Stellt ein Arzt einem sterbewilligem Patienten tödliche Medikamente zur Verfügung und unterlässt er es dann den ohnmächtig gewordenen Patienten zu retten, so ist dies zum einen als versuchte Tötung auf Verlangen durch Unterlassen strafbar, zum anderen als Verstoß gegen das BtMG (Hanseatisches Oberlandesgericht, Beschluß vom 08.06.2016 - 1 Ws 13/16).
Abstract:
Das Unterlassen von Rettungsmaßnahmen bei einem freiverantwortlichen Suizid nach zuvor aktiv geleisteter Beihilfe bleibt strafbar. Wenn auch nicht als Totschlag oder Tötung auf Verlangen, so doch zumindest als (geringer bestrafte) versuchte Tötung auf Verlangen. Es gebe zwar Anhaltspunkte für einen gesellschaftlichen Wertewandel hinsichtlich der Akzeptanz ärztlicher Sterbehilfe. Letztlich habe die höchstrichterliche Rechtsprechung zur Strafbarkeit dieser Sterbehilfe aber Bestand. Es bleibt mithin bei der kurios anmutenden Rechtslage, dass der Arzt dem konkret und aus freien Stücken und nach eingehender Überlegung sterbenswilligen Patienten Gift zur eigenen Einnahme zur Verfügung stellen darf, dass er aber nach dem Ohnmächtigwerden des Patienten Hilfe leisten oder hinzurufen muss, wenn er sich nicht strafbar machen will.
Das Hanseatische OLG hat aber die Möglichkeit offen gelassen, den Fall dem Bundesgerichtshof zu einer erneuten höchstrichterlichen Klärung vorzulegen. Dem angeklagten Arzt ging es erkennbar auch darum, hier eine erneute und aktuelle höchtsrichterliche Klärung unter Berücksichtigung möglicherweise veränderter gesellschaftlicher Werte zu erreichen.
Der Fall:
Tenor
1. Auf die sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft Hamburg wird der Beschluss des Landgerichts Hamburg vom 11. Dezember 2015 aufgehoben, soweit mit diesem die Eröffnung des Hauptverfahrens betreffend den Angeschuldigten Dr. S. abgelehnt worden ist, und die Anklage der Staatsanwaltschaft Hamburg vom 5. Mai 2014 (Geschäfts-Nr.: 3490 Js 76/12) hinsichtlich des Angeschuldigten Dr. S. zur Hauptverhandlung zugelassen.
2. Das Hauptverfahren wird vor einer allgemeinen Großen Strafkammer des Landgerichts Hamburg eröffnet.
3. Im Übrigen wird die sofortige Beschwerde verworfen.
4. Die Staatskasse trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens hinsichtlich des Angeschuldigten Dr. K. sowie die notwendigen Auslagen dieses Angeschuldigten.
Gründe
I.
Die Anklageschrift der Staatsanwaltschaft Hamburg vom 5. Mai 2014 legt den Angeschuldigten Dr. S und Dr. K. in zwei tateinheitlich zusammentreffenden Fällen gemeinschaftlich begangenen Totschlag in mittelbarer Täterschaft zur Last. Sie sollen in der Zeit vom 9. September 2012 bis zum 10. November 2012, Dr. K. als Vorsitzender des Vereins St... (St...) e.V. und Dr. S., Facharzt für Neurologie und Psychiatrie, als psychiatrischer Sachverständiger, gemeinsam die zum Tatzeitpunkt 85jährige W. und die 81jährige M. zunächst über die Freiverantwortlichkeit und „Wohlerwogenheit" ihres Sterbewunsches getäuscht haben, indem Dr. S. in einem psychiatrischen Gutachten deren jeweiligen Sterbeentschluss als frei von Mängeln und „wohlerwogen" diagnostiziert habe, obwohl keine vollständige Aufklärung und Beratung über Lebensalternativen erfolgt sei, und die Sterbewilligen sodann durch Bereitstellung tödlicher Medikamente getötet haben. Die Schwurgerichtskammer hat die Eröffnung des Hauptverfahrens mit Beschluss vom 11. Dezember 2015 aus tatsächlichen Gründen abgelehnt. Gegen diesen Beschluss wendet sich die Staatsanwaltschaft mit ihrer sofortigen Beschwerde.
II.
Die gemäß § 210 Abs. 2 statthafte und auch im Übrigen zulässige (§ 311 Abs. 2, § 306 Abs. 1 StPO) sofortige Beschwerde ist begründet, soweit der Angeschuldigten Dr. S. zwar nicht eines Totschlags in mittelbarer Täterschaft, wohl aber einer versuchten Tötung auf Verlangen durch Unterlassen sowie eines Betäubungsmitteldeliktes hinreichend verdächtig ist, im Übrigen aber unbegründet.
1. Der Senat geht aufgrund der bisherigen Ermittlungen von folgendem Tatgeschehen aus:
a) Die 85jährige Frau W. und die 81jährige Frau M., beide kinderlos, alleinstehend bzw. verwitwet, lebten gemeinsam in einer Wohnung in Hamburg. Sie fühlten sich als Schwestern und unterstützten sich gegenseitig. Beide waren politisch interessiert und über aktuelles Geschehen informiert, wobei sie sich vor dem Hintergrund der Finanzkrise Sorgen um einen möglichen Wohnungsverkauf machten. Sie waren wohlhabend, hatten einen großen gemeinsamen Bekanntenkreis, spielten lange bis in ihre 70er Jahre Tennis und besuchten bis wenige Monate vor ihrem Tod ein Fitness-Studio. Darüber hinaus unternahmen sie bis zuletzt zahlreiche Reisen und spielten mehrmals wöchentlich Bridge.
Frau W. war ca. zehn Jahre vor ihrem Tod an Krebs in der Mundschleimhaut erkrankt, der nun erneute Behandlung erforderte. Sie litt an einer Knötchenflechte (hypertropher Lichen ruber), zunächst im Mund, im Todesjahr zudem auch an den Beinen, von wo aus sich die Krankheit über den Körper ausbreitete, schmerzte, juckte und blutete. Sie hatte zudem eine chronische Bronchitis und Herzprobleme. In den letzten drei bis vier Monaten ließen ihre Kräfte rapide nach, bereits kurze Wege zum Einkaufen strengten sie sehr an.
Frau M. litt an grünem und grauem Star sowie einer Makuladegeneration, ein sechs Jahre zurückliegender Bandscheibenvorfall bereitete ihr erneut Beschwerden ebenso wie häufige Blasenentzündungen. Sie pflegte die Hautkrankheit von Frau W. und fühlte sich dadurch belastet und gelegentlich überfordert.
Beide hatten angesichts fortschreitenden Alters ca. drei Jahre vor ihrem Tod ihre langjährige Haushaltshilfe gefragt, ob diese sie häuslich pflegen würde, was sie verneinte. Die später Verstorbenen besichtigten mehrere hochpreisige Seniorenheime, schlossen diese aber als Möglichkeit für sich aus, weil sie ihnen zu unpersönlich oder schlecht gelegen erschienen. Frau W. hatte wenige Wochen vor ihrem Tod das Angebot ihres Bruders und ihrer Schwägerin, zu ihnen nach Leipzig zu ziehen, abgelehnt.
Etwa zwei Jahre vor ihrem Tod unterhielten sich beide Damen mit ihrem befreundeten Bridge-Partner, dem Zeugen Wa., über Sterbehilfe, wobei der Name des Angeschuldigten Dr. K. fiel. In diesem Gespräch bat Frau M. den Zeugen Wa., ob er ihnen nicht die Telefonnummer des Sterbehilfevereins besorgen könnte, was dieser jedoch nicht tat. Zu dieser Zeit fragten beide auch den Neffen von Frau W., den Zeugen T.W., ob er im Internet die Adresse des Sterbehilfevereins ermitteln könne, was er ablehnte.
Nachdem das Reisen zunehmend beschwerlich geworden war und die später Verstorbenen nach einer Flugreise im März 2012 keine weiten Reisen mehr unternehmen wollten, traten sie im Juni 2012, zu einem Zeitpunkt, als beide noch Mitglied im Fitness-Studio waren und Frau M. noch Auto fuhr, dem Verein St... bei. Gemäß § 2 Abs. 2 der Vereinssatzung vom 9. Dezember 2009 in der Fassung vom 9. September 2012 steht der Verein Mitgliedern, die wegen Krankheit, Behinderung oder Altersbeschwerden leiden, beratend zur Seite. Bei hoffnungsloser Prognose, unerträglichen Beschwerden oder unzumutbarer Behinderung soll ein begleiteter Suizid ermöglicht werden (§ 2 Abs. 4 der Satzung). In den Ethischen Grundsätzen, auf die § 2 der Satzung verweist, die jedoch erst am 8. Dezember 2012, d.h. nach dem Tod der beiden Damen verabschiedet wurden, heißt es: „Hilfe beim Suizid setzt voraus, dass die Einsichts- und Willensfähigkeit des Sterbewilligen ohne jede Einschränkung zu bejahen sind" (IV Ziff. 14).
Am 13. Juli 2012 führte der Angeschuldigte Dr. K. ein - inhaltlich unbekanntes - videodokumentiertes Gespräch mit den beiden später Verstorbenen. Sodann verwies er diese an den Angeschuldigten Dr. S. zwecks Gutachtenerstellung. Unterdessen führten die Sterbewilligen ihr Leben wie gewohnt weiter. Sie gingen beispielsweise im August 2012 zusammen mit dem Zeugen T.W. exklusiv Essen, besuchten mit ihm ein Sommerfest im M.-Hotel und kauften mehrere Kisten Wein für sich. Anfang September 2012 kauften sie gemeinsam mit dem Zeugen Wa., dessen Frau und dessen Schwägerin eine Grabstätte, ausgelöst durch den Tod von dessen Bruder.
