderswo kein Spenderherz erhielten? Der Faktencheck.

Die Meldung:

Im Herztransplantationszentrum der Uniklinik Heidelberg manipulierten Ärzte die Warteliste für Patienten, indem sie schwer herzkranken Patienten bewusst wichtige, die Herzmuskeln stärkende Arzneimittel nicht gaben. Dadurch sollten die Patienten schneller an ein Spenderherz kommen. Wie die Uniklinik durch ihren ärztlichen Direktor Adler mitteilte, gehe es um 33 Fälle in den Jahren 2010 und 2011. Ob andere Schwerkranke deshalb später als berechtigt an ein Spenderherz kamen, sei nicht geklärt. "Es ist extrem schwer nachweisbar, dass irgendein anderer Patient dadurch einen Schaden erlitten hat", sagte Adler. Die Staatsanwaltschaft ermittelt. Im Heidelberger Herztransplantationszentrum, das zu den größten in Deutschland gehört, wurden laut Uniklinik seit 1989 mehr als 500 Spenderherzen verpflanzt.

Der Faktencheck:

Einem schwer herzkranken Patienten wichtige Mittel nicht verabreichen stellt einen groben Behandlungsfehler dar. Dabei kann es den Arzt nicht entlasten, dass er meint, damit ein höheres Ziel (Zuteilung eines Spenderherzens für den Patienten) verfolgt zu haben. Denn zum einen ist der Erhalt des Spenderherzens damit auch nicht gesichert. Zum anderen kann der Patient ja auch vor Erhalt des Spenderherzens in Folge der (nicht ordnungsgemäß behandelten) Herzerkrankung versterben oder noch schwerer am Herzen erkranken oder sonstige gesundheitliche Nachteile erleiden. 

Das Verhalten der Ärzte lässt nach alledem eher den Schluß zu, dass nicht die Interessen der Patienten entscheidungsleitend waren sondern der Wunsch der Ärzte, die für die Klinik äußerst lukrativen Transplantationsoperationen durchzuführen und/oder die wichtigen OP-Erfahrungen zu sammeln. Und dann stellt sich auch die Frage, inwiefern die Klinikdirektion von den Vorgängen Kenntnis hatte oder diese sogar gefördert oder angeordnet hat.

Da nicht erkennbar ist, warum die Praxis 2011 beendet worden sein soll, ist kritisch zu fragen, ob auch zwischen 2012 und August 2015 (als die Klinik selbst Anzeige gegen Unbekannt stellte) dieses Verfahren eingesetzt wurde. Man muss dabei bedenken, dass die Klinik das Strafverfahren nicht von sich aus losgetreten hat. Vielmehr tat sie dies erst, nachdem die bei der Bundesärztekammer angesiedelte Prüfungs- und Überwachungskommission Unregelmäßigkeiten bei der Medikamentengabe und der Dokumentation festgestellt hatte.

Wichtige Teile des Falles liegen noch im Dunkeln: Wer wurde durch dieses Behandlungsverfahren benachteiligt? Zum einen können andere Herzpatienten der Uniklinik benachteiligt worden sein, weil sie durch die manipulative Bevorzugung anderer Patienten kein Spenderherz erhielten. Zum anderen könnten Patienten anderer Herzkliniken auf diese Weise benachteiligt worden sein. Schließlich können auch die manipulierten Patienten selbst benachteiligt worden sein, wenn sie trotz der unterlassenen Behandlung mit dem Arzneimittel zur Stärkung ihres kranken Herzens kein Spenderherz erhalten haben und dadurch andere gesundheitliche Nachteile erlitten.  

Da unzweifelhaft ein grober Behandlungsfehler vorliegt, vereinfacht sich für die letztgenannten Patienten, die auf Schadensersatz und Schmerzensgeld klagen wollen, die Beweislage erheblich zu ihren Gunsten (sog. Beweislastumkehr). Insofern ist der Satz Adlers, wonach es extrem schwer nachzuweisen sei, dass irgendein anderer Patient dadurch einen Schaden erlitten hat, mit Vorsicht zu geniessen. Der Jurist würde diesen Satz so nicht unterschreiben. Soll hier etwa potentiellen Klagen der Patienten, die gar kein Herz erhalten haben, der Wind aus den Segeln genommen werden?

