(5.12.2016) Gehört die gesamte Praxiseinrichtung dem Seniorpartner, der die Praxiseinrichtung der Gemeinschaftspraxis der Juniorpartnerin nur (unentgeltlich) zur Nutzung zur Verfügung stellt und muss er auch zumindest mittelbar allein für die Begleichung sämtlicher Praxisausgaben aufkommen, während die Juniorpartnerin keine Risiken trägt und beschränkte Geschäftsführungsbefugnisse hat, so liegt eine abhängige Beschäftigung der Juniorpartnerin vor. Vertragsarztrechtliche Einordnungen sind insofern zweitrangig (Landessozialgericht Baden-Württemberg, Urteil vom 23. November 2016 – L 5 R 1176/15).

Sozialversicherungspflicht bei einer 70/30-GemeinschaftspraxisDer Fall:

Streitig ist, ob eine Zahnärztin abhängig beschäftigt und ihre Tätigkeit damit sozialversicherungspflichtig ist.

Grundlage der Kooperation zwischen der Zahnärztin und dem klagenden Zahnarzt (Senior) war eine 30prozentige Gewinnbeteiligung der Zahnärztin. Der Senior stellte alle Betriebsmittel und zahlte alle Kosten und erledigte die Abrechnung für die Zahnärztin.

Die beklagte Sozialversicherungsträgerin verlangte von dem Kläger die Nachzahlung von Sozialversicherungsentgelten. Dagegen klagte der Senior.  

Die Entscheidung:

Das LSG bestätigte das Urteil des Sozialgerichts, das auch eine Sozialversicherungspflicht bejaht hatte.

Maßgeblich waren dafür folgende Erwägungen:

  • Der Senior stellte alle Betriebsmittel auf seine Kosten zur Verfügung
  • er zahlt auch die laufenden Kosten und zwar aus seinem 70%igen Gewinnanteil
  • die Zahnärztin trug kein Kapitalrisiko
  • die Zahnärztin trat auch gegenüber Patienten und Krankenkassen nicht in Erscheinung, weil der Senior die gesamte Abrechnung für sie übernommen hatte
  • sie hatte eine im Innenverhältnis beschränkte Geschäftsführungsbefugnis
  • bezüglich Krankheit und Urlaub wurde sie wie eine Arbeitnehmerin behandelt
  • auch konnte der Senior eine Vertreterin einstellen, wenn die Zahnärztin sechs Wochen krank sein sollte

Nicht mehr ins Gewicht fielen dagegen folgende Punkte:

  • dass die Zahnärztin Kleininventar zur Verfügung stellt
  • fachlich weisungsfrei sind auch angestellte Ärzte, weil sie Dienste höherre Art erbringen 
  • ebenso dass sie im Innenverhältnis nicht von Haftungsansprüchen Dritter freigestellt ist
  • dass sie eine eigene kassenarztrechtliche Zulassung besitzt

Das LSG weist darauf hin, dass diese Kostruktion auch kassenarztrechtlich nicht zulässig ist, weil die Zahnärztin nicht - wie es das Gesetz erfordert - "in freier Praxis" tätig ist. 

Praxisanmerkung:

Es handelt sich um ein verkapptes Anstellungsverhältnis. Alle Risiken liegen beim Senior, der dafür mit 70% den Gutteil der Einnahmen der Zahnärztin erhält. Dafür übernimmt er auch gleich - ähnlich einem Arbeitgeber - die Abrechnungen. Insofern ist die Entscheidung folgerichtig. Der klagende Zahnarzt muss also rund 13.000 Euro an Sozialabgaben nachzahlen. 

Die Zahnärztin dagegen riskiert sogar eine Entziehung ihrer Zulassung, wenn sie über längere Zeit nicht in freier Praxis tätig, sondern vielmehr einer Arbeitnehmerin gleich beschäftigt war. Dann ist die für die Zahnärztin "bequeme" Einbettung in die bestehende Praxisorganisation teuer erkauft.  

Vor Abschluss eines Kooperationsvertrages bzw. Gesellschaftsvertrages sollte ein Juniorpartner daher immer den ihm vorgelegten Vertrag prüfen lassen. 

Rechtsanwalt und Fachanwalt für Medizinrecht Philip Christmann
Vertretung und Beratung im Medizinrecht und Arztrecht
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