(24.10.2016) Die Regelung, wonach die ärztliche Zulassung endet, wenn die vertragsärztliche Tätigkeit in einem von Zulassungsbeschränkungen betroffenen Planungsbereich nicht innerhalb von drei Monaten nach Zustellung des Beschlusses über die Zulassung aufgenommen wird (§ 19 III Ärzte-ZV) ist verfassungswidrig und nichtig. Ob die auf dieser Norm beruhende Zulassungentziehung rechtmäßig ist, haben die Instanzgerichte (erneut) zu entscheiden, nicht das BVerfG, das nur verfassungsrechtliche Fragen beurteilt (BVerfG, Stattgebender Kammerbeschluss vom 26. September 2016 – 1 BvR 1326/15).

Zulassungsentziehungen auf dem PrüfstandDer Fall:

Auf Grundlage dieser Regelung in Verbindung mit § 95 IV Satz 1 SGB V entzog der Zulassungsausschuss einem MVZ die anderhalb Jahre zuvor erteilte Zulassung. Denn das MVZ hatte die Räumlichkeiten, in denen das MVZ sitzen sollte, wegen noch laufender Umbauarbeiten noch nicht bezogen; die Ärzte des MVZ hatten ihre vertragsärztliche Tätigkeiten stattdessen in ihren bisherigen Praxen weiter betrieben. Diese befanden sich in derselben Stadt nicht weit entfernt vom Sitz des Medizinischen Versorgungszentrums. Gegenüber dem Zulassungsausschuss gab die Beschwerdeführerin an, ihre Tätigkeit als Medizinisches Versorgungszentrum aufgenommen zu haben und rechnete als solches die ärztlichen Leistungen unter der entsprechenden Betriebsstättennummer gegenüber der Kassenärztlichen Vereinigung ab.

Nach Kenntniserlangung entzog der Zulassungsausschuss dem MVZ die Zulassung nach Maßgabe des § 19 III Ärzte-ZV und wegen Täuschung.

Die Sozialgerichte bestätigten diese Zulassungsentziehung.   

Die Entscheidung:

Das BVerfG urteilte nun, dass § 19 III Ärzte-ZV verfassungswidrig die Rechte der Kläger aus Art. 12 I, 19 GG verletzt, weil der Normgeber des § 19 III Ärzte-ZV mit dieser Regelung seine durch durch § 98 Abs. 1 Satz 1 SGB V eingeräumte Ermächtigungskompetenz überschritten hat. § 19 Abs. 3 Ärzte-​ZV trifft zwar Regelungen zum Ende der Zulassung bei Nichtaufnahme der vertragsärztlichen Tätigkeit für von Zulassungsbeschränkungen betroffene Planungsbereiche und damit zur "Teilnahme an der vertragsärztlichen Versorgung". Es handelt sich hierbei aber nicht um eine Vorschrift, die lediglich "das Nähere" über die Teilnahme an der vertragsärztlichen Versorgung im Sinne des § 98 Abs. 1 Satz 1 SGB V regelt. Sie fügt vielmehr dem Katalog aus den Gesetzesnormen einen weiteren Beendigungstatbestand hinzu.

Das Urteil des Bundessozialgerichts vom 13. Mai 2015 - B 6 KA 25/14 R -, das Urteil des Sozialgerichts Freiburg vom 9. November 2011 - S 1 KA 4150/10 - sowie der Beschluss/Bescheid des Berufungsausschusses bei der Kassenärztlichen Vereinigung Baden-​Württemberg vom 26. Juli 2010 - BA 25/10 - verletzen die Beschwerdeführerin in ihrem Grundrecht aus Artikel 12 Absatz 1 in Verbindung mit Artikel 19 Absatz 3 des Grundgesetzes, soweit sie eine Beendigung der Zulassung der Beschwerdeführerin nach § 19 Absatz 3 der Zulassungsverordnung für Vertragsärzte (Ärzte-​ZV) feststellen. Die Entscheidungen werden in diesem Umfang, das Urteil des Bundessozialgerichts auch hinsichtlich des Kostenausspruchs, aufgehoben und die Sache zur erneuten Entscheidung an das Bundessozialgericht zurückverwiesen.

Zu der Frage, ob dem MVZ die Zulassung wegen Täuschung etc. zu entziehen sei, ließ sich das BVerfG nicht ein, weil dies eine Entscheidung ist, die den Sozialgerichten überlassen ist. 

Praxisanmerkung:

Mit dieser bahnbrechenden Entscheidung stehen sämtliche auf Grundlage von § 19 III Ärzte-ZV ergangenen Zulassungsentziehungen auf dem Prüfstand. Soweit über diese bereits rechtskräftig von den Sozialgerichten entschieden ist, sollten die betroffenen Ärzte eine Verfassungsbeschwerde in Betracht ziehen. 

Es ist zu erwarten, dass das BSG seine bereits in diesen Fall ergangene Entscheidung aber im Ergebnis halten wird, indem es auf den Täuschungsaspekt abstellt.  

Rechtsanwalt und Fachanwalt für Medizinrecht Philip Christmann
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