Am 9. September 2012 suchte der Angeschuldigte Dr. S. Frau W. und Frau M. wie vereinbart für eine Gutachtenerstellung auf. Im Gesprächsverlauf äußerte Frau M. auf die Frage, was sie von der Sterbemethode des freiwilligen Verzichts auf Nahrung und Flüssigkeit, sog. Sterbefasten, halte: „Wir verzichten sowieso schon, allein wegen des Gewichts". Im Anschluss an die Exploration fragten beide den begutachtenden Angeschuldigten Dr. S., ob er die Sterbebegleitung durchführen würde, was dieser mit den Begründungen, dass ihm eigene Begleitungen sehr schwer fielen und unter Hinweis auf seinen entfernt gelegenen Wohnort, ablehnte. Ein „Neurologisches und Psychiatrisches Gutachten zur Frage der Einsichts- und Urteilsfähigkeit und Wohlerwogenheit bei einem Suizid-Beihilfe-Wunsch" wurde sowohl für Frau W. als auch für Frau M. am 13. September 2012 gefertigt und von diesen jeweils mit 1.000 € honoriert. In dem Gutachten über Frau W. heißt es: „Der wesentliche Grund für die Lebensbeendigungs-Überlegungen ist das hohe Lebensalter und offensichtlich auch das Erleben der altersbedingten Ohnmacht gegenüber dem medizinischen Apparat..." sowie zur Begründung des Suizidbeihilfewunsches: „Um der Grausamkeit des Endes vorzubeugen". Bezüglich Frau M. wird im Gutachten im Hinblick auf die Überlegungen zur eigentätigen Lebensbeendigung festgestellt: „Maßgeblich stellt sich die klare Sicht auf das Lebensalter und als möglich sich abzeichnende weitere Einschränkungen und Behinderungen dar" sowie zur Begründung des Suizidbeihilfewunsches: „... ich möchte das nicht durchstehen müssen. - Mein Vater ist an Lungenkrebs gestorben, furchtbar ist das gewesen". Diese Gutachten erhielt der Angeschuldigte Dr. K..
Mitte September 2012 verbrachten beide Damen eine Woche in Timmendorfer Strand. Von dort schrieben sie am 20. September 2012 an den Angeschuldigten Dr. S. einen kurzen Brief mit der abschließenden Frage „Sehen Sie evtl. doch noch eine Möglichkeit 'als die' auf die wir angewiesen sind?!!". Nach einigem Zögern entschloss sich der Angeschuldigte Dr. S., einer Sterbebegleitung zuzustimmen. Mehrere schriftliche Kontaktversuche der später Verstorbenen bei dem Angeschuldigten Dr. K. am 13. und 29. September 2012 und am 4. Oktober 2012 blieben unbeantwortet.
Nachdem die beiden Damen Mitte Oktober 2012 wiederum einige Tage in Timmendorfer Strand verbracht hatten, übergaben sie dem Zeugen T.W. ein überarbeitetes Testament. Nachdem Frau M. bedingt durch ihre Augenerkrankung nicht mehr Auto fahren konnte, suchte der Angeschuldigte Dr. S. auf Bitten von Frau W. und Frau M. diese am 22. Oktober 2012 auf, um Einzelheiten und Formalitäten für die Durchführung des Suizids zu besprechen. In anschließenden Telefonaten wurde der 10. November 2012 als Tag für den gemeinsamen Suizid verabredet.
Am 5. November 2012 unterzeichneten beide Frauen eine vorgefertigte, ihnen mutmaßlich von dem Angeschuldigten Dr. S. überlassene Erklärung die mit „Aufklärung und Einwilligung" überschrieben war und u.a. folgenden Wortlaut hatte: „Entsprechend meinem ureigensten Willen möchte ich mein Leben in Frieden und Würde beenden. Ich beurteile die Aussichten im Falle eines Weiterlebens als nicht erstrebenswert und die mit zunehmenden Alter und zunehmender Gebrechlichkeit drohende Gefahr der Abhängigkeit so, dass ich mich dem nicht aussetzen möchte. ... (Ich) untersage ... im Falle meiner Handlungsunfähigkeit jegliche Rettungsmaßnahmen. Wir haben eingehend darüber gesprochen, dass ein Suizid ohne vorheriges ausführliches Gespräch mit Angehörigen ... für diese eine schwerwiegende seelische Belastung bedeutet. Unter Berufung auf die Schweigepflicht habe ich darauf bestanden, meine Angehörigen nicht zu informieren. ... Ich habe mir meine Entscheidung gründlich überlegt. Ich will es so."
Am 9. November 2012, einen Tag vor dem Todestag, verfasste Frau W. einen Abschiedsbrief an ihren Bruder, den Zeugen S.W., Frau M. rief ihren Bruder an. Beide schrieben gemeinsam einen Abschiedsbrief an ihre engen Bridgefreunde Wa., und verfassten handschriftlich nach einer Vorlage des Angeschuldigten Dr. S. ein von beiden unterzeichnetes Schreiben „Unser ausdrücklicher Wille" in dem es heißt: „Wir bestimmen hiermit ausdrücklich, daß jegliche Entgiftungsmaßnahmen und jegliche Wiederbelebungsversuche unbedingt zu unterlassen sind. ... Im Falle unserer Handlungsunfähigkeit untersagen wir ... jegliche Rettungsmaßnahmen. ... Wir haben uns diese Entscheidung gründlich genug überlegt. Wir wollen es so."
Am 10. November 2012, dem Todestag, riefen beide Damen den Zeugen S.W. an und sprachen über das künftige Weihnachtsfest, an dem sie zu diesem nach Leipzig reisen wollten. Sie erkundigten sich nach Theaterkarten hierfür und gaben an, die Bahnfahrkarten schon zu haben. Frau W. erinnerte daran, dass am Abend Klitschko boxe, das würden sie sich ansehen.
Um 11:30 Uhr traf der Angeschuldigte Dr. S. entsprechend der vorherigen Abrede mit Frau M. und Frau W. in deren Wohnung ein. Er brachte die zur Tötung vorgesehenen Medikamente Chloroquin und Diazepam in großer Menge mit. Frau M. war schmerzlich berührt von der Traurigkeit des Anlasses und zeigte das Bedürfnis, in den Arm zu nehmen und in den Arm genommen zu werden, Frau W. schloss sich an. Nachdem Einzelheiten der Medikamenteneinnahme und weitere Formalitäten, u.a. über das Zurücklassen der Wohnung und Benachrichtigung der Polizei, besprochen waren, wandte sich das Gespräch dem Empfinden und den Gedanken des Abschiednehmens zu. Frau M. ließ ihre innere Zwiespältigkeit erkennen. Mehrfach kamen ihr Tränen über den ihr schwer fallenden Abschied vom Leben: „Wenn aber einer von uns pflegebedürftig wird - irgendwann kommt's, ob wir nun jetzt (gehen) oder Weihnachten noch mitnehmen. Der Bruder von Frau W. hat für den geplanten Besuch zu Weihnachten schon geplant, schon für das Weihnachtessen eingekauft. Noch am Morgen haben wir miteinander telefoniert und mussten doch die Wahrheit verschwiegen halten". Sodann berichteten beide Damen zu ihren vorangegangenen Überlegungen über Seniorenheime, die sie als zu kalt und unpersönlich oder schlecht gelegen empfanden, die Kosten in den Altenheimen würden steigen, die Unterbesetzung würde immer mehr spürbar. Anschließend entschlossen sie sich, die weiteren Vorbereitungen in Angriff zu nehmen. Der Angeschuldigte Dr. S. fragte noch einmal, ob der Schritt denn jetzt auch wirklich sein solle, was von beiden einverständlich bejaht wurde.
Daraufhin ging Frau W. in die Küche und brachte zwei Gläser mit 50 Tropfen Übelkeit linderndes und die Resorptionsfähigkeit erhöhendes, selbst beschafftes Metoclopramid (MCP) in Wasser, das von beiden ausgetrunken wurde. Danach zerkleinerten sie zu dritt in der Küche die von dem Angeschuldigten Dr. S. mitgebrachten Chloroquin-Tabletten und lösten diese in Wasser. Frau M. füllte zwischenzeitlich das Diazepam in Gläser. Sodann gingen beide Damen mit den Tassen und Gläsern in das Wohnzimmer, nahmen gegenüber in Sesseln Platz und wurden von dem Angeschuldigten Dr. S. noch einmal darauf hingewiesen, dass nach der Einnahme des Chloroquins unbedingt das Diazepam eingenommen werden müsse, um Komplikationen durch ersteres nicht zu erleben.
Nach der Einnahme des Chloroquins um 13:00 Uhr nahmen die später Verstorbenen bewusst voneinander Abschied, wobei sie sich unter Tränen umarmten. Nach weiteren zehn Minuten tranken sie um 13:14 Uhr das Diazepam. Nach einem kurzen Gespräch über einige Erinnerungen wurden beide müde und schliefen um 13:22 Uhr bzw. 13:23 Uhr ein. Nachdem der Puls bei Frau W. um 14:16 Uhr und bei Frau M. um 14:22 Uhr nur noch sehr schlecht und unzuverlässig zu tasten war, blieb die Spontanatmung um 14:24 Uhr bei beiden aus. Der Angeschuldigte Dr. S. wartete sodann zur Sicherheit noch eine halbe Stunde, ehe er telefonisch seinen Verteidiger und sodann die Feuerwehr verständigte. Auf Nachfrage der Feuerwehr bejahte er den sicheren Tod und verneinte die Notwendigkeit eines Rettungswagens.
b) Das der Anklageschrift vom 5. Mai 2014 zugrunde liegende Tatgeschehen ergibt sich als wahrscheinlich aus den in der Anklageschrift aufgeführten Beweismitteln und der nach vorläufiger Einschätzung nicht widerlegten Einlassung des Angeschuldigten Dr. S.. Dieser hat anlässlich der Durchsuchung seiner Wohnanschrift am 22. November 2012 angegeben, er arbeite mit dem St... e.V. zusammen. Der Kontakt zu den Verstorbenen sei über den Angeschuldigten Dr. K. zustande gekommen. Weiter hat er in einem Schreiben an den Mitangeschuldigten Dr. K. und seinen Verteidiger vom 14. November 2012 ein Gedächtnisprotokoll über die Ereignisse vom 10. November 2012 gefertigt, in dem es heißt: „Nach dem Verlauf der Wiederbegegnung mit Frau M./W. bin ich zutiefst zufrieden ... Nach allem vorherigen ständigen Grübeln, unruhigen Gedanken in meiner nunmehr über 10-jährigen aktiven Tätigkeit in der Suizidbeihilfe empfinde ich, dass wir das Kairos, das Glück des richtigen Augenblicks für das richtige Handeln gefunden haben. Selbst wenn es noch unvorhergesehene Ereignisse geben sollte, habe wir in dieser abgestimmten Kooperation einen wichtigen Schritt in der Geschichte unserer Gesellschaft getan."
