(13.7.2017) Muss sich der Patient zum Arzt begeben, kann der Arzt keinen Besuch nach § 8 GOÄ (Wegegeld) oder nach § 9 GOÄ (Reiseentschädigung) abrechnen, auch wenn der Patient in der Praxis eines anderen Arztes behandelt wird. Dies gilt auch für einen Anästhesisten bei einem chirurgischen Eingriff. Ein rügepflichtiger Berufsrechtsverstoß ergibt sich aus einer fehlerhaften Abrechnung nur, wenn diese nachlässig und in Honorarmehrungsabsicht erfolgt - bei Abrechnungsfragen, die umstritten sind, liegt ein Verstoß nur dann vor, wenn seine Abrechnung einer gefestigten Rechtsprechung widerspricht (Berufsgerichtshof für die Heilberufe Schleswig, Urteil vom 16.03.2016 - 30 LB 2/15 BG II).

Abrechnung von WegegeldernDer Fall:

Streitig war die Abrechnung von Reiseentschädigungen anläßlich einer privatärztlichen Behandlung eines Anästhesisten in der Praxis eines Chirurgen. Die zuständige Ärztekammer warf dem Anästhesisten vor, falsch abgerechnet und damit gegen Berufspflichten verstoßen zu haben.

Die Entscheidung:

Der Berufsgerichtshof kam zu dem Ergebnis, dass die Abrechnung nicht korrekt war (1). Ein vorwerfbarer Verstoß gegen die ärztlichen Berufspflichten ergebe sich daraus aber nicht (2).

1.
Ein „Besuch“ i.S.d. GOÄ liege vor, wenn der Arzt einen Patienten an einem Ort aufsucht, an dem der Arzt üblicherweise seine berufliche Tätigkeit nicht ausübt. Ein Besuch liege nach der GOÄ nur vor, wenn sich der Arzt zum Patienten (oder an den Ort eines Notfalles) begebe. Ein „Besuch“ des Patienten liege also nicht vor, wenn die Behandlung an einem Ort befindet an den sich auch der Patient begeben müsste, sei dies nun die regelmäßige Arbeitsstätte des Arztes, eine Zweitpraxis oder der Ort einer belegärztlichen Tätigkeit etc. Kein Besuch liege auch dann vor, wenn der Arzt ohne Vernlassung des Patienten zu der Behandlung eines anderen Arztes (hier Chirurg) zur arbeitsteiligen Behandlung hinzugezogen werde.
Letzteres treffe auch für die Tätigkeit eines Anästhesisten im Zusammenhang mit einem chirurgischen Eingriff zu. Die Anästhesieleistung wäre ohne die gleichzeitig stattfindende chirurgische Leistung sinnlos. Der Anästhesist erweitere durch seine Fahrt den Kreis seiner Behandlungsfälle auf Patienten, die er von seiner eigenen Praxis von vornherein nicht erreichen könne; so gesehen diene der Weg von seiner Praxis zu derjenigen eines anderen Arztes (Chirurgen) gleichsam der Akquise zusätzlicher Patienten. Dafür könne nach den gebührenrechtlichen Vorschriften keine (zusätzliche Wege-)Entschädigung beansprucht werden.

2.
Die nach § 12 I BO geltende Pflicht zur Abrechnung (nur) „angemessener“ Honorarforderungen sei nicht bereits bei jedem Abrechnungsfehler verletzt, sondern erst dann, wenn dieser Fehler aus einer nachlässigen Handhabung der GOÄ-Bestimmungen hervorgehe und geeignet sei, das Vertrauen zwischen Arzt und Patient oder das Ansehen des Arztberufs zu gefährden, weil sie eine „Honorarmehrungsabsicht“ zum Ausdruck bringe. Eine berufsrechtliche Sanktion sei - insbesondere - veranlasst, wenn das inkriminierte Abrechnungsverhalten nicht dem Standard entspricht, der nach der GOÄ und deren Anwendungspraxis in der Ärzteschaft allgemein gilt oder erwartet werden kann. Soweit die Anwendung der GOÄ-Bestimmungen zu rechtlichen Zweifelsfragen führe, könne einem Arzt eine Abrechnung nur dann vorgeworfen werden, wenn sie einer gefestigten, auch durch die Rechtsprechung geklärten Abrechnungspraxis widerspricht.

