Ist ein augenärztlicher Zweiteingriff (hier: Entfernung des nach einer Netzhautablösung eingebrachten Silikonöls) mit dem sehr seltenen, aber besonders gravierenden Risiko des nahezu vollständigen Verlusts des Sehvermögens behaftet, muss der Patient darüber aufgeklärt werden (OLG Koblenz, Urteil vom 21.10.2015 - 5 U 602/15).
Falls der aufklärende Arzt das konkrete Gespräch mit dem Patient nicht erinnert, aber überzeugend schildert, welche Risiken er bei einem derartigen Zweiteingriff immer anspricht, kann das dem Richter die Überzeugung umfassender Aufklärung auch dann vermitteln, wenn die Behandlungsseite zuvor die schriftlich dokumentierte, weniger weitreichende und nach Auffassung des Gerichts unvollständige Aufklärung (hier: bloßer Hinweis auf Gefahr der "Augenverletzung") als ausreichend qualifiziert hatte, der aufklärende Arzt jedoch als Zeuge glaubhaft bekundet, dass er den drohenden Verlust des Sehvermögens stets erwähnt, dies jedoch immer nur mit dem Kürzel "Verl. des Auges" dokumentiert.
Abstract:
Die Patientin warf der behandelnden Klinik in der Berufung vor, sie nicht über die Risiken einer Silikonölentfernung (hier: Verlust der Sehkraft) aufgeklärt zu haben. Ein Aufklärungsgespräch hatte sie zugestanden. Es war aber streitig, was in diesem Gespräch besprochen wurde. Es lag ein Aufklärungsformular vor, das von der Patientin unterschrieben worden war und in dem sich der handschriftliche Hinweis "Verletzung des Auges" fand. Das Gericht hörte die behandelnde Augenärztin als Zeugin an, die sich zwar nicht mehr an das konkrete Aufklärungsgespräch mit der Patientin erinnern konnte, aber angab, immer über das Risiko einer Verletzung des Auges aufzuklären. Das Gericht schenkte der Zeugin Glauben und wies die Berufung der Patientin zurück.
Anmerkung:
Die Entscheidung verdeutlicht für den Arzt, dass es wichtig ist, ein Gespräch über die Risiken mit dem Patienten zu führen und dass er ein Formular verwenden soll. Ratsam ist es auch - wie hier - zu den wichtigsten Risiken handschriftliche Vermerke in dem Formular aufzunehmen. In einem Rechtsstreit kann sich der Arzt dann auch darauf berufen, immer so aufzuklären. Im Zweifel wird ihm dann vom Gericht Glauben geschenkt.
Für den Patienten bedeutet dies, dass er sich für das Lesen des Aufklärungsformulars Zeit nehmen soll. Keinesfalls sollte er es lediglich flüchtig lesen. Er soll auch Fragen stellen. Sinnvoll ist es, zu dem Gespräch einen Zeugen mitzunehmen und das Formular nur zu unterzeichnen, wenn auch ein Gespräch über Risiken stattgefunden hat. Hat kein Gespräch stattgefunden, sondern wurde dem Patienten das Formular lediglich zur Durchsicht übergeben, so dass er danach Fragen stellen kann, sollte der Patient das Formular nicht unterzeichnen oder er unterzeichnet es mit dem Hinweis "Formular mit Arzt nicht besprochen".
1. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Landgerichts Trier vom 29.04.2015, Az. 4 O 506/13 wird zurückgewiesen.
2. Die Klägerin trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin ist berechtigt, die Vollstreckung der Klägerin durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des vollstreckbaren Betrages abzuwenden, wenn nicht die Klägerin zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
4. Die Revision gegen dieses Urteil wird nicht zugelassen.
Gründe:
Der Fall:
I. Die Klägerin begehrt von der Beklagten ein in das Ermessen des Gerichtes gestelltes Schmerzensgeld - wobei sie 60.000 € für angemessen erachtet -, wegen einer behaupteten fehlerhaften ärztlichen Behandlung und Aufklärung, wobei sie erstinstanzlich auch noch den Ersatz von vorgerichtlichen Rechtsverfolgungskosten verlangte.