Der Senat geht davon aus, dass wahrscheinlich der Angeschuldigte Dr. S. die Medikamente C. und D. am 10. November 2012 mit in die Wohnung der Verstorbenen brachte. Zwar heißt es im Zusammenhang mit einem Interview dieses Angeschuldigten in der Hamburger Morgenpost vom 25. November 2008, dass in vier Fällen tödliche Medikamente von dem Angeschuldigten Dr. K. besorgt worden sein sollen. Dagegen spricht hier, dass nach dem 13. Juli 2012, dem Tag der Fertigung der Videoaufnahmen, erkennbar kein Kontakt des Angeschuldigten Dr. K. zu den später Verstorbenen mehr stattgefunden hat. Vielmehr hat der Angeschuldigte Dr. K. sämtliche Kontaktversuche der beiden Sterbewilligen, sei es brieflich am 13. und 29. September 2012, sei es per Fax am 4. Oktober 2012, ignoriert. Es ist vielmehr wahrscheinlich, dass der Angeschuldigte Dr. S. die Medikamente mit in die Wohnung der Suizidentinnen brachte. Er hat sich am 22. November 2012 dahingehend eingelassen, die Sterbebegleitung durch ihn sei kostenlos. Damit meine er die Anreise sowie die Verabreichung der Medikamente, die er immer situationsabhängig besorge. Diese Einlassung wird zum einen durch die erhebliche Menge des jeweiligen Medikamentes gestützt, die es auch hinsichtlich des verschreibungspflichtigen D. unwahrscheinlich erscheinen lässt, dass sich die Verstorbenen das D. in dieser erheblichen Menge, sei es auch peu a peu durch Zurücklegen, selbst beschaffen konnten. Hinzu kommt, dass im Gutachten des Angeschuldigten Dr. S. betreffend die Geschädigte W. unter aktueller Medikation kein D. angegeben wird und sich im Gutachten hinsichtlich der Sterbewilligen M. keine Angaben zur aktuellen Medikation finden. Zum anderen spricht auch die aus Sicht dieses Angeschuldigten immense Wichtigkeit des D. für ein Besorgen durch ihn. So machte er die Sterbewilligen vor Einnahme des C. noch einmal darauf aufmerksam, dass sie nach dessen Einnahme unbedingt anschließend auch das D. einnehmen müssten, um die Komplikationen durch ersteres nicht erleben zu müssen.
Die Entscheidung:
2. Das Hauptverfahren ist hinsichtlich des Angeschuldigten Dr. S. zu eröffnen und die Anklage der Staatsanwaltschaft Hamburg vom 5. Mai 2014 zur Hauptverhandlung vor der allgemeinen Großen Strafkammer (§ 24 Abs. 1 Nr. 3 GVG) zuzulassen.
Zwar hat das Landgericht hinsichtlich des Angeschuldigten Dr. S. zu Recht aus tatsächlichen Gründen den hinreichenden Tatverdacht eines die Zuständigkeit des Schwurgerichts begründenden Tötungsdelikts, insbesondere eines Totschlags in mittelbarer Täterschaft, verneint, der Angeschuldigte ist aber der versuchten Tötung auf Verlangen durch Unterlassen (§ 216 Abs. 1 und Abs. 2, §§ 13, 22 StGB) sowie der Überlassung von Betäubungsmitteln zum unmittelbaren Verbrauch entgegen § 13 Abs. 1 BtMG gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 6b) BtMG hinreichend verdächtig im Sinne des § 203 StPO.
Ein hinreichender Tatverdacht ist zu bejahen, wenn bei vorläufiger Tatbewertung auf Grundlage des Ermittlungsergebnisses die spätere Verurteilung des Angeschuldigten in einer Hauptverhandlung mit vollgültigen Beweismitteln überwiegend wahrscheinlich ist (BGH, Beschluss vom 19. Januar 2010 - StB 27/09, BGHSt 54, 275, 281 Rn. 33).
a) Der Angeschuldigte Dr. S. ist eines vollendeten (gemeinschaftlichen) Tötungsdelikts nicht hinreichend verdächtig.
aa) Die eigenverantwortlich verwirklichte Selbsttötung erfüllt nicht den Tatbestand eines Tötungsdelikts (hier § 212 Abs. 1 oder § 216 Abs. 1 StGB). Maßgebend für die Abgrenzung von Täterschaft und Teilnahme ist die Frage, wer das zum Tode führende Geschehen tatsächlich beherrscht. Tatherrschaft des anderen liegt vor, wenn sich der Sterbewillige in dessen Hand begeben hat und von ihm den Tod duldend entgegennimmt; Beihilfe liegt vor, wenn der Sterbewillige bis zuletzt die freie Entscheidung und Kontrolle über den Geschehensablauf behält (BGH, Urteil vom 14. August 1963 - 2 StR 181/63, BGHSt 19, 135, 139; OLG München, Beschluss vom 31. Juli 1987 - 1 Ws 23/87, NJW 1987, 2940, 2941; Fischer, StGB, 63. Aufl., § 216 Rn. 4a). Ungeachtet der Tatsache, dass der Angeschuldigte Dr. S. wahrscheinlich die tödlichen Medikamente mitbrachte und die Dosierung bestimmte, verblieb die Tatherrschaft uneingeschränkt bei den Sterbewilligen. Sie haben die Medikamente selbst in Wasser gelöst, die Gläser mit den gelösten Medikamenten selbst zum Mund geführt und selbst getrunken, d.h. den lebensvernichtenden Akt eigenhändig ausgeführt.
Eine strafbare Beihilfe zum Totschlag gemäß § 212 Abs. 1, § 27 StGB oder zur Tötung auf Verlangen gemäß § 216 Abs. 1, § 27 StGB scheidet angesichts tatbestands- und strafloser Haupttat nach dem Grundsatz der limitierten Akzessorietät aus (vgl. BGH, Urteil vom 12. Februar 1952 - 1 StR 59/50, BGHSt 2, 150, 152; BGH, Urteil vom 7. Februar 2001 - 5 StR 474/00, BGHSt 46, 279, 288; BGH, Urteil vom 29. April 2009 - 1 StR 518/08, BGHSt 53, 288, 290; BGH, Urteil vom 28. Januar 2014 - 1 StR 494/13, BGHSt 59, 150, 167; BGH, Beschluss vom 5. August 2015 - 1 StR 328/15, NJW 2016, 176).
bb) Es besteht auch kein hinreichender Tatverdacht einer (gemeinschaftlichen) Tötung in mittelbarer Täterschaft gemäß § 212 Abs. 1, § 25 Abs. 1 1. Alt. StGB.
(1) Ein täterschaftliches Begehen der Tat durch Benutzung eines anderen als „Werkzeug" ist möglich, wenn bei dem Tatmittler ein Defizit, hier in Form eines nicht freiverantwortlich gebildeten Selbsttötungsentschlusses, und bei dem Angeschuldigten eine vom Täterwillen getragene objektive Tatherrschaft gegeben ist (vgl. BGH, Urteil vom 15. September 1988 - 4 StR 352/88, BGHSt 35, 347, 353 f.; BGH, Urteil vom 13. September 1994 - 1 StR 357/94, BGHSt 40, 257, 267).
(a) Freiverantwortlich ist ein Selbsttötungsentschluss, wenn das Opfer die zureichende natürliche Einsichts- und Urteilsfähigkeit für die Entscheidung besitzt und die Mangelfreiheit des Suizidwillens sowie die innere Festigkeit des Selbsttötungsentschlusses gegeben sind (BGH, Urteil vom 3. Dezember 1985 - 5 StR 637/85, JZ 1987, 474; BGH, Urteil vom 7. August 1984 - 1 StR 200/84, NStZ 1985, 25f.; BGH, Urteil vom 7. Oktober 2010 - 3 StR 168/10, StV 2011, 284, 285; vgl. sog. „Einwilligungstheorie": LK-Jähnke, 11. Aufl., vor § 211 Rn. 26 f.; Eser/Sternberg-Lieben in Schönke/Schröder, 29. Aufl., vor § 211 Rn. 36 m.w.N.; Lackner/Kühl, 28. Aufl., vor § 211 Rn. 13a f.; Wessels/Hettinger BT 1, 37. Aufl., Rn. 48 f.; Saliger, Selbstbestimmung bis zuletzt, 2015, S. 146 f.; Ingelfinger, Grundlagen und Grenzbereiche des Tötungsverbots, 2004, S. 228; Gavela, Ärztlich assistierter Suizid und organisierte Sterbehilfe, 2013, S. 22. f.; zu den Gegenansichten vgl. unten (c)).
(aa) Die erforderliche natürliche Einsichts- und Urteilsfähigkeit zur Abwägung von Bedeutung und Tragweite des Entschlusses fehlt bei alters-, krankheits- oder alkoholbedingtem Mangel dieser Fähigkeit (BGH Urteil vom 7. Oktober 2010, a.a.O.; BGH, Urteil vom 22. Januar 1981 - 4 StR 480/80, NJW 1981, 932; LK-Jähnke, a.a.O., § 216 Rn. 7; Fischer, a.a.O., § 216 Rn. 9; Eser/Sternberg-Lieben, a.a.O., vor § 211 Rn. 26 und § 216 Rn. 8). Dies ist insbesondere der Fall bei einem Defizit im Sinne des § 21 StGB, wenn der sich Verletzende infolge einer Intoxikation (BGH, Urteil vom 29. April 2009 - 1 StR 518/08, BGHSt 53, 288, 290; BGH, Beschluss vom 11. Januar 2011 - 5 StR 491/10, NStZ 2011, 341, 342) oder bei Vorliegen einer psychischen Störung (BGH, Urteil vom 7. Oktober 2010, a.a.O.), nicht (mehr) zu einer hinreichenden Risikobeurteilung und -abwägung in der Lage ist.
