Bei Verwendung einer Neulandmethode (Ausschaltung einer Arterienerweiterung mittels künstlichem Verschluss von Blutgefäßen unter Schutz eines Ballons) muss der Arzt den Patienten auf die fehlende Zulassung der Embolisations-Flüssigkeit und auf mögliche unbekannte Risiken hinweisen (OLG Hamm, Beschluss vom 18.4.2016 - 3 U 59/15).

neue Behandlungsmethoden: der Patient muss wissen, was auf ihn zukommtDer Fall:

Nachdem bei der 1975 geborenen Klägerin, die unter vermehrten Schwindel litt, ein Aneurysma, d.h. eine Arterienerweiterung festgestellt worden war, stellte sie sich am 15.09.2009 in der Ambulanz der neurochirurgischen Klinik der Beklagten zu 1) vor.

Am 05.10.2009 wurde sie im Krankenhaus der Beklagten zu 1) stationär aufgenommen und am 06.10.2009 wurde zur weiteren Abklärung eine digitale Subtraktionsangiographie (DSA) durchgeführt.

Am 07.10.2009 erfolgte ein Aufklärungsgespräch durch die Beklagte zu 2).

Es wurden drei Möglichkeiten zur Behandlung des Aneurysmas dargestellt (Anmerkung: standardmäßig können Coils, dh metallene Verstärkungen (Stents) der Arterien oder chemische Verschlüsse mittels Embolisaten verwendet werden). Bei einer der Möglichkeiten handelte es sich um eine neue Methode (Embolisation unter Verwendung eines Ballons), zu der eine Studie an der Klinik durch die Zeugin X als Studienärztin durchgeführt wurde, was der Klägerin auch erklärt wurde. Ihr wurde auch erklärt, dass insoweit eine zusätzliche Versicherung bestehe. Diese Versicherung bezog sich nur auf Vermögensschäden. Die Klägerin unterschrieb eine Einwilligungserklärung für die Teilnahme an der Studie (Bl. 90f. Gerichtsakte, Bl. 15 und 16 von einem Dokument ab Bl. 76 ff. GA) sowie eine Einverständniserklärung zur endovaskulären Intervention (Bl. 92 f. GA).

Am 09.10.2009 wurde der geplante Eingriff durch X begonnen. Zur Ausschaltung des Aneurysmas sollte ein Flüssigkeitsembolisat (O) unter Schutz eines Ballons eingebracht werden. Nach/bei Einbringen dieses Stoffes kam es aber dazu, dass der Ballon platzte und sich der Stoff im Blutkreislauf verteilte. Durch diese Verschleppung kam es zur Minderperfusion in verschiedenen Gefäßregionen. Nach dem Eingriff zeigte sich eine Hemiplegie der rechten Körperhälfte mit Blickdevitation und globaler Aphasie. Die Klägerin wurde bis zum 21.10.2009 auf der Intensivstation behandelt und am 26.10.2009 in die neurologische Rehabilitationsklinik I entlassen, wo sie bis zum 21.12.2009 behandelt wurde. Auch bei Entlassung lagen nach einem Gutachten der I1-Klinik vom 23.05.2010 (Bl. 32 ff. GA) trotz Verbesserungen noch erhebliche Defizite vor. Im Jahre 2010 erfolgten weitere Therapien (Krankengymnastik, Sprachtherapie).

Am 24.03.2011 führte C aus T bei der Klägerin ein Coiling (Einfügen eines metallenen Stents) durch, da das Aneurysma durch den Eingriff bei der Beklagten zu 1) nur teilembolisiert war.

Die Klägerin verlangte Schmerzensgeld. Das Landgericht sprach ihr 65.000 EUR zu. Dagegen richtet sich die Berufung der Beklagten.

Die Entscheidung:

Das OLG wies die Berufung zurück und bestätigte den Schmerzensgeldanspruch der Klägerin wegen eines Aufklärungsfehlers.

Auch bei erneuter Prüfung des Falles konnte das OLG die hier erforderliche Aufklärung nicht erkennen. Erforderlich bei der Verwendung der Neulandmethode „Embolisation mittels Ballon mittels Embolisat O“ ist, dass der Arzt den Patienten auf die fehlende Zulassung der Embolisations-Flüssigkeit und auf mögliche unbekannte Risiken hinweist.

