(14.11.2016) Nicht nur die Techniker Krankenkasse hat Ärzten geraten, ihre Patienten als kränker darzustellen, als sie wirklich sind, um dadurch Ausgleichzahlungen aus dem Gesundheitsfond für Schwerkranke zu erhalten. Das Bundesversicherungsamt (BVA) hat eine Vielzahl von Verfahren gegen Krankenkassen wegen des sog. up-codings eingeleitet.

Beim up-coding geht es den Krankenkassen um viel GeldWie die FAZ berichtete, hat das BVA gegen 11 Kassen entsprechend ermittelt. Die AOK Rheinland/Hamburg wurde auf Zahlung von sieben Millionen Euro verklagt von dem BVA. Dieses Verfahren vor dem Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen soll nun von der AOK ohne Urteil beigelegt worden sein, indem die AOK sich bereit erklärte, den gesamten klageweise geforderten Betrag zu zahlen. Mit anderen Worten soll die AOK die Strafe hingenommen haben. Aus Sicht der FAZ geschah dies, um das Verfahren ohne großes Aufsehen aus der Welt zu schaffen. 

Optimieren alle Kassen?

Kassen, die besonders viele Schwerkranke versichern, erhalten Risikoausgleichszahlungen aus dem Gesundheitsfond. Die Kassen stehen miteinander in hartem Wettbewerb. Das läßt befürchten, dass sämtliche oder zumindest die Mehrzahl der Krankenkassen Ärzte dazu bewegt haben, bei ihren Patienten schwerwiegendere Krankheiten zu diagnostizieren, als diese tatsächlich haben. So werden Patienten, die eine depressive Phase durchlaufen, als "depressiv" eingestuft. Patienten mit Atembeschwerden werden zu "Asthmatikern", wer Herzbeschwerden hatte, wird als "herzkrank" in den Akten vermerkt. Wer einfache Rückenschmerzen hat, dem wird ein Bandscheibenvorfall angedichtet. Und die Ärzte machen dabei augenscheinlich mit. 

Die Patienten haben dadurch massive Nachteile. Oft erkennen die Patienten aber gar nicht, was der Arzt abgerechnet hat und welche Diagnosen er der Kasse meldete. So bleibt es den Patienten oft verborgen, dass sie als schwerkrank geführt werden. Auch der Staat wird geprellt - er muss mehr und mehr Geld über den Gesundheitsfonds an die Kassen auszahlen für die Behandlung von Krankheiten, die es nicht gibt. 

Schwierige Gegenwehr

Woher soll der Patient wissen, welche Diagnosen der Arzt abgerechnet hat? Der gesetzlich versicherte Patient hat keinen unmittelbaren Einblick in die vom Arzt an die Kasse übersendeten Diagnosen, die sog. ICD-10-Schlüssel. Wer hier Klarheit haben will, kann seinen Arzt anschreiben und ihn bitten, ihm eine Kopie des "Auszugs der medizinischen Daten" zu senden (selbstverständlich gegen Ersatz der Kopie- und Portkosten etc.). Manche Ärzte bezeichnen diese Übersicht auch als "Laufzettel" oder "Karteikarte". In diesem Auszug findet sich eine Übersicht aller wichtigen Behandlungsschritte, d.h. Untersuchungen (U) Medikamentenverordnungen (M) und eben - der Diagnosen (D).

Auszug aus den medizinischen Daten des ArztesDiese Diagnosen sind als sog. ICD-Schlüssel codiert, z.B. steht "K59.0G" für "Verstopfung". Was die ICD bedeuten, kann jeder Patient dann über Internetseiten prüfen oder eine entsprechende App laden. Und an den verordneten Medikamenten (M) kann der Patient sehen, wie er tatsächlich bewertet wurde: wer trotz einer angeblichen Herzkrankheit ohne entsprechende Medikamente oder Weiterbehandlungen nach Hause entlassen wird, kann so krank nicht sein.

Praxistipp:

Wer nun herausfindet, dass er kränker gemacht wurde als er ist, sollte dies der Kasse schriftlich mitteilen und schlicht Strafanzeige gegen Kasse und Arzt wegen Betruges erstatten. Wer nicht derart mit der Tür ins Haus fallen will, sollte zumindest dem Bundesversicherungsamt Mitteilung machen. 

Rechtsanwalt und Fachanwalt für Medizinrecht Philip Christmann
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