Aufgrund einer akuten Netzhautablösung rechts wurde am 12.03.2010 im Krankenhaus der Beklagten eine operative Glaskörperentfernung durchgeführt, wobei das rechte Auge mit Silikonöl aufgefüllt wurde. Die Operation verlief komplikationslos. Am 24.09.2010 fand die Silikonölentfernung statt, nachdem die Klägerin am Vortag erneut aufgenommen wurde. Während vor dem zweiten Eingriff noch eine Sehschärfe von 60% vorlag, betrug diese postoperativ lediglich 2 - 3%, was die Klägerin auf eine vermeidbare Verletzung des Sehnervs zurückführt. Vor beiden Eingriffen fand jeweils ein Aufklärungsgespräch statt, über dessen Inhalt die Parteien streiten. Die Klägerin wirft der Beklagten vor, auf die Möglichkeit des Verlustes ihres Augenlichtes nicht hingewiesen worden zu sein. Eine Besserung des Zustandes ist nicht mehr zu erwarten.
Das sachverständig beratene Landgericht hat die Klage ohne Zeugenvernehmung oder Anhörung der Klägerin zur Aufklärung abgewiesen. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme sei ein Behandlungsfehler nicht festzustellen. Der nahezu gänzliche Verlust der Sehschärfe sei schicksalhaft. Es könne im Übrigen dahinstehen, ob eine ordnungsgemäße Aufklärung stattgefunden habe, da jedenfalls von einer mutmaßlichen Einwilligung auszugehen sei.
Hiergegen richtet sich die dem Grunde nach auf den Einwand einer unzureichenden Aufklärung und der Höhe nach auf den immateriellen Schadensersatzanspruch beschränkte Berufung der Klägerin. Das Landgericht verletzte das Selbstbestimmungsrecht der Klägerin, wenn es von einer mutmaßlichen Einwilligung ausgehe. Dabei sei unerfindlich, woher das Landgericht seine Erkenntnisse beziehe. Es sei lediglich über die Verletzung, nicht aber über den Verlust des Sehvermögens aufgeklärt worden, wie sich aus den Krankenunterlagen ergebe.
Die Klägerin beantragt, unter Änderung des angefochtenen Urteils des Landgerichtes Trier vom 29.04.2015, 4 O 506/13, die Beklagte zu verurteilen, an sie ein der Höhe nach in das Benehmen des Gerichts gestelltes Schmerzensgeld nebst Zinsen von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie verteidigt die angefochtene Entscheidung unter Bezugnahme auf ihr erstinstanzliches Vorbringen. Es habe schon keine Aufklärungspflicht dahin bestanden, dass es bei der Silikonölentfernung aus wissenschaftlich nicht nachvollziehbaren Gründen in äußerst seltenen Fällen zu einem Verlust des Augenlichtes kommen könne. Ungeachtet dessen sei über diese Gefahr aufgeklärt worden.
Der Senat hat ergänzend Beweis erhoben durch Vernehmung einer Zeugin und die Klägerin persönlich angehört.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Tatbestand der angefochtenen Entscheidung sowie die zwischen den Parteien im Berufungsverfahren gewechselten Schriftsätze verwiesen.
Die Entscheidung:
II. Die zulässige Berufung ist unbegründet. Das Landgericht hat die Klage jedenfalls im Ergebnis zu Recht abgewiesen. Zur Vermeidung von Wiederholungen wird auf die Entscheidung des Landgerichts Bezug genommen, soweit darin ein Behandlungsfehler verneint wird.
Die im Übrigen gegen das Urteil erhobenen Angriffe der Berufung überzeugen den Senat nach dem Ergebnis der ergänzenden Beweisaufnahme nicht.
1. Die Klägerin hat ihren erstinstanzlichen Vorwurf einer fehlerhaften ärztlichen Behandlung - nach dem Ergebnis der erstinstanzlichen Beweisaufnahme zu Recht - im Berufungsverfahren nicht wiederholt. Zwar bezeichnet die Klägerin die diesbezüglichen Ausführungen des Landgerichtes als „falsch“, führt insoweit aber keinen Berufungsangriff im Sinne des § 520 Abs. 3 ZPO.