Zwar hat die Beklagte zu 2 in der schriftlichen "Einverständniserklärung zur endovaskulären Intervention" handschriftlich Alternativen zur Flüssigembolisation sowie zahlreiche Risiken des Eingriffs notiert, jedoch nicht die fehlende Zulassung des Embolisats oder einen Hinweis auf mögliche unbekannte Risiken.

Der nunmehr erfolgte Vortrag der Beklagten, das zum Einsatz gelangte Flüssigembolisat härte schneller aus und biete daher den Vorteil einer kürzeren Eingriffsdauer, bezieht sich offenbar auf einen Vergleich mit einem älteren Flüssigembolisat. Maßgeblich ist jedoch der Vergleich zur hinlänglich erprobten Standardmethode des (stentgestützten) Coilings, die alternativ zur Behandlung des Aneurysmas der Klägerin zur Verfügung stand. Aber selbst wenn die Eingriffsdauer bei der Anwendung eines Flüssigembolisats kürzer sein sollte als beim Coiling, wöge dieser Vorteil - auch im Zusammenspiel mit den anderen möglichen Vorteilen der Flüssigembolisation - nicht so schwer, dass mit der erforderlichen Sicherheit von einer hypothetischen Einwilligung der Klägerin auszugehen wäre.

Die Beklagten tragen mit Schriftsatz vom 17.03.2016 vor, es sei ungeklärt, ob das Platzen des Ballons während des Eingriffs überhaupt auf das neue Embolisat zurückzuführen sei; es komme auch ein Materialfehler des Ballons oder eine Materialermüdung in Betracht. Dieser Vortrag ist neu und nicht gemäß § 531 Abs. 2 ZPO zuzulassen. Er steht in Widerspruch zum erstinstanzlichen Vorbringen der Beklagten, dass eine - vor dem Eingriff unbekannte - Unverträglichkeit zwischen dem neuen Embolisat und dem Ballonmaterial zum Platzen geführt habe (S. 2 des Schriftsatzes vom 19.09.2013, Bl. 274 der Akten; S. 2 des Schriftsatzes vom 21.10.2013, Bl. 277 der Akten).

Im Übrigen gilt für die Frage, ob sich ein aufklärungspflichtiges Risiko haftungsbegründend verwirklicht hat, das Beweismaß des § 287 ZPO (BGH NJW-​RR 2010, 833 Rn. 13; NJW 2011, 375 Rn. 18). Übertragen auf den vorliegenden Fall bedeutet dies, dass die Beklagten jedenfalls dann haften, wenn das Platzen des Ballons mit überwiegender Wahrscheinlichkeit auf einem zuvor unbekannten, von dem neuen Flüssigembolisat ausgehenden Risiko beruhte. Eine solche überwiegende Wahrscheinlichkeit besteht; nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme deutet sogar alles auf eine schadensursächliche Unverträglichkeit zwischen Embolisat und Ballonmaterial hin (vgl. S. 9 f., 13 des Protokolls der mündlichen Verhandlung vom 18.12.2013, Bl. 288 f., 292 der Akten).

Praxishinweis:

Bei Neulandmethoden sollte der Arzt besonders umfassend auf die Neuheit (und Unerprobtheit) der Methode und unbekannte Risiken hinweisen und dies dokumentieren. Da es für Neulandmethoden keine Aufklärungsformulare gibt, die der Arzt als Grundlage des Aufklärungsgesprächs verwenden könnte, empfiehlt es sich, wie folgt vorzugehen:

Der Arzt verwendet ein Standardformular (im vorliegenden Fall dasjenige für ein Coiling), streicht die Behandlungsmethode durch und ersetzt diese durch eine kurze Benennung der Neulandmethode. Wo die Eigenheiten der Neulandmethode von der Standardmethode abweichen, streicht der Arzt dies durch und ersetzt es durch handschriftliche Zusätze. Dann macht er Anmerkungen im - sehr wichtigen - Anmerkungsfeld, in denen er auf unbekannte Risiken und Unerprobtheit, die mangelnde Zulassung der Embolisationsflüssigkeit sowie die Teilnahme an einer Studie hinweist und lässt das solcherart modifizierte Formular vom Patienten unterzeichnen.    

Rechtsanwalt und Fachanwalt für Medizinrecht Philip Christmann
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