Wie steht es aber mit den Chancen auf Schadensersatz der nicht unmittelbar betroffenen Patienten, die auf Grund der Manipulation in der Liste der Empfänger nach hinten rutschten und gar kein Spenderherz erhielten? Die Justiz hat bisher den Nachweis gefordert, dass diese Patienten durch die Manipulation geschädigt wurden. Dieser Nachweis ist tatsächlich schwer zu führen, weil er ein medizinisches Fachgutachten erfordert, das die Transplantationsbedürftigkeit zweier Patienten vergleicht und zu dem Ergebnis kommt, dass der leer ausgegangene Patient ein Spenderherz mehr benötigte als der manipulierte Patient, der das Spenderherz erhalten hat. Hier sollte die Justiz im Sinne des Patienten die o.g. Beweislastumkehr, die streng genommen nur dem manipulierten Patienten zu Gute kommt, erweitern: Steht fest, dass der Arzt durch einen groben Behandlungsfehler Patienten X bevorzugt hat, so sollte die Beweislastumkehr auch dem Patienten Y, der deshalb kein Spenderherz erhielt, möglicherweise aber das Spenderherz mehr benötigte, zu Gute kommen; der Arzt müsste dann nachweisen, dass X das Herz mehr benötigte als Y. Diese Erweiterung der Beweislast würde dem Gericht nicht nur mühselige Sachverständigengutachten ersparen und Patient Y nicht mehr der Gefahr einer tendeziell kollegenschützenden Begutachtung aussetzen (Krähentheorie). Es würde auch einen erheblich abschreckenden Effekt auf alle transplantierenden Ärzte haben und damit einen effektiven Schutz der Patienten für die Zukunft bedeuten.   

Was sollen betroffene Patienten nun tun?

Strafrechtlich sollten sich die Patienten oder deren Angehörige nicht zu viele Hoffnungen machen. Das Landgericht Göttingen sprach kürzlich einen transplantierenden Chirurgen, der Daten von Leberpatienten manipulierte, von Vorwurf der Tötung frei (LG Göttingen, Urteil vom 06.05.2015 - 6 Ks 4/13). Der Arzt habe zwar ärztliche Regeln gebrochen, sich aber nicht strafbar gemacht. 

Interessant ist aber die Frage, ob den Patienten Schadensersatz- und Schmerzensgeldansprüche zustehen:

Patienten der Uniklinik Heidelberg der Jahre 2011 bis 2015, die "leer ausgegangen" sind, sollten die Klinik schriftlich Einsicht in ihre Behandlungsakten fordern. Nach Abschluss der Ermittlungen der Staatsanwaltschaft können sie Strafanzeige bei der Polizei stellen und über einen Rechtsanwalt schriftlich Einsicht in die Ermittlungsakten fordern, § 406 e StPO. So kann geprüft werden, ob eine Benachteiligung vorliegt. 

Angehörige von Patienten, die - unabhängig von der behandelnden Klinik - in diesem Zeitraum kein Spenderherz erhielten und verstorben sind, sollten ebenso vorgehen. Denn Spenderherzen werden nicht regional verteilt, sondern europaweit. Insofern kann auch ein bayrischer oder norddeutscher Patient von den Manipulationen in Heidelberg betroffen sein. 

Wegen der Verjährung zivilrechtlicher Ansprüche (§§ 195 ff. BGB) müssen sich Patienten erst sorgen, wenn sie von Schaden und Schädiger Kenntnis erlangt haben. Damit kann die Verjährungsfrist frühestens beginnen, nachdem der Patient Akteneinsicht in die Behandlungsakte erhielt und nach rechtlicher Prüfung einen Anspruch bejahte oder hätte bejahen müssen.

Rechtsanwalt und Fachanwalt für Medizinrecht Philip Christmann
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