Im Hinblick auf diese Überlegungen sei dem Arzt die - objektiv fehlerhafte - Abrechnung einer Reiseentschädigung nicht vorwerfbar. Der Arzt hätte zwar erkennen können, dass die Rechtsprechung diese Wegepauschalen im Bereich der vertragsärztlichen Versorgung ablehnt (vgl. LSG Chemnitz, Urt. v. 19.05.2010, L 1 KA 14/09, NZS 2011, 154/157, LSG Essen, Urt. v. 15.12.2010, L 11 KA 65/07). Er habe aber nicht ohne weiteres erkennen können, was diesbezüglich bei Privatpatienten gelte, weil die Bundesärztekammer den Ansatz von Reiseentschädigung für die Fallkonstellation einer „gewissen Regelmäßigkeit“ der Tätigkeit eines Anästhesisten in anderen Praxen ablehne, wobei unklar sei, was darunter genau zu verstehen sein soll.

Praxisanmerkung:

Der Berufsgerichtshof stelle damit nach Ansicht von Jahn (ZMGR 2016, 333, 334) überzogene Anforderungen an den Begriff des Besuches. Meines Erachtens nach ist das Urteil nachvollziehbar. Wegegelder sind auch ein Ausgleich für das kostenverursachende Wegbewegen vom eingerichteten „Betrieb“ - einen solchen besitzt der im Umherziehen tätige Anästhesist nicht oder nicht in demselben Umfang wie andere niedergelassene Ärzte und spart so Kosten, kann dann auf der anderen Seite für die notwendigen Fahrtkosten zur Praxis des Chirurgen aber auch keinen Ersatz vom Patienten verlangen.

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Das Urteil im Volltext:

Tenor

Die Berufung wird zurückgewiesen. Die einleitende Kammer trägt die Kosten des Verfahrens.

Tatbestand

Die einleitende Kammer wendet sich mit ihrer Berufung gegen das Urteil des Berufsgerichts für Heilberufe in Schleswig vom 13. Mai 2015, mit dem die Klage gegen den Beschuldigten abgewiesen worden ist.

Die Ärztekammer hat gegen den Beschuldigten am 11. August 2014 Klage erhoben. Der Beschuldigte ist Facharzt für Anästhesie in A-​Stadt und betreibt dort ein eigenes ambulantes OP-​Zentrum.

Der Beschuldigte hat Leistungen gegenüber zwei privat versicherten Patientinnen erbracht: Am 29.02.2012 hat er mit der Patientin X ein Narkose-​Vorgespräch geführt und am 21.03.2012 eine Anästhesie durchgeführt. Bei dem ersten Termin wurden Leistungen in Bezug auf elf weitere gesetzlich versicherte Patienten, bei dem zweiten Termin Leistungen für sechs weitere gesetzlich versicherte Patienten, erbracht.

Am 18.04.2012 wurde ein Narkose-​Vorgespräch mit der Patientin Y geführt, die Narkose wurde am 25.04.2012 durchgeführt. Beim Vorgespräch wurden Leistungen an elf weitere, gesetzlich versicherte Patienten, beim zweiten Termin sechs weitere Leistungen gegenüber gesetzlich versicherten Patienten erbracht.

Alle Leistungen wurden in der Praxis eines anderen Arztes in B. erbracht.