2. Die Klägerin vermag jedenfalls im Ergebnis auch mit dem Einwand einer mangelhaften Aufklärung als Grundlage ihres Schadensersatzbegehrens nicht durchzudringen.
Zutreffend rügt die Klägerin allerdings, dass das Landgericht seine Entscheidung auf die Annahme einer hypothetischen Einwilligung stützt. Feststellungen darüber, wie sich ein Patient bei ausreichender Aufklärung entschieden hätte, und ob er in einen Entscheidungskonflikt geraten wäre, darf der Richter nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung grundsätzlich nicht ohne persönliche Anhörung des Patienten treffen; ein Ausnahmefall kann vorliegen, wenn schon die unstreitigen äußeren Umstände eine sichere Beurteilung der hypothetischen Entscheidungssituation erlauben (BGH NJW 2015, 74; BGH VersR 2005, 694; BGH VersR 1990, 1238, 1240 jeweils m. w. N.). Zwar hat das Landgericht die Klägerin in der mündlichen Verhandlung informatorisch angehört, dabei aber die Frage der Aufklärung wie der hypothetischen Einwilligung nicht angesprochen. Unstreitige äußere Umstände lassen vorliegend keine sichere Beurteilung zu. Aus dem Umstand, dass in das Augeninnere appliziertes Silikonöl üblicherweise nach einiger Zeit wieder entfernt wird, kann dies nicht hergeleitet werden, da nach den Ausführungen des Sachverständigen durchaus auch eine andere Verfahrensweise denkbar ist.
Der Senat geht - worauf er hingewiesen hat - angesichts der gravierenden Folgen für den Alltag des Patienten davon aus, dass über die Gefahr eines vollständigen Verlustes des Auges aufzuklären ist. Er sieht sich insoweit in Übereinstimmung mit dem Sachverständigen. Insoweit ist den - hypothetischen - Überlegungen der Beklagten, dass auch eine Aufklärung „nur“ über eine Verletzung des Auges ausreicht, zu widersprechen. Dass es bei der Silikonentfernung zum Verlust des Sehvermögens - auch aus unerklärlichen Gründen - kommen kann, war der Beklagten bekannt. Der Sachverständige Prof. Dr. W. führte in seiner persönlichen Anhörung aus, dass über solche Fälle immer wieder berichtet wird.
Nach dem Ergebnis der ergänzenden Beweisaufnahme ist der Senat überzeugt (§ 286 ZPO), dass eine ordnungsgemäße Aufklärung stattgefunden hat. Daher kommt es auf die Frage der hypothetischen Aufklärung nicht an.
Für eine hinreichende Aufklärung ist der Arzt darlegungs- und beweispflichtig. In ihrer Vernehmung hat die Zeugin Dr. med. C. zunächst eingeräumt, sich an das Aufklärungsgespräch mit der Klägerin nicht mehr konkret zu erinnern, und dies nachvollziehbar mit der Vielzahl der Aufklärungsgespräche begründet. Sie hat dann geschildert, wie sie „immer“ aufklärt, insbesondere dargelegt, dass ihre handschriftlichen Eintragungen im Vermerk über das Aufklärungsgespräch stets das wiedergeben, was in besonderer Weise besprochen wurde, und dass sie nie Dinge handschriftlich vermerkt, die nicht besprochen wurden. Auf Vorhalt des Vermerkes über das Aufklärungsgespräch hat sie ihre Handschrift und ihre Unterschrift erkannt. Sie hat weiter dargelegt, dass sie im Rahmen der Aufklärungsgespräche sowohl die Möglichkeit der Verletzung des Auges anspricht als auch über das Risiko des Verlustes des Auges belehrt. Bezogen auf den Aufklärungsvermerk erkannte sie ihre Unterschrift und hat die Abkürzung „Verl. des Auges“ mit beiden Aufklärungsaspekten in Verbindung gebracht. Sie ist nicht deshalb durchgreifend in Frage gestellt, dass die Zeugin das Risiko des Verlustes des Auges als gering darstellte. Das entspricht den Ausführungen des Sachverständigen. Die Zeugin hat weiter bekundet, dass sie davon ausgeht, der Klägerin auch die schriftliche Patientenaufklärung, nicht aber eine Kopie des Vermerkes über die Aufklärung und den Anamnesefragebogen gegeben zu haben. Das hat sie nachvollziehbar dahin erklärt, dass es sich ursprünglich um ein einheitliches Formular handele, der Aufklärungsbogen von den Ärzten nicht benötigt werde und er sich anderenfalls noch bei der Patientenakte hätte finden müssen.
