(16.11.2016) Weder eine psychologische Behandlung noch zwei Kinder im schulfähigen Alter oder vermeintliche fachliche Defizite im somatischen Bereich können einen Facharzt für psychotherapeutische Medizin mit halbem Versorgungsdauftrag vom Bereitschaftsdienst befreien, der voraussichtlich 5-6 mal im Jahr stattfinden wird, entschied das Sozialgericht München (Urteil vom 25.10.2016 - S 38 KA 1293/15).

Das Gericht verweigerte dem Arzt eine Befreiung vom BereitschaftsdienstDer Fall:

Ab Mitte 2017 sollte der Arzt 5-6 Bereitschaftsdienste im Jahr übernehmen. Der Arzt machte eine Vielzahl von Befreiungsgründen geltend: Unter anderem gabe er an, er habe sich um seine zwei Kinder zu kümmern zusammen mit seiner Ehefrau, die zu unregelmäßigen Zeiten arbeite. Er sei in psychologischer Behandlung wegen depressiver Verstimmungszustände und es bestehe das Risiko einer depressiven Dekompression. Er habe seit 1994 nicht mehr somatisch behandelt. Die angebotenen Fortbildungen zum Ausgleich seiner Defizite im somatischen Bereich seien mangelhaft. 

Die Entscheidung:

Das Sozialgericht ließ all dies nicht gelten. Die Entscheidung der KV, keine Befreiung zu erteilen, sei nicht zu beanstanden. Das Gericht kann nur dann diese Entscheidung aufheben, wenn die KV nicht anders hätte entscheiden können (dürfen), als die Befreiung zu erteilen (sog. Ermessensreduzierung auf Null). Und dass sei nur dann der Fall, wenn ausnahmsweise "schwerwiegende Gründe" vorliegen (§ 14 Bereitschaftsdienstordnung der KV Bayern (BDO-KVB)). Und die vom Arzt vorgetragenen Gründe reichten dem SG nicht, insbesondere liegen keine hinreichenden gesundheitlichen Gründe vor:

Diesbezüglich besteht nach § 14 Abs. 2 BDO-KVB eine Nachweispflicht des klagenden Arztes. Er hat hierzu mehrere Atteste eingereicht, so von Dres. D. und E. vom 27.03.2014 und 01.12.2014 sowie von Dr. C. vom 18.03.2014. Das fachkundig mit zwei Ärzten besetzte Gericht teilt hier die Auffassung der beklagten KV, was die Aussagekraft und den Inhalt der Atteste betrifft. Aus dem Attest von Dr. C. vom 18.03.2014 ergibt sich lediglich, dass der Kläger sich wegen einer rezidivierenden depressiven Störung bei diesem vom 23.10.2006 bis 30.07.2013 in Behandlung befand. Eine genaue Diagnose findet sich darin nicht. Dies gilt auch für das Attest der Dres. D., E. vom 27.03.2014. Darin ist lediglich die Rede davon, dass sich der Kläger seit April 2012 wegen einer depressiven Erkrankung in Behandlung befindet. Lediglich das Attest der Dres. D., E. vom 01.12.2014 erscheint aussagekräftiger. Dort wird darüber informiert, dass sich der Kläger wegen einer rezidivierender depressiven Störung in Behandlung befinde und eine Teilnahme am Bereitschaftsdienst mit einem erheblichen Risiko der Verschlechterung der depressiven Erkrankung verbunden sei. Daraus zieht der Aussteller den Schluss, dass die Teilnahme am Bereitschaftsdienst mit der Gesundheit des Klägers nicht zu vereinbaren sei. Auch dieses Attest entspricht jedoch nach Auffassung der mit zwei Ärzten besetzten Kammer nicht den Anforderungen an die Nachweispflicht. Es lässt sich daraus nicht der Schweregrad der Erkrankung entnehmen, der es dem Kläger unmöglich machen soll, am vertragsärztlichen Bereitschaftsdienst teilzunehmen. Außerdem ist davon auszugehen, dass dem Aussteller des Attestes die geringe Dienstfrequenz nicht bekannt war, so dass sie überhaupt nicht beurteilen konnten, ob eine Teilnahme am Bereitschaftsdienst mit der Erkrankung des Klägers nicht zu vereinbaren ist. Letztendlich hat die Klägerseite auch keine aktuellen Befunde vorgelegt - die Atteste sind 2 Jahre alt -, so dass nicht beurteilbar ist, ob der Kläger aktuell nicht in der Lage ist, doch am Bereitschaftsdienst teilzunehmen.

Das SG befand weiter, der Arzt könne bei Terminskollisionen einen Vertreter bestellen; auch befähige ihn seine Approbation zur Behandlung auch somatischer Fälle. Defizite kann er durch Fortbildungen ausgleichen. Er hat noch bis Mitte 2017 Zeit, sich dafür geeignete Fortbildungen zu suchen.

Praxisanmerkung:

Mit der Entscheidung liegt das SG München auf einer Linie mit dem Bundessozialgericht (BSG, Urteil vom 19.08.2015, B 6 KA 41/14 R), das ebenfalls nur in absoluten Ausnahmefällen eine Befreiung zuläßt und auch psychotherapeutisch ausgerichtete Ärzte zum allgemeinen (auch somatischen) Notdienst verpflichtet. 

Gleichwohl kommt eine Befreiung durchaus in Betracht, wenn der Arzt gesundheitliche Gründe vorweisen kann. Diese gesundheitlichen Gründe müssen aber gut belegt sein. Entsprechende Atteste, Bescheinigungen oder Arztbriefe müssen aktuell und detailliert sein und müssen sich damit auseinandersetzen, wie hoch die Dienstfrequenz im Bereitschaftsdienst wäre. Man muss hier aber schauen, dass man nicht über das Ziel hinausschießt und nachher als derart krank dasteht, dass man die Zulassung entzogen bekommt.  

Rechtsanwalt und Fachanwalt für Medizinrecht Philip Christmann
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