Der Beschuldigte stellte anschließend den Patientinnen X und Y Reisekostenentschädigung gemäß § 9 GOÄ in Rechnung und brachte weiter die Gebühren-​Nr. 34 GOÄ in Ansatz. Die Patientinnen erhoben dagegen Einwendungen und baten die Ärztekammer um Prüfung; diese ersuchte den Beschuldigten um eine Stellungnahme. Dieser teilte mit, die Forderung der Reisekostenentschädigung sei nicht zu beanstanden, da an den jeweiligen Tagen kein anderer Patient, bei dem Fahrtkosten abgerechnet worden seien, behandelt worden sei. Bei der Patientin X seien wegen eines Tumors am Rücken und schlechter Blut-​Sauerstoff-​Werte lebensbedrohliche Komplikationen möglich gewesen. Mit der Patientin Y sei wegen schwerer Adipositas, Hypertonie und Diabetes Mellitus ein ausführliches Anamnese-​Gespräch geführt worden.

Die Ärztekammer beschloss daraufhin, den Untersuchungsführer mit weiteren Ermittlungen zu beauftragen. Nach Anhörung des Beschuldigten und des Arztes aus B. hat sie am 11. August 2014 gegen den Beschuldigten Klage erhoben und ihm vorgeworfen, schuldhaft gegen Berufspflichten verstoßen zu haben, indem er in den Fällen der Patientin Y bzw. der Patientin X jeweils das Wegegeld bzw. die Reisekostenentschädigung zu 100 % in Rechnung gestellt habe, obwohl noch weitere Narkose-​Vorgespräche geführt bzw. Narkosen in der Praxis in B. erfolgt seien und indem er in beiden Fällen zu Unrecht die Gebühren-​Nr. 34 GOÄ abgerechnet habe.

Auf ihren Antrag, gegen den Beschuldigten eine Geldbuße zu verhängen, deren Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt wurde, hat das Berufsgericht für die Heilberufe mit Urteil vom 13. Mai 2015 die Klage als unbegründet abgewiesen, da sich der Beschuldigte keines Berufsvergehens schuldig gemacht habe. Die einleitende Kammer habe nicht substantiiert dargelegt, dass der Beschuldigte entgegen § 12 Abs. 1 BO keine angemessene Honorarforderung erhoben und die GOÄ nicht beachtet habe. Der Beschuldigte werde nicht regelmäßig, sondern zu unterschiedlichen Zeitpunkten, jeweils auf Anforderung, in der Praxis in B. tätig. Soweit ihm vorgeworfen werde, dass er das Wegegeld bzw. die Reise-​Entschädigung jeweils zu 100 % in Rechnung gestellt habe, obwohl an dem Tag noch weitere Patienten von ihm behandelt worden seien, sei darin keine schuldhafte Berufspflichtverletzung zu erkennen. Die einleitende Kammer benenne keine rechtliche Grundlage, aus der sich ergebe, dass der Beschuldigte das Wegegeld bzw. die Reiseentschädigung nur anteilig verlangen könne, wenn an demselben Tag noch weitere Patienten von ihm behandelt würden und er von diesen keine Reiseentschädigung erhalte. Soweit sich aus § 8 Abs. 3 GOÄ ergebe, dass im Fall der Behandlung mehrerer Patienten in einem Heim das Wegegeld insgesamt nur einmal und nur anteilig berechnet werden darf, liege der Tatbestand dieser Vorschrift im vorliegenden Fall nicht vor. Eine Auslegung der Vorschrift über die Fälle der „häuslichen Gemeinschaft und „Heim“ hinaus verbiete sich. Nach der 4. Verordnung zur Änderung der GOÄ komme es für das Wegegeld nicht mehr auf die zurückgelegten Kilometer, sondern auf den Entfernungsradius von der Praxisstelle bzw. der Wohnung des Arztes an. Damit sei der Zwang zur Kürzung des Wegegeldes bei Besuch mehrerer Patienten gerade entfallen. Das bedeute auch, dass der Arzt, der mehrere - mehr als 25 km entfernt wohnende - Patienten besuche, die Reise-​Entschädigung mehrfach in Ansatz bringen könne. Eine Verpflichtung, diese Entschädigung nur anteilig geltend zu machen, sei der GOÄ nicht zu entnehmen. Selbst wenn man sich insoweit der Rechtsauffassung der einleitenden Kammer anschließen wollte, läge in einer davon abweichenden Anwendung der GOÄ-​Vorschriften kein schuldhafter Verstoß gegen die Berufsordnung.

