Das OLG Köln hat einer Patientin ein Schmerzensgeld in Höhe von 20.000 Euro wegen dauerhaften Haarverlusts nach einer Chemotherapie zugesprochen, da sie durch die Klinikärzte über die Risiken des verwandten Krebsmedikamentes unzureichend aufgeklärt worden war (OLG Köln, Urteil vom 21.3.2016 - 5 U 76/14).

Das Risiko eines dauerhaften Haarverlustes bei Verwendung des Chemotherapeutikums liegt bei 3,2 %. Über dieses Risiko klärten die Ärzte die an Brustkrebs leidende Patientin nicht auf. Das OLG sprach der Patientin, die nun fast vollständig haarlos ist, ein Schmerzensgeld von EUR 20.000 zu.

Anmerkung:

Interessant ist an diesem Urteil zweierlei.

Was wiegt für den Patienten schwerer - Haarverlust oder Tod?

Zum einen blieb der Einwand der Klinik, dass sich die Patientin auch bei vollständiger Aufklärung für die Chemotherapie mit dem Medikament entschieden hätte, ohne Erfolg (sog. hypothetische Aufklärung). Das OLG kam nach langer Befragung der Patientin zu dem Ergebnis, dass es plausibel sei, dass sie sich im Fall einer vollständigen Aufklärung in einem sog. "echten Entscheidungskonflikt" befunden hätte. Es sei nicht sicher, dass sich die Patientin bei der Abwägung zwischen einer abstrakten höheren Überlebenswahrscheinlichkeit mit dem Medikament und dem geringen aber konkreten Risiko des dauerhaften Haarverlustes auch bei vollständiger Aufklärung für diese Therapie entschieden hätte.

Hier fragt sich, wie genau das Gericht zu dem Schluss kam, dass die Patientin bei Kenntnis des Risikos des Haarverlusts an der Durchführung der (lebensverlängernden, möglicherweise lebensrettenden) Chemotherapie gezweifelt hätte. Und was waren die Alternativen? Hier warte ich mit Interesse auf die Urteilsgründe.

Schmerzen sind den Gerichten wenig wert

Zum anderen ist das zugesprochene Schmerzensgeld sehr niedrig. Dabei ist zu berücksichtigen, dass es bei der Klägerin zu erheblichen und nachhaltigen psychischen Folgen und seelischen Belastungen aufgrund des Haarverlustes gekommen ist, was das OLG auch „schmerzensgelderhöhend“ bewertet hat. Mit anderen Worten gewährt das OLG einer Patientin, die „nur“ alle Haare dauerhaft verliert, weniger als EUR 20.000. Weder der eine noch der andere Betrag sind aber geeignet, dem Betroffenen eine wirkliche Kompensation für die erlittenen immateriellen Beeinträchtigungen zu gewähren. Der Verlust der Deckhaare ist schon für Männer oft eine erhebliche Belastung. Für eine Frau ist dagegen der Verlust aller Haare, d.h. auch der Augenbrauen, eine wirkliche Katastrophe.

Die von deutschen Gerichten zugesprochenen Schmerzensgeldbeträge sind schlicht zu niedrig. Die Richter haben mir nicht erklärliche Vorbehalte, Betroffenen angemessene Schmerzensgelder zuzusprechen.

Die Revision gegen die Entscheidung ist nicht zugelassen worden. Das Urteil ist damit nur mit der sog. Nichtzulassungsbeschwerde beim BGH angreifbar.

Rechtsanwalt und Fachanwalt für Medizinrecht Philip Christmann
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