Nach dem OLG Koblenz rechtfertigt ein Diagnoseirrtum nur ausnahmsweise einen Behandlungsfehlervorwurf (OLG Koblenz, Urt. v. 29.06.2006, - 5 U 1494/05 -).

Das OLG Koblenz erinnert in der Entscheidung an den althergebrachten Grundsatz des Bundesgerichtshofs und hob die erstinstanzliche Verurteilung eines Arztes zu einer Schmerzensgeldzahlung auf.

Der Arzt hatte bei einer 15-jährigen Patientin eine Blindarmentzündung nicht erkannt. Zwar deuteten die Blutwerte auf eine Appendizitis hin, diese konnten aber aufgrund eines Klopfschmerzes im Nierenbereich auch als Harnwegsinfekt gedeutet werden. Der übrige Befund (u.a. nicht angespannter, druckschmerzfreier Abdomen) sprach nicht für eine Blindarmentzündung.

Sachverständig beraten beurteilten die Richter des OLG die Befundlage als "schwierig" und entschieden, dass der Arzt die erhobenen Befunde plausibel gedeutet hätte. Das OLG wies darauf hin, dass Irrtümer bei der Diagnosestellung in der medizinischen Praxis nicht ungewöhnlich seien und nicht ohne weiteres als Folge eines vorwerfbaren ärztlichen Verhaltens angesehen werden könnten. Die Symptome einer sich äußernden Erkrankung seien oftmals mehrdeutig und ließen so auf die verschiedensten Ursachen schließen. Das Gericht führte weiter aus, dass, wenn eine Ursache nahe liege, könne das den Blick auf andere Umstände verstellen, ohne dass damit Fahrlässigkeit einhergehen müsse.

Praxisanmerkung:

Die Entscheidung liegt ganz auf der Linie des Bundesgerichtshofes: Ein Arzt kann die medizinische Situation so oder so beurteilen. Ein Fehlervorwurf kann damit nicht verbunden werden. Erst wenn die Diagnose schlicht gar nicht mehr sachlich nachvollziehbar ist, spricht man von einem vorwerfbaren (zur Arzthaftung führenden) Diagnoseirrtum. 

Ohne weiteres haftbar macht sich dagegen der Arzt, der notwendige Diagnosen gar nicht erst erhebt (und dadurch einen Befund, den er hätte behandeln müssen, ganz übersieht oder falsch interpretiert, zum Beispiel wenn ein ein Arzt in einer Geburtsklinik bei schwierigem Geburtsverlauf kein CTG bei der Mutter anlegt, um die Herztöne des Kindes zu kontrollieren)). Dies nennt man einen Befunderhebungsfehler und dieser führt in der Regel auch zu einer Haftung des Arztes.

Rechtsanwalt und Fachanwalt für Medizinrecht Philip Christmann
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