Zu dem Vorwurf, die Gebühren-​Nr. 34 GOÄ zu Unrecht in Ansatz gebracht zu haben, fehle eine substantiierte Darlegung der einleitenden Kammer. Der Beschuldigte habe dazu angegeben, dass aufgrund der Vorerkrankungen bzw. der Besonderheiten der Lagerung bei dem operativen Eingriff erhebliche Risiken bestanden hätten. Es sei nicht Aufgabe des Gerichts, von Amts wegen zu überprüfen, ob dies tatsächlich in den vorliegenden Fällen der Fall gewesen sei. Ebenso sei es nicht Aufgabe des berufsgerichtlichen Verfahrens, rechtlich zweifelhafte Abrechnungsfragen abschließend zu klären oder Streitigkeiten zwischen Arzt und Patient über Art und Umfang erbrachter Leistungen aufzuklären. Es gehe nur darum, eklatante Verstöße gegen die Gebührenordnung zu ahnden. Derartige Verstöße seien nicht ersichtlich.

Gegen das ihr am 29. Mai 2015 zugestellte Urteil hat die Ärztekammer am 29. Juni 2015 Berufung eingelegt. Sie ist der Ansicht, vorliegend lägen keine rechtlich zweifelhaften Abrechnungsfragen vor. Jede Abrechnung, die nicht den GOÄ-​Vorschriften entspreche, sei geeignet, einen berufsrechtlich relevanten Verstoß zu begründen, wenn die Berechnung entweder vorsätzlich fehlerhaft oder offensichtlich außerhalb jeder rechtlichen Meinung liege.

Ein Wegegeld (§ 8 GOÄ) bzw. eine Reise-​Entschädigung (§ 9 GOÄ) sei nicht zu beanspruchen, wenn die Behandlung an einem Ort erfolge, an dem der Arzt regelmäßig tätig sei. Anästhesisten seien „häufig“ in der Praxis eines anderen Arztes tätig. Wenngleich dies zu unterschiedlichen Zeiten und auf „Anforderung“ erfolge, sei die ärztliche Tätigkeit dort „regelmäßig“. Der Beschuldigte sei zudem nicht berechtigt, in den beiden Behandlungsfällen das Wegegeld bzw. die Reiseentschädigung „ungekürzt“ abzurechnen. Die Vorschrift in § 8 Abs. 3 GOÄ habe insoweit eine lediglich klarstellende Funktion in dem Sinne, dass nur einmal und anteilig abgerechnet werden dürfe.

Eine Abrechnung nach Nr. 34 GOÄ sei dem Anästhesisten „grundsätzlich“ nicht möglich. Ausnahmen könnten nur in Frage kommen, wenn der Anästhesist eine eigenständige Therapie (z. B. Schmerztherapie) durchführe. Nr. 34 GOÄ könne für den Operateur, nicht aber für den Anästhesisten einschlägig sein. Der Anästhesist erbringe eine lediglich akzessorische Leistung.

Der Beschuldigte sei hierauf wiederholt hingewiesen worden, missachte diese Hinweise aber, indem er fortgesetzt, bewusst fehlerhaft und schlechterdings unvertretbar feststehende Begrifflichkeiten („Besuch“) und Leistungslegenden - zu Nr. 34 GOÄ - übergehe. Die damit erkennbare Honorarmehrungsabsicht sei geeignet, das Ansehen des gesamten Berufsstandes zu