(26.9.2016) Zur Beweislast des Vertragsarztes bei Honorarrückforderung der Kassenärztlichen Vereinigung bezüglich GOP 02302 EBM; bei substantiierten Zweifeln der KV hat der Arzt seine Leistungen mittels Belegen zu beweisen (Landessozialgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 27.6.2016 – L 11 KA 7/16 B ER).

Honorarrückforderungen wegen unbelegter Leistungen des ArztesDer Fall:

Die Beteiligten streiten um die Vollziehung einer Honorarrückforderung. Die Antragstellerin ist eine Berufsausübungsgemeinschaft (BAG) von drei in X zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassenen Fachärzten für Urologie. Mit Bescheid vom 10.07.2015 hob die Antragsgegnerin die der Antragstellerin erteilten Honorarbescheide für die Quartale I/2011 bis IV/2014 teilweise in Höhe von 138.748,77 EUR auf und forderte diesen Betrag zurück:

Aus Sicht der KV setze der EBM für die Berechnung eines dermato-chirurgischen Eingriffs die obligate histologische Untersuchung entnommenen Materials und/oder eine Bilddokumentation des prä- und postoperativen Befundes voraus. Nach Durchsicht von 42 Behandlungsfällen habe sie festgestellt, dass die Antragstellerin in keinem Fall den histologischen Befund und/oder eine Bilddokumentation vorgelegt habe. Die eingereichten Dokumentationen hätten lediglich aus Karteikartenauszügen und Arztbriefen bestanden. Der Inhalt der abgerechneten Leistungen nach den Gebührenordnungspositionen (GOP) 31102 EBM (dermatochirurgischer Eingriff der Kategorie A2), 31503 EBM (Postoperative Überwachung im Anschluss an die Erbringung einer Leistung entsprechend u.a. der GOP 31102) und 31609 EBM (Postoperative Behandlung nach der die Erbringung einer Leistung entsprechend u.a. der GOP 31102) sei nicht erfüllt, daher erfolge eine Korrektur in die Leistung nach GOP 02302 EBM (Kleinchirurgischer Eingriff III und/oder primäre Wundversorgung bei Säuglingen, Kleinkindern und Kindern).

Die KV ließ die BAG am 24.02.2014 wissen, dass ihr Vortrag nicht ausreicht. In diesem Schreiben heißt es: "Im Rahmen der vorgenommenen Überprüfungen haben sich hinsichtlich Ihrer Abrechnung Fragen ergeben. Um diese möglicherweise schon auf dem Schriftwege klären zu können, bitten wir Sie, alle Ihnen vorliegenden Patientenunterlagen -möglichst in Kopie- (Karteikarten/Computerausdrucke, Operationsberichte, histologische Befundberichte, Bilder und Befunddokumentationen) für die in der anliegenden Liste aufgeführten Patienten einzureichen."

Dem kam die BAG nicht nach. Zum Beleg Ihrer Leistungen legte die Ärzte-BAG lediglich Falllisten vor. 

Die Entscheidung:

Dem LSG genügten die Falllisten nicht. 

Im Streit über die Rechtmäßigkeit erbrachter Leistungen wiederholte das LSG noch einmal folgende Grundsätze:

  1. Der Abrechnung des Arztes, die durch die Sammelerklärung untermauert ist, genießt grundsätzlich Vertrauen.
  2. Die Abrechnungssammelerklärung als Ganzes ist bereits dann unrichtig, wenn nur eine Abrechnungsposition eine unrichtige Angabe über erbrachte Leistungen enthält.
  3. Berichtigt die KV die Abrechnung mit dem Honorarbescheid wegen substantiiert dargelegter Zweifel, indem sie Leistungsansätze streicht oder umwandelt, ist der Honoraranspruch weder entstanden noch gar fällig geworden. Dann ist es Sache des Arztes, die Zweifel an der Ordnungsmäßigkeit seiner Honoraranforderung zu entkräften, d.h. er muss im Ergebnis seinen Anspruch auf Honorierung wieder gemäß dem Ausgangsgrundsatz nach Grund und Höhe ausreichend darlegen. (Anders liegt der Fall, wenn die KV den Honorarbescheid erlässt und danach berichtigt: hier muss die KV die Fehlerhaftigkeit beweisen)
  4. Die Pflicht des Arztes zur Entkräftung greift erst, wenn die Kassenärztliche Vereinigung den Sachverhalt von Amts wegen ermittelt hat. Der Arzt ist dabei zur Mitwirkung verpflichtet. Die KV kann auf die Ermittlung verzichten, wenn der Vertragsarzt einer ihm obliegenden Mitwirkungspflicht nicht nachgekommen ist.
  5. Zur Widerlegung der Zweifel muss der Arzt belastbare Belege vorlegen (hier wäre die Vorlage z.B. von Fotodokumentationen oder histologischen Befunden erforderlich gewesen). Falllisten reichen nicht aus. 
  6. Beruft sich der Arzt in diesem Zusammenhang auf besondere, einen höheren Behandlungsaufwand rechtfertigende atypische Umstände wie z. B. Praxisbesonderheiten, so hat er diese Besonderheiten zu beweisen. 

Unter Anwendung dieser Grundsätze ergibt sich folgendes Ergebnis:

Der Senat ist mit dem SG der Auffassung, dass die Voraussetzungen für die Abrechnung der streitbefangenen Leistungen nicht erfüllt sind. Auf die Entscheidung des SG wird insoweit Bezug genommen (§ 153 Abs. 2 SGG). Soweit die Antragstellerin einwendet, dass die KV nur die Unterlagen für 42 und nicht für 1.118 Fälle angefordert und ausgewertet habe, lässt sie den aufgezeigten Charakter der Plausibilitätsprüfung unberücksichtigt

Vorliegend hat die Antragstellerin ihrem Widerspruch vom 21.09.2015 eine tabellarische Liste beigefügt, die aus ihrer Sicht belegen soll, dass von den im Regresszeitraum operierten 1.118 Patienten 212 Histologien durchgeführt und 81 Fotodokumentationen gefertigt wurden. Diese Liste ist tendenziell untauglich, die fraglichen Behauptungen zu beweisen. Sie hat keinen eigenständigen Beweiswert und reduziert sich auf eine Substantiierung des Vortrags. Beweisrechtlich enthält die Liste konkretisierte Behauptungen. Im deutschen Rechtssystem sind (substantiierte) Behauptungen eines Klägers, ihm stehe der geltend gemachte Anspruch zu, grundsätzlich nicht ausreichend, um seiner Klage zum Erfolg zu verhelfen.

Praxishinweis:

Moniert die KV abgerechnete Leistungen, ist der Arzt gehalten, sogleich umfassend vorzutragen und belastbare Belege für die abgerechneten Leistungen in Kopie bei der KV vorzulegen. 

Dies setzt natürlich voraus, dass der Arzt die Leistungen bereits anfänglich umfassend dokumentiert hat und er Fotodokumentationen erstellt und histologische Befunde zur Akte genommen hat. 

Rechtsanwalt und Fachanwalt für Medizinrecht Philip Christmann
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