(bb) Die Mangelfreiheit des Suizidwillens fehlt auch, wenn der Selbsttötungsentschluss auf Zwang, Drohung oder arglistiger Täuschung des Täters beruht (BGH, a.a.O.; BGH, Urteil vom 3. Dezember 1985 - 5 StR 637/85, JZ 1987, 474; Lackner/Kühl, a.a.O., vor § 211 Rn. 13a f.; Eser/Sternberg-Lieben, a.a.O., § 216 Rn. 8).
Bei einer arglistigen Täuschung schließt indes nicht jeder, sondern nur ein wesentlicher, für die Entscheidung zur Verletzung des Rechtsguts entscheidender, rechtsgutsbezogener Motivirrtum die Freiverantwortlichkeit aus (BGH, Urteil vom 7. Oktober 2010, a.a.O.; BGH, Urteil vom 20. Mai 2003 - 5 StR 66/03, NJW 2003, 2326, 2327; BGH, Urteil vom 5. Juli 1983 - 1 StR 168/83, BGHSt 32, 38, 43; Eser/Sternberg-Lieben, a.a.O., vor § 211 Rn. 36 und § 216 Rn. 8; Lackner/Kühl, a.a.O., vor § 211 Rn. 13b; Saliger, a.a.O., S. 148; a.A. MünchKomm-StGB/Schneider, a.a.O., § 216 Rn. 22; Rönnau, Willensmängel bei der Einwilligung im Strafrecht, 2001, S. 430 ff.; Mitsch JuS 1995, 880; LK- Schünemann, 12. Aufl., § 25 Rn. 107).
(cc) Mit den Voraussetzungen der Einsichts- und Urteilsfähigkeit sowie der Freiheit von Willensmängeln durch Zwang, Drohung oder arglistige Täuschung sind die inhaltlichen Anforderungen für die Ernstlichkeit des Tötungsverlangens nicht abschließend umschrieben. Voraussetzung ist vielmehr, dass das Verlangen darüber hinaus auf einer tieferen Reflexion des Tatopfers über seinen Todeswunsch beruht und von innerer Festigkeit und Zielstrebigkeit getragen wird (BGH, Urteil vom 7. Oktober 2010 - 3 StR 168/10, StV 2011, 284, 285; BGH, Urteil vom 14. September 2011 - 2 StR 145/11, NStZ 2012, 85, 86; LK-Jähnke, a.a.O., § 216 Rn. 4; Fischer, a.a.O., § 216 Rn. 9a; MünchKomm-StGB/Schneider, a.a.O., § 216 Rn. 19; zur Gegenansicht vgl. unten (c)). Danach sollen Tötungsverlangen nicht wirksam sein, die beiläufig oder leichthin artikuliert, in Augenblicksstimmungen oder in depressiver Stimmung geäußert werden.
(b) Gemessen hieran handelt es sich sowohl bei der Verstorbenen W. als auch bei der Verstorbenen M. um einen freiverantwortlichen Selbsttötungsentschluss im Sinne eines Bilanzselbstmords.
(aa) Beide später Verstorbenen waren einsichts- und urteilsfähig. Sie waren geistig rege und intellektuell ohne Einschränkungen. Dieses ergibt sich aus den Aussagen sämtlicher Zeugen, die mit der fachärztlichen Einschätzung des Angeschuldigten Dr. S. in seinem neurologisch-psychiatrischen Gutachten zur Einsichts- und Urteilsfähigkeit übereinstimmen, sowie aus der Lebensführung der Verstorbenen.
(bb) Es gibt auch keine Anzeichen dafür, dass der Willensentschluss der Verstorbenen mangelbehaftet war. Er beruhte nicht auf Zwang oder Drohung. Entgegen der Auffassung der Staatsanwaltschaft liegen wahrscheinlich auch keine durch arglistige Täuschung beeinflussten Willensentschlüsse vor.
(α) Das von dem Angeschuldigten Dr. S. am 13. September 2012 erstellte neurologisch-psychiatrische Gutachten ist wahrscheinlich weder „falsch" noch war es geeignet, die Verstorbenen arglistig über die Freiverantwortlichkeit und Mangelfreiheit ihres Willensentschlusses zu täuschen.
(αα) Es ist nicht ersichtlich, dass der Angeschuldigte bei der Erstellung des ärztlichen Gutachtens nicht mit der notwendigen Sorgfalt verfahren ist, die an ihn gestellten ärztlichen Anforderungen nicht erfüllt und seine ärztliche Überzeugung nicht nach bestem Wissen ausgesprochen hat (vgl. § 25 Musterberufsordnung der Ärzte, a.a.O.). Zwar standen dem Angeschuldigten bei Gutachtenerstellung kaum ärztliche Befunde zur Verfügung. Angesichts des Gutachtenauftrags, eine ärztliche Einschätzung zur Einsichts- und Urteilsfähigkeit abzugeben, steht dieses aber der Qualifiziertheit des Gutachtens nicht entgegen, da die kognitiven Fähigkeiten unabhängig von Befunden anderer ärztlicher Fachrichtungen beurteilt werden können.
Der Angeschuldigte Dr. S. hat das Gutachten auf der Basis eigener Angaben der Sterbewilligen erstellt. Das darin enthaltene Sterbemotiv, die bestehenden und zu erwartenden Altersbeschwerden, findet sich auch in den Schreiben der Verstorbenen an die Familie W. und das Ehepaar Wa. jeweils vom 9. November 2012. Es ist nicht erkennbar, dass der Angeschuldigte auf dieses Motiv Einfluss genommen hat. Die von ihm gestellte Diagnose der uneingeschränkten Einsichts- und Urteilsfähigkeit steht in Übereinstimmung mit den Aussagen von Verwandten und Bekannten der Verstorbenen, insbesondere der Zeugen S.W. und T.W., Wa. sowie der Lebensgestaltung der Suizidentinnen.
Soweit der Angeschuldigte Dr. S. in dem Gutachten die „Wohlerwogenheit" des Suizidwunsches bescheinigt hat, hatten die Verstorbenen entgegen der Auffassung der Staatsanwaltschaft wahrscheinlich alle naheliegenden Lebensalternativen für sich erwogen. Sie hatten erfolglos die für sie tätige Haushaltshilfe gefragt, ob diese sie häuslich pflegen würde und sich mehrere hochpreisige Seniorenheime angesehen und diese begründet für sich ausgeschlossen. Vor dem Hintergrund der Ablehnungsgründe erschien auch ein dortiges Probewohnen nicht sinnvoll. Die Verstorbene W. hatte die Möglichkeit, zu ihrem Bruder nach Leipzig zu ziehen, verworfen. Was den Gesundheitszustand betraf, waren sie nach Angaben des Zeugen S.W. ständig bei Ärzten, hatten sich auch an einen Heilpraktiker gewandt und hatten damit offenkundig die medizinischen Möglichkeiten einschließlich der Alternativmedizin im Wesentlichen ausgeschöpft. Eine weitergehende Beratung über nicht näher bekannte zukünftige Altersbeschwerden versprach keinen Erfolg. Hinsichtlich ihrer Sorgen über die Finanzkrise dürfte eine Bankberatung angesichts der globalen Krise unbehelflich gewesen sein. Zudem beruhte der Todeswunsch nicht auf Sorgen wegen der Finanzkrise, sondern beeinflusste nur die finanziellen Überlegungen hinsichtlich einer Übersiedlung ins Seniorenheim, die bereits aus anderen Gründen ausgeschlossen wurde. Ein von der Staatsanwaltschaft für nötig befundenes Seelsorgergespräch ist keine Voraussetzung für die Freiverantwortlichkeit eines Willensentschlusses, zudem standen sich die Sterbewilligen gegenseitig für Gespräche zur Verfügung.
(ββ) Entgegen der Auffassung der Staatsanwaltschaft traf den Angeschuldigten Dr. S. bei Erstattung des Gutachtens auch keine Beratungspflicht.
In der Musterberufsordnung der Ärzte (a.a.O.) wird die Gutachtertätigkeit (§ 25 MBO) getrennt von den ärztlichen Pflichten gegenüber Patienten, den Behandlungsgrundsätzen, gefasst. Die dort normierte Aufklärungspflicht findet sich bei der Regelung für Gutachter nicht. Aus der Überschrift des Gutachtens „Neurologisches und Psychiatrisches Gutachten zur Frage der Einsichts- und Urteilsfähigkeit und Wohlerwogenheit bei einem Suizid-Beihilfe-Wunsch", ergibt sich klar, dass ein Gutachten- und kein Behandlungsauftrag mit Beratungspflichten vorlag.
Den Angeschuldigten Dr. S. traf auch keine Beratungspflicht aus der Satzung des Vereins St.... Er selbst war nicht Vereinsmitglied, Auftraggeber der Gutachten waren ausschließlich die Sterbewilligen. Er war somit nicht verpflichtet, darauf hinzuweisen, dass Altersbeschwerden kein anerkannter Sterbegrund des St... e.V. war. Schließlich ist die Satzung des Vereins St... auch nicht Geschäftsgrundlage des Gutachtens geworden. Zwar ist davon auszugehen, dass die Verstorbenen, die gegenüber dem Angeschuldigten ihre Unzufriedenheit über eine Regelung der neugefassten Satzung ausgedrückt hatten, die Vereinssatzung vom 9. Dezember 2009 in der Fassung vom 9. September 2012 kannten. Auch ist der Verein St... im Betreff des Gutachtens, mutmaßlich als Verwendungszweck, genannt. Der Geschäftswille der Parteien baute aber nicht darauf auf, dass das Gutachten satzungsgemäß erstellt werden sollte, vielmehr sollte es ein ärztliches - und den ärztlichen Maßstäben genügendes - Gutachten sein, das an den Verein weitergereicht werden sollte.
(γγ) Soweit die Staatsanwaltschaft die ihrer Meinung nach gegebene mangelnde „Wohlerwogenheit" darauf stützt, dass die Verstorbene M. die Frage nach der alternativen Sterbemethode „Freiwilliger Verzicht auf Nahrung und Flüssigkeit" nicht richtig verstanden habe, wenn sie antwortete „wir verzichten sowieso schon, allein wegen des Gewichts", vermag dieses Missverständnis keinen Einfluss auf das „ob" des Sterbeentschluss zu haben, da es lediglich die Sterbeart, das „wie" des Todes, betrifft und für den Sterbeentschluss als solchen unerheblich ist.