Ausgehend hiervon ist der Nachweis einer ordnungsgemäßen Aufklärung geführt. Im Zweifel ist den Angaben des Arztes, dass eine Risikoaufklärung erfolgt ist, zu glauben, wenn seine Darstellung in sich schlüssig ist und einiger Beweis für ein Aufklärungsgespräch erbracht worden ist. Das setzt voraus, dass unstreitig oder nachgewiesen ist, dass zwischen dem Arzt und dem Patienten ein Gespräch stattgefunden hat, in dem über den Eingriff gesprochen wurde (OLG Naumburg NJW-RR 2015, 794; Martis/Winkhart, Arzthaftungsrecht, 3. Aufl., Anm. A 2273 m. w. N.).
Anhaltspunkte, der Zeugin nicht zu folgen, insbesondere ihre Glaubwürdigkeit in Frage zu stellen, sind nicht ersichtlich. Die Bekundungen der Klägerin waren nicht geeignet, die Ausführungen der Zeugin in Zweifel zu ziehen. Nachdem die Klägerin in der Klageschrift das Aufklärungsgespräch mit der Zeugin noch eingeräumt hatte, konnte sie sich jetzt nicht mehr daran erinnern. Das ist nach der vergangenen Zeit erklärlich, stellt aber die Durchführung des Gespräches nach dem schriftlichen Geständnis (§ 288 ZPO) nicht in Frage. Der Senat hat ausdrücklich darauf hingewiesen, dass er die vielen Erinnerungslücken der Klägerin nicht dahin versteht, dass das Aufklärungsgespräch als solches bestritten wird und dass die Klägerin nicht ausschließen kann, dass ein Aufklärungsgespräch stattgefunden hat. Dem hat sie nicht widersprochen.
Die Klägerin hat in ihrer Anhörung eingeräumt, dass sie „etwas Schriftliches“ vor der Silikonölentfernung erhalten hat, dies lesen und unterschreiben sollte. Sie musste im Laufe der Anhörung einräumen, dass die Übergabe auch nicht unmittelbar vor dem Eingriff, sondern am Vortag geschah. Sie konnte sich auf Vorhalt der Patienteninformation lediglich nicht daran erinnern, sie gelesen zu haben, ohne dies ausschließen zu können. Auch das ist nachvollziehbar, nachdem sie bekundete, die Informationen nur flüchtig gelesen zu haben, was sie aber der Beklagten nicht mit Erfolg vorwerfen kann. Es fällt dabei erheblich ins Gewicht, dass die Klägerin bestätigte, dass die Unterschrift auf dem Aufklärungsvermerk von ihr stammt. Dort ist angekreuzt, dass sie die Patienteninformation erhalten hat.
Die Klägerin bestreitet nicht, auch schon in dem Aufklärungsgespräch vom 12.03.2010 zur Primäroperation auf die Möglichkeit der Verletzung oder des Verlustes des Auges aufgeklärt wurde. Warum die Zeugin diesen Umstand im zweiten Aufklärungsgespräch unterschlagen sollte, erschließt sich nicht.
Nach alledem kann die Klägerin mit der Aufklärungsrüge nicht durchdringen. Auf die Frage der hypothetischen Einwilligung kommt es damit nicht mehr an.
3. Gründe die Revision zuzulassen sind nicht zu ersehen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
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