(δδ) Abgesehen davon, dass die von dem Angeschuldigten Dr. S. erstatteten Gutachten inhaltlich wahrscheinlich zutreffend waren und bereits deshalb keine Täuschungsgrundlage für die Verstorbenen darstellen konnten, maßen diese ihnen wahrscheinlich auch nicht die für eine Täuschung erforderliche Bedeutung zu.
Die Gutachten waren für die Sterbewilligen wahrscheinlich Mittel zu dem Zweck, Hilfe durch den Verein St... zu erhalten. Sinn des Gutachtens war es aus ihrer Sicht, dem Verein St... aufgrund eines externen Gutachtens eine Entscheidungsgrundlage dafür zu bieten, ob Sterbehilfe gewährt wird, und nicht eine Entscheidungsgrundlage für sie selbst hinsichtlich ihres Sterbewunsches zu sein.
Dieses ergibt sich aus dem zeitlichen Ablauf der Vergabe des Gutachtenauftrags. Nachdem die Sterbewillige M. im Juni 2012 an den Angeschuldigten Dr. K. geschrieben hatte, in dem sie sich darauf bezog, den Mitgliedsantrag an ihn zu übersenden, führte dieser am 13. Juli 2012 ein videoaufgezeichnetes Gespräch mit den später Verstorbenen. Sodann stellte er - nach Einlassung des Angeschuldigten Dr. S. - zwecks Gutachtenerstellung den Kontakt zu diesem her. Daraufhin kam es am 9. September 2012 zu dem Gutachtentermin mit dem Angeschuldigten Dr. S.. Dass das Gutachten für die Vorlage bei dem St... e.V erstellt wurde, ergibt sich daraus, dass der Verein unter der Betreffzeile im Gutachten aufgeführt wird und das Gutachten an den Angeschuldigten Dr. K. übermittelt wurde.
Der Entscheidungsprozess der Sterbewilligen war zu dem Zeitpunkt, als der Angeschuldigte Dr. S. beauftragt wurde, wahrscheinlich abgeschlossen. Das Gutachten sollte den Sterbewunsch dokumentieren, dieser sollte nicht dadurch gebildet werden. Hätten die geistig regen Frauen diese Gutachten zur Überprüfung ihrer Urteilsfähigkeit und der „Wohlerwogenheit" ihres Todeswunsches, gar eine Beratung, gewünscht, hätten sie die Gutachten naheliegender Weise vor dem, wie sie wussten, aufwendig auf Video aufgezeichneten Gespräch mit dem Angeschuldigten Dr. K. erstatten lassen, um die gutachterliche Einschätzung vor diesem für sie wichtigen Gespräch, von dem die Unterstützung durch den St... e.V. abhing, zu kennen. Hinzu kommt, dass die beiden nicht jeweils allein mit ihrer Entscheidung, sondern sich vielmehr gegenseitig als Gesprächspartner für eine Diskussion über eine Selbsttötung zur Verfügung standen. Es ist nicht erkennbar, dass sie ihren Entschluss, den sie über Jahre hinweg gebildet hatten, von der Einschätzung eines Dritten abhängig machen wollten.
(εε) Im Übrigen ist der Begriff der „ Wohlerwogenheit" rechtlich kein Erfordernis der fehlerfreien Willensbildung. Es ist zudem nicht ersichtlich, woraus sich die fachliche Qualifikation des Angeschuldigten Dr. S. als Facharzt für Neurologie und Psychiatrie für die Begutachtung der „Wohlerwogenheit" ergeben soll. Schließlich geht der Begriff inhaltlich über die Urteilsfähigkeit, die zur Urteilsfällung einer angemessenen Urteilsgrundlage bedarf, nicht erkennbar hinaus.
(β) Entgegen der Auffassung der Staatsanwaltschaft wurde den später Verstorbenen auch nicht dadurch, dass der St... e.V. dem Tötungswunsch entsprach, der Angeschuldigte Dr. S. die Medikamente besorgte und als Sterbehelfer tätig wurde, suggeriert, dass das Sterbemotiv des hohen Lebensalters mit sich abzeichnenden weiteren Einschränkungen in Übereinstimmung mit der Satzung stand. Den Suizidentinnen war aufgrund ihrer Kenntnis der Satzung und ihrer kognitiven Fähigkeiten wahrscheinlich bewusst, dass kein Fall des § 2 Abs. 4 der Satzung vorlag. Es ist aber nicht wahrscheinlich, dass eine Satzungswidrigkeit ihren Entschluss zur Selbsttötung in irgendeiner Weise beeinflusst hätte. Wahrscheinlich vertrauten sie nicht darauf, dass sich die Angeschuldigten ohne jede Einschränkung an die Satzung halten würden; sie vertrauten vielmehr darauf, dass die Angeschuldigten ihnen bei der Selbsttötung helfen würden. Im Übrigen dürfte die Übereinstimmung des Vorgehens der Angeschuldigten mit der Vereinssatzung und die Anerkennung ihres Todeswunsches durch die Vereinssatzung für die Verstorbenen nicht derart wichtig gewesen sein, dass dies einen beachtlichen Motivirrtum hätte bilden können. Nicht zuletzt ist es strafrechtlich irrelevant, dass der Suizidgrund kein vorgesehener Sterbegrund im Sinne der Vereinssatzung war.
(γ) Es liegt auch keine arglistige Täuschung des Angeschuldigten Dr. S. aufgrund des Schreibens der Verstorbenen vom 20. September 2012 an ihn vor, das mit der Frage „Sehen Sie evtl. doch noch eine Möglichkeit „als die" auf die wir angewiesen sind?!!" schließt. Eine arglistige Täuschung aufgrund dieses Schreibens der Verstorbenen kann sich schon von Rechts wegen nicht ergeben. Im Übrigen legt die Staatsanwaltschaft, die annimmt, mit dieser Frage werde eine Beratung über Lebensalternativen erbeten und mangels Beratung durch den Angeschuldigten Dr. S. werde über mögliche Lebensalternativen getäuscht, dieses Schreiben losgelöst von seinem Kontext aus.
Nach kontextbezogener Interpretation zielt die Frage darauf ab, wer die Sterbebegleitung übernehmen könnte. Die nach Exploration am 9. September 2012 vier Tage später erstellten Gutachten des Angeschuldigten Dr. S. über die Sterbewillige W. und die Sterbewillige M. enden jeweils mit der Anmerkung: „Nach dem sehr unkomplizierten Gesprächsverlauf fragen beide Damen, ob der ihnen vertraute Heilpraktiker bei der Suizid-Begleitung anwesend sein könnte und drängen den Gutachter, die Begleitung durchzuführen. Diesem Ansinnen wurde nicht zugestimmt". Aus dem Verlaufsbericht des Angeschuldigten Dr. S. vom 14. November 2012 ergibt sich ergänzend, dass beide Verstorbene bei dem Termin am 9. September 2012 sehr freundlich und sehr bittend gefragt hätten, ob er persönlich auch die Begleitung zum Suizid durchführen könnte. Er habe darauf hingewiesen, dass ihm eigene Begleitungen sehr schwer fielen und habe mit dem Hinweis auf seinen entfernten Wohnort abgelehnt.
Zeitlich schließt sich im Kontakt mit dem Angeschuldigten Dr. S. am 9. September 2012 das Schreiben von Frau W. und Frau M. vom 20. September 2012 mit der Frage nach einer anderen Möglichkeit „als die" auf die wir an gewiesen sind?!!". Dementsprechend stellte der Angeschuldigte in seinem Gedächtnisprotokoll vom 14. November 2012 das Schreiben vom 20. September 2012 in einen unmittelbaren Zusammenhang zu seinem elf Tage zuvor erfolgten Besuch und der dort von ihm erklärten Ablehnung der Sterbebegleitung. Aufgrund des Schreibens der beiden Damen hätte er sich nach einigem Zögern doch entschlossen, einer Begleitung zuzustimmen. Die bewusst in Andeutungen gehaltene Formulierung im Schreiben vom 20. September 2012, die erkennbar auf vorangegangene Kommunikation Bezug nimmt, auf Lebensalternativen zu beziehen, liegt fern, da über solche zuvor nicht erkennbar gesprochen wurde und sie damit - kryptisch und aus sich heraus unverständlich - ohne jeden Bezug zu vorangegangenen Gesprächen stünde.
(cc) Die Selbsttötungsentschlüsse der Verstorbenen waren zudem von innerer Festigkeit und Zielstrebigkeit getragen. Es handelt sich jeweils um einen über einen langen Zeitraum gebildeten Willen. Dieses manifestiert sich in ersten Kontaktversuchen der beiden später Verstorbenen zu dem St... e.V.im Jahr 2010. Hieraus wird deutlich, dass sie sich über einen Zeitraum von zwei Jahren mit dem Thema Sterbehilfe auseinandergesetzt haben. Für eine tiefere Reflexion spricht das Abwägen und Verwerfen von Lebensalternativen in Form einer häuslichen Pflege, einem Umzug in ein Seniorenheim oder zu der Familie. Nachdem die Sterbewilligen mit ihren Bitten, ihnen Kontaktdaten zu einem Sterbehilfeverein zu besorgen, spürbar auf Widerstand gestoßen waren, verschwiegen sie im Folgenden ihre Suizidabsichten planvoll gegenüber der Umwelt. Sie besorgten sich eine Grabstätte und verfassten wohlüberlegt Abschiedsbriefe und letzte Verfügungen, u.a. mit der Untersagung von Rettungsmaßnahmen. Dabei ist nicht erkennbar, dass die Verstorbenen insbesondere die Inhalte ihrer Schreiben vom 5. und 9. November 2012 nicht klar erfasst hätten. Sie richteten zudem die suizidale Situation so ein, dass zwischen Selbsttötungshandlung und Todeseintritt keine längere Latenzperiode lag und das Hinzukommen Dritter nahezu ausgeschlossen war, was für einen unerschütterlichen Todeswunsch und gegen die unterschwelligen Hoffnung, dass ein verzweifelter Schrei nach menschlichem Beistand gehört wird, spricht (vgl. BGH, Urteil vom 4. Juli 1984 - 3 StR 96/84, BGHSt 32, 367, 376). Vielmehr haben es die Suizidentinnen durch professionell ausgewählte Medikamente und deren Einnahme in der eigenen Wohnung in Begleitung eines Sterbehelfers gerade so eingerichtet, dass keine Hoffnung auf zufällige Rettung gegeben war, die sie im Übrigen kategorisch ausgeschlossen hatten.
Die Tatsache, dass die Verstorbene M. schmerzlich betroffen war und ihre innere Zwiespältigkeit erkennen ließ, indem ihr mehrfach Tränen kamen und sie erwog, das bevorstehende Weihnachtsfest noch zu feiern, stehen der Freiverantwortlichkeit ihres Entschlusses nicht entgegen. Die Traurigkeit „angedeutet zeigten sich feuchte Augen" steht der Bescheinigung der Freiverantwortlichkeit nicht entgegen, da innerlich unbeschwerte Willensentscheidungen zur Lebensbeendigung kaum vorstellbar sind (MünchKomm- StGB/Schneider, a.a.O., § 216 Rn. 20). Sie zeigt vielmehr, dass der Verstorbenen M. die Tragweite der Entscheidung bewusst war.
Der Gedanken, Weihnachten noch zu feiern, ist Ausdruck eines sich Bahn brechenden lebensbejahenden Gefühls, das sich in dem Wunsch, gemeinsam ein Weihnachtsessen zu genießen, äußert und mit dem Blick auf das bevorstehende Ereignis dem Leben eine Perspektive verleiht. Ein starker Indikator für die Ernstlichkeit der Willensentschließung stellt jedoch das folgende Abwägen - sie hätten sich Seniorenheime angeschaut, diese seine so kalt und unpersönlich gewesen, ein Heim liege direkt am Containerhafen, die Kosten würden steigen, die Unterbesetzung würde immer mehr spürbar - dar, es vermag als ruhiges und besonnenes Abwägen die vorangegangenen Zweifel so zu zerstreuen, dass der Entschluss insgesamt von innerer Festigkeit getragen ist (vgl. BGH, Urteil vom 7. Oktober 2010 - 3 StR 168/10, StV 2011, 284, 285; MünchKomm-StGB/Schneider, a.a.O.). Erst im Anschluss an diese Abwägung erfolgte von beiden der Entschluss, die weiteren Vorbereitungen in Angriff zu nehmen. Für die Festigkeit und innere Zielstrebigkeit spricht nicht zuletzt, dass die Verstorbenen die angesichts aufflackernder Zweifeln an der Entscheidung von dem Angeschuldigte Dr. S. gestellte Frage, ob der Schritt denn jetzt auch wirklich sein solle, einverständlich bejahten.
(c) Auch unter Zugrundelegung der Exkulpationslehre, nach der maßgeblich ist, ob die Verstorbenen im Fall einer Fremdschädigung strafrechtlich verantwortlich gewesen wären, woran es bei Schuldunfähigkeit im Sinne der §§ 19, 20 StGB, § 3 JGG sowie bei einem mit Mitteln des § 35 Abs. 1 StGB abgenötigten Suizids fehlen soll (vgl. RG, Urteil vom 3. März 1930 - II 57/30, RGSt 64, 30, 31; MünchKomm-StGB/Schneider, a.a.O., vor § 211 Rn. 54 ff, 62; Heine/Weißer in Schönke/Schröder, 29. Aufl., § 25 Rn. 11; Roxin, FS für Dreher, S. 331, 346 f, 349; Bottke, GA 1983, 22, 32; Dölling, GA 1984, 71, 78) sowie unter Zugrundelegung einer weiteren Ansicht, nach der Suizidenten nur in den Ausnahmefällen der sog. Bilanzselbstmorde eigenverantwortlich handeln (LK-Jähnke, a.a.O., vor § 211 Rn. 27 f. m.w.N.; Bringewat, ZStW Bd. 87, [1975] 623, 634) handelten die Verstorbenen freiverantwortlich. Sie litten insbesondere nicht erkennbar an einer die Schuldfähigkeit ausschließenden psychischen Erkrankung im Sinne des § 20 StGB.
(2) Hinsichtlich der vollverantwortlich handelnden Suizidentinnen liegt auch keine mittelbare Täterschaft des Angeschuldigten kraft Organisationsherrschaft vor. Bei volldeliktisch handelndem und das Tatgeschehen beherrschendem Tatmittler ist eine solche gegeben, wenn ein Hintermann unternehmerische oder geschäftsähnliche Organisationsstrukturen mit regelhaften Abläufen und die unbedingte Tatbereitschaft des unmittelbar Handelnden ausnutzt und er den Erfolg als Ergebnis seiner Anordnung will (BGH, Urteil vom 26. Juli 1994 - 5 StR 98/94, BGHSt 40, 218, 236; Roxin, Täterschaft und Tatherrschaft, 7. Aufl., S. 244 ff.). Voraussetzung ist ein personeller Machtapparat mit gefestigten Organisationsstrukturen und einem hierarchischen System von Befehl und Gehorsam. Der unmittelbar Handelnde ist beliebig austauschbar und sein Ausfall vermag typischerweise die Durchsetzung der Anordnungsgewalt nicht zu verhindern (Heine/Weißer in Schönke/Schröder, a.a.O., § 25 Rn. 27).
Diese Voraussetzungen liegen hier nicht vor. Zwar mag der Angeschuldigte Dr. S. die unmittelbare Handlungsbereitschaft der Verstorbenen ausgenutzt und den Tötungserfolg gewollt haben, letzterer erfolgte aber nicht als Ergebnis seiner Anordnung, auch nicht der des Angeschuldigten Dr. K.. Dieses ergibt sich nicht nur aus der abschließenden Frage des Angeschuldigten Dr. S., ob es bei dem Entschluss bleiben solle, sondern insbesondere auch daraus, dass es jeweils die beiden Damen waren, die den Kontakt zu den Angeschuldigten suchten. Zudem wies der St... e.V. nicht eine für eine Organisationsherrschaft ausreichenden Struktur auf. Das Mitgliederverzeichnis war nicht öffentlich (§ 6 Abs. 1 der Satzung in der Fassung vom 9. September 2012), so dass sich aufgrund der Anonymität der Mitglieder keine gefestigten Organisationsstrukturen bilden konnten. Es fehlte an einem hierarchischen System von Befehl und Gehorsam. Schließlich waren die Sterbewilligen nicht beliebig austauschbar: Ihr „Ausfall" durch den Entschluss, doch nicht aufgrund eigenen Entschlusses sterben zu wollen, hätte ihren Tod gerade verhindert.
cc) Der Angeschuldigte Dr. S. ist auch keiner Tötung auf Verlangen durch Unterlassen gemäß § 216 Abs. 1, § 13 StGB hinreichend verdächtig. Es fehlt ungeachtet der Frage, ob denjenigen, der sich aktiv an der Selbsttötung eines eigenverantwortlich Handelnden beteiligt, strafbewehrte Garantenpflichten für das Leben des Suizidenten treffen, auf der Grundlage bisheriger rechtsmedizinischer Gutachten an der für den Tötungserfolg ursächlichen hypothetischen Kausalität.
Für diese muss die erwartete Handlung den konkreten Erfolg mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit verhindern, so dass der Erfolg bei Vornahme der unterbliebenen Handlung nicht oder in wesentlich geringerem Umfang eingetreten wäre, sog. „Vermeidbarkeitstheorie" (vgl. nur BGH, Beschluss vom 25. September 1957 - 4 StR 354/57, BGHSt 11, 1, 5; BGH, Urteil vom 10. August 1984 - 1 StR 9/84, NStZ 1985, 26, 27; Fischer, a.a.O., vor § 13 Rn. 39 m.w.N.; a.A. „Risikoerhöhungslehre": Rudolphi/Stein in SK-StPO, 8. Aufl., vor § 13 Rn. 25; Maurach/Gössel/Zipf AT 2, 6. Aufl., Rn. 17; Roxin ZStW 74, 430).
Dieses ist hier nicht der Fall. Nach der gutachterlichen Stellungnahme des Instituts für Rechtsmedizin vom 14. Mai 2013 hätte nach Eintritt der Bewusstlosigkeit grundsätzlich eine gewisse Chance bestanden, die Verstorbenen zu retten. In Anbetracht ihres fortgeschrittenen Alters, der aufgenommenen hohen Menge an C., des engen Zeitfensters zwischen Aufnahme des C. und Todeseintritt, der Einnahme des resorptionsfördernden Mittels MCP und der überwiegend als eher schlecht eingeschätzten Prognose bei der klinischen Behandlung von akuten C.-intoxikationen mit Einnahmemengen über 5g C. sei die Wahrscheinlichkeit der erfolgreichen Rettung jedoch als eher gering einzuschätzen. Hiernach bestand bei Eintritt der Bewusstlosigkeit keine mit an Sicherheit grenzende Wahrscheinlichkeit der Rettung, vielmehr wären zu dem Zeitpunkt, als die Getöteten bewusstlos wurden, etwaige Rettungsversuche wahrscheinlich gescheitert.
b) Der Angeschuldigte Dr. S. ist aber der versuchten Tötung auf Verlangen durch Unterlassen sowie der Überlassung von Betäubungsmitteln zum unmittelbaren Verbrauch entgegen § 13 Abs. 1 BtMG hinreichend verdächtig im Sinne des § 203 StPO.
aa) Es besteht hinreichender Tatverdacht einer versuchten Tötung auf Verlangen durch Unterlassen gemäß § 216 Abs. 1 und 2, §§ 13, 22 StGB, indem der Angeschuldigte nach Eintritt der Bewusstlosigkeit der Verstorbenen ca. um 13:23 Uhr keinen Rettungswagen verständigte und auch nachdem um 14:24 Uhr weder Puls nach Atmung spürbar waren, zur Sicherheit noch mindestens eine halbe Stunde wartete, eher er die Feuerwehr über den Notruf verständigte.
(1) Der Angeschuldigte ist hinreichend verdächtig, den erforderlichen Vorsatz im Sinne eines Tatentschlusses gehabt zu haben.
(a) Der Angeschuldigte wollte den Tod der Verstorbenen. Er hat am 14. November 2012 geschrieben, er sei zutiefst zufrieden und empfinde, den richtigen Augenblick für das richtige Handeln gefunden und einen wichtigen Schritt in der Geschichte der Gesellschaft getan zu haben. Er hielt auch eine Rettung der Verstorbenen für möglich, denn nach deren Einschlafen wartete er ca. eine Stunde auf deren Tod und auch nach dem von ihm festgestellten Tod sicherheitshalber noch mindestens eine weitere halbe Stunde mit der ihm jederzeit möglichen Benachrichtigung der Feuerwehr, um eine von ihm unerwünschte Rettung und nach Feststellung des Todes eine für möglich gehaltene Reanimation zu verhindern. Die Erfolglosigkeit dieser möglichen Hilfsmaßnahme war nicht sicher vorauszusehen (vgl. BGH, Urteil vom 16. Februar 2000 - 2 StR 582/99, NStZ 2000, 414, 415; BGH, Beschluss vom 16. Juli 1993 - 2 StR 294/93, NStZ 1994, 29).
(b) Der Angeschuldigte Dr. S. ist auch hinreichend verdächtig, sich als Garant für rettungspflichtig gehalten zu haben.
(aa) Der Angeschuldigte wusste um die Gefahrenquelle, die er durch Mitbringen der Medikamente C. und D. verbunden mit der Information, in welcher Menge und Dosierung diese eingenommen tödlich wirken, geschaffen hatte (sog. Ingerenz, vgl. BGH, Urteil vom 21. Dezember 2011 - 2 StR 295/11, NStZ 319, 320; BGH, Beschluss vom 5. August 2015 - 1 StR 328/15, NJW 2016, 176, 177). Er wusste auch, dass dieses Handeln den ärztlichen Standesregeln widersprach und pflichtwidrig war (vgl. Musterberufsordnung für die in Deutschland tätigen Ärztinnen und Ärzte in der Fassung des Beschlusses des 118. Deutschen Ärztetages 2015, § 16 „[Ärzte] dürfen keine Hilfe zur Selbsttötung leisten").
Zwar dürfte ihm als langjährig eng mit dem St... e.V. zusammen Arbeitenden die Straflosigkeit der Beihilfe zur Selbsttötung bekannt gewesen sein, dennoch ging er jedenfalls zumindest bedingt vorsätzlich davon aus, rettungspflichtig zu sein. In einer undatierten Version des „Weissbuch - Organisierte Suizid-Beihilfe in Deutschland" des St... e.V., in das Veröffentlichungen - u.a. auch des Angeschuldigten Dr. S. - bis zum Jahr 2008 eingearbeitet waren, heißt es: „Wegen der unkalkulierbaren Risiken für die Teilnehmenden bei einer Beihilfe zum Suizid ist gegenwärtig nur ein verdecktes Handeln möglich. Diese Situation ist ... unerträglich. ... St... sucht ... dringend einen Suizid - Begleiter, der bereit ist, ein Ermittlungsverfahren wegen des Vorwurfs einer Tötung durch Unterlassen einschließlich einer möglichen erst- und zweitinstanzlichen Verurteilung mit der Aussicht eines Verfahrens vor dem Bundesgerichtshof auf sich zu nehmen". Hinzu kommt, dass der Angeschuldigte - wie sich aus seinem Schreiben vom 14. November 2012 an seinen Verteidiger ergibt - schon im Vorfeld der Tat eng mit diesem, den er unmittelbar nach der Tat noch vor Absetzen des Notrufes verständigte, zusammen gearbeitet hat und von diesem wahrscheinlich rechtlich umfassend beraten war.
(bb) Die von dem Angeschuldigten billigend in Kauf genommene Rettungspflicht bestand auch objektiv. Der Bundesgerichtshof hat in der „Wittig"- Entscheidung (Urteil vom 4. Juli 1984 - 3 StR 96/84, BGHSt 32, 367 ff.) Folgendes festgestellt:
„Die Beteiligung an einem Selbstmord ist für den, den Garantenpflichten für das Leben des Suizidenten treffen, nach den Tötungstatbeständen und den hierzu entwickelten allgemeinen Grundsätzen strafbar, soweit sich nicht aus der Entscheidung des Gesetzgebers, die Beteiligung an dem Selbstmord als solche straffrei zu lassen, Einschränkungen ergeben. Nach allgemeinen Grundsätzen macht sich wegen eines Tötungsdelikts durch Unterlassen strafbar, wer einen Bewusstlosen in einer lebensbedrohlichen Lage antrifft und ihm die erforderliche und zumutbare Hilfe zur Lebensrettung nicht leistet, obwohl ihn ... Garantenpflichten für das Leben des Verunglückten treffen. ... An dieser Beurteilung ändert sich nichts dadurch, daß der eine Hilfeleistung erfordernde Zustand des handlungs- und willensunfähig gewordenen Opfers von diesem absichtlich herbeigeführt worden ist. ... Wenn nämlich der Suizident die tatsächliche Möglichkeit der Beeinflussung des Geschehens („Tatherrschaft") endgültig verloren hat, weil er infolge Bewusstlosigkeit nicht mehr von seinem Entschluss zurücktreten kann, hängt der Eintritt des Todes jetzt allein vom Verhalten des Garanten ab. ... Daß der Garant durch sein Verhalten den früher geäußerten Wunsch des Sterbenden erfüllen will, ändert daran nichts." (BGHSt, a.a.O., S. 373 f.). Eine Garantenstellung scheidet auch nicht deswegen aus, weil der Getötete eine lebensrettende Behandlung nach seinem Suizidversuch untersagt hat (BGH, a.a.O., S. 377).
So liegt es hier. Denn anders als das Oberlandesgericht München (Beschluss vom 31. Juli 1987 - 1 Ws 23/87, NJW 1987, 2940, 2943) vermag der Senat vorstehender Entscheidung nicht zu entnehmen, dass die hier maßgebliche Rechtsfrage betreffend die Selbsttötung offengelassen wurde (vgl. aber zur Selbstschädigung BGH, Urteil vom 14. Februar 1984 - 1 StR 808/83, BGHSt 32, 262, 264; Urteil vom 11. April 2000 - 1 StR 638/99, NJW 2000, 2286, 2287). Dass der Angeschuldigte die Suizidentinnen nicht bewusstlos angetroffen, sondern ihnen durch aktive Beihilfe zur Bewusstlosigkeit verholfen hat, steht nach dieser Entscheidung einer die Strafbarkeit begründenden Garantenstellung nicht entgegen, da sich aus der Entscheidung des Gesetzgebers, die Beteiligung an dem Selbstmord als solche straffrei zu lassen, für den Fall des Unterlassens unmittelbar nichts anderes ergibt.
Die zitierte Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes wurde bis heute nicht ausdrücklich aufgegeben. Den neu eingefügten Regelungen der §§ 1901a ff. BGB zur Patientenverfügung im Jahr 2009 und den neueren strafrechtlichen Entscheidungen sowie der Rechtslehre entnimmt der Senat indes deutliche Anhaltspunkte für einen gesellschaftlichen Wertewandel (OLG München, Beschluss vom 31. Juli 1987 - 1 Ws 23/87, NJW 1987, 2940, 2944; LG Gießen, Beschluss vom 28. Juni 2012 - 7 Qs 63/12, NStZ 2013, 43 f.; LG Deggendorf, Beschluss vom 13. September 2013 - 2 Ks 4 Js 7438/11, juris; StA München I, Verfügung vom 30. Juli 2010 - 125 Js 11736/09, NStZ 2011, 345 f.; LK-Jähnke, a.a.O., vor § 211 Rn. 24; Fischer, a.a.O., vor § 211 Rn. 25; MünchKomm-StGB/Schneider, a.a.O., § 216 Rn. 66 und vor § 211 Rn. 73 ff.; Eser/Sternberg-Lieben, a.a.O., § 216 Rn. 10 und vor § 211 Rn. 43; Lackner/Kühl, a.a.O., § 216 Rn. 4; Sinn in SK-StGB, a.a.O., § 216 Rn. 17; Roxin NStZ 1987, 345, 346; Wessels/Hettinger BT 1, a.a.O., Rn. 57; Saliger, a.a.O., S. 151; Gavela, a.a.O., S. 40; vgl. BGH, Beschluss vom 5. August 2015 - 1 StR 328/15, NJW 2016, 176, 178: offengelassen, ob für den Fall des eigenverantwortlichen Suizids nach Verlust der Handlungsherrschaft des den Selbstmord Anstrebenden anderes gilt). Ob der gesellschaftliche Wertewandel allerdings auch dann Geltung beanspruchen kann, wenn organisierte, kommerzielle - hier sogar eigennützig motivierte politische - Interessen verfolgt werden, die für den Gesetzgeber Anlass waren, die geschäftsmäßige Förderung der Selbsttötung (§ 217 StGB) unter Strafe zu stellen, ist zweifelhaft, kann aber angesichts der fortgeltenden höchstrichterlichen Rechtsprechung dahinstehen.
(2) Der Angeschuldigte hat auch unmittelbar zur Tötung auf Verlangen durch Unterlassen angesetzt. Mit Eintritt der Bewusstlosigkeit bestand bereits objektiv und auch nach der Vorstellung des Angeschuldigten eine naheliegende deutlich erhöhte Gefahr für das zu schützende Rechtsgut des Lebens der Suizidentinnen (vgl. BGH, Urteil vom 22. September 1992 - 5 StR 379/92, BGHSt 38, 356 ff.). Der Angeschuldigte hat eine ihm als geboten erkannte Handlung in der Vorstellung unterlassen, diese werde bei bereits eingetretener konkreter Gefährdung des Lebens anderer ohne weitere Zwischenschritte zum Erfolgseintritt führen (vgl. BGH, Urteil vom 13. September 1994 - 1 StR 357/94, BGHSt 40, 257, 271) .
(3) Die Hilfeleistung, insbesondere durch Verständigen von Rettungskräften, war dem Angeschuldigten zumutbar. Es ist nicht ersichtlich, dass das Unterlassen des Notrufes auf einer ärztlichen Gewissensentscheidung des Angeschuldigten beruhte (vgl. BGH, Urteil vom 4. Juli 1984, a.a.O., S. 381). Auch die Aufforderung der Suizidentinnen, sie nicht zu retten, steht hingegen der Zumutbarkeit nicht entgegen (vgl. BGHSt, 52, S. 378; a.A. MünchKomm- StGB/Schneider, a.a.O., vor § 211 Rn. 83; Wessels/Hettinger, a.a.O., Rn. 60).
bb) Der Angeschuldigte Dr. S. ist auch der Überlassung von Betäubungsmitteln zum unmittelbaren Verbrauch entgegen § 13 Abs. 1 BtMG gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 6b) BtMG hinreichend verdächtig.
(1) Bei Diazepam handelt es sich um ein Betäubungsmittel gemäß § 1 BtMG i.V.m. Anlage III. Die von dem Angeschuldigten mitgebrachte Menge (10mg/ml in 25 ml Fläschchen) unterfällt der Verschreibungspflicht.
(2) Der Angeschuldigte Dr. S. hat den Verstorbenen dieses Betäubungsmittel wahrscheinlich zum unmittelbaren Verbrauch entgegen § 13 Abs. 1 BtMG überlassen.
(a) Überlassen zum unmittelbaren Verbrauch ist Zuführen einer Betäubungsmittel-Dosis an Dritte zum sofortigen Verbrauch an Ort und Stelle, ohne dass der Adressat an dem Stoff selbst - anders als bei einer Abgabe im Sinne des § 29 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BtMG - freie Verfügungsgewalt erlangt. Die Verfügungsgewalt verbleibt insoweit beim überlassenden Arzt, der Patient erhält nur eine Konsummöglichkeit (BGH, Beschlüsse vom 8. Juli 1998 - 3 StR 241/98, StV 1998, 592, vom 7. Februar 2001 - 5 StR 474/00, BGHSt 46, 279, 283, vom 27. Mai 2014 - 2 StR 354/13, StV 2014, 609 f.; Patzak in Körner/Patzak/Volkmer, BtMG, 8. Aufl. § 29 Teil 15 Rn. 97 f.). So liegt es hier, denn die Verstorbenen konnten das D. nicht nach Belieben verbrauchen oder weitergeben.
(b) Die Verbrauchsüberlassung erfolgte auch entgegen § 13 Abs. 1 BtMG. Gemäß § 13 Abs. 1 BtMG dürfen in Anlage III bezeichnete Betäubungsmittel wie D. von Ärzten einem anderen nur zum unmittelbaren Verbrauch überlassen werden, wenn die Anwendung am oder im menschlichen Körper begründet ist. Eine Verbrauchsüberlassung zum Zweck der Selbsttötung darf nicht erfolgen.
Eine begründete Verbrauchsüberlassung von Betäubungsmitteln durch einen Arzt liegt vor, wenn das Mittel nach den allgemeinen oder weitaus überwiegend anerkannten Regeln der ärztlichen Wissenschaft als Heilmittel für das Leiden des Patienten geeignet ist. Sie dürfen nur zum Zweck der Heilung oder Schmerzlinderung zum unmittelbaren Verbrauch überlassen werden (BGH, Urteile vom 8. Mai 1979 - 1 StR 118/79, BGHSt 29, 6, 9 und vom 28. Januar 2014 - 1 StR 494/13, BGHSt 59, 150, 156, Rn. 39; VG München, Urteil vom 16. Februar 2011 - M 18 K 10.6287, juris Rn. 40; vgl. Weber, BtMG, 4. Aufl., § 13 BtMG, Rn. 22; Gavela, a.a.O., S. 56 f.). Der dem gesamten Betäubungsmittelgesetz übergeordnete Zweck ist auf den Schutz der menschlichen Gesundheit, und nicht auf das Gegenteil, also gesundheits- und lebensgefährdende Maßnahmen, gerichtet (VG Köln, Urteil vom 1. Dezember 2015 - 7 K 14/15, juris Rn. 46). Dieses wird gestützt durch die überwiegenden Zahl der landesrechtlichen Berufsordnungen der Ärztekammern, nach denen die Hilfe zur Selbsttötung von Patienten verboten und daher auch nach § 13 Abs. 1 Satz 1 BtMG nicht zulässig ist (vgl. Musterberufsordnung für die in Deutschland tätigen Ärztinnen und Ärzte in der Fassung des Beschlusses des 118. Deutschen Ärztetages 2015, § 16 „[Ärzte] dürfen keine Hilfe zur Selbsttötung leisten"; vgl. auch OVG NRW, Urteil vom 19. August 2015 - 13 A 1299/14, juris, Rn. 48; a.A. im Kontext eines assistierten Suizids: Borasio, Selbstbestimmung im Sterben, 2014, S. 31 ff.; Feldmann, Die Strafbarkeit der Mitwirkungshandlungen am Suizid, 2009, S. 291 ff.).
Auch ein sog. Off-Label-Use, eine Verwendung außerhalb der zugelassenen Indikation, der im Rahmen der Therapiefreiheit grundsätzlich gestattet ist (Nds. OVG, Urteil vom 11. Mai 2015 - 8 LC 123/14, juris Rn. 37 f.), kommt hier mangels Einsatzes zum Zwecke der Heilung nicht in Betracht.
(3) Der Angeschuldigte handelte vorsätzlich. Ihm waren die tatsächlichen Umstände - die Anwendung zur Lebensbeendigung - bekannt, aus denen sich die Nichteinhaltung der Vorschriften ableitet.
(4) Die Notwendigkeit einer teleologische Reduktion des Tatbestandes des § 29 Abs. 1 Satz 1 Nr. 6b) BtMG ergibt sich weder aus dem Prinzip der Menschenwürde nach Art. 1 Abs. 1 GG noch aus dem Gesichtspunkt der Straflosigkeit der Beihilfe zur Selbsttötung oder aus dem Problemkreis „Sterbehilfe und Sterbebegleitung" (BGH, Urteil vom 7. Februar 2001 - 5 StR 474/00 - BGHSt 46, 279, 284). Abgesehen davon, dass der Grundsatz der straflosen Beihilfe zur Selbsttötung nicht ohne weiteres auf das Betäubungsmittelrecht übertragen werden kann, kann der Gesichtspunkt der Eigenverantwortlichkeit aufgrund der abstrakten Gefährlichkeit des Schutzgutes der Volksgesundheit, die der Disposition des Einzelnen entzogen ist, nicht zur Normeinschränkung herangezogen werden (BGH, a.a.O.; Gavela, a.a.O., S. 49). Zwar erscheint die Weitergabe des Betäubungsmittels D. hier ausgeschlossen, so dass eine Gefährdung der Volksgesundheit nicht naheliegend ist. Die von der Rechtsprechung vorgenommene teleologische Reduktion allein des § 30 Abs. 1 Nr. 3 BtMG bei Überlassen eines Betäubungsmittels zu einem freiverantwortlichem Suizid an einen unheilbar Schwerkranken aus dem Prinzip der Eigenverantwortlichkeit erfolgte aber mit spezifisch für § 30 BtMG geltenden Argumenten, u.a. hinsichtlich der Leichtfertigkeit der Todesverursachung, der Entstehungsgeschichte des § 30 BtMG sowie mit Blick auf dessen Strafrahmen (BGH, a.a.O.), die nicht auf § 29 BtMG übertragbar sind.
Das restriktive Verständnis, dass eine Verbrauchsüberlassung nicht zum Zweck der Selbsttötung erteilt werden kann, verstößt nicht gegen Art. 8 EMRK oder gegen Art. 1, Art. 2 Abs. 1, Art. 4 oder Art. 6 GG. Aus diesen Schutzgarantien und Grundrechten folgt auch keine Pflicht des Gesetzgebers, einen "Ausnahmetatbestand" für die Fälle eines autonomen Suizidentschlusses zu schaffen (vgl. VG Köln, a.a.O., Rn. 63).
(5) Rechtsfertigungs- oder Entschuldigungsgründe kommen ebenfalls nicht in Betracht. Es kann dahinstehen, ob bei einer Abwägung des Lebensschutzes mit dem Recht auf Sterben unter „menschenwürdigen" Bedingungen Besonderheiten für das Handeln naher Angehöriger eines Sterbewilligen gelten können. Für Außenstehende wie den Angeschuldigten, der weder als behandelnder Arzt noch aufgrund eines persönlichen Näheverhältnisses handelte, kann eine Abwägung, insbesondere mangels schwerer Erkrankung der Verstorbenen, nicht zur Straflosigkeit des Umgangs mit Betäubungsmitteln führen. Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus dem moralpolitischen Engagement des Angeschuldigten (vgl. BGH, Urteil vom 7. Februar 2001, a.a.O.).
3. Im Übrigen ist die sofortige Beschwerde zurückzuweisen. Der Angeschuldigten Dr. K. ist weder hinsichtlich eines Tötungs- noch hinsichtlich eines Betäubungsmitteldelikts aus tatsächlichen Gründen hinreichend verdächtig.
Angesichts erkennbar nur eines Kontaktes des Angeschuldigten Dr. K. zu den Verstorbenen am 13. Juli 2012 und den im Folgenden von ihm nicht angenommenen Kontaktversuchen der Sterbewilligen am 13. und 29. September 2012 und am 4. Oktober 2012 tragen die heute noch, nach Aushändigung der bei dem Angeschuldigten sichergestellten Datenträger an diesen und der Vernichtung der entsprechenden Sicherungskopien durch das LKA im Jahr 2013, vorliegenden Beweismittel mangels Tatausführungshandlung einen dringenden Tatverdacht nicht.
4. Das Rechtsmittel führt zur Zulassung der Anklage der Staatsanwaltschaft Hamburg vom 4. Mai 2014 und zur Eröffnung des Hauptverfahrens gegen den Angeschuldigten Dr. S.. Die besondere Bedeutung des Falles im Sinne des § 24 Abs. 1 Nr. 3 GVG, die sich aus dem Ausmaß der Rechtsverletzungen und dem Interesse der Öffentlichkeit ergibt, gebietet eine Eröffnung vor der allgemeinen Großen Strafkammer des Landgerichts Hamburg. Durch die Eröffnung der Sache vor der Großen Strafkammer ist namentlich auch gewährleistet, dass das Verfahren abschließend durch den Bundesgerichtshof entschieden werden kann, der damit Gelegenheit erhält, über die Fortgeltung seiner bisherigen Rechtsprechung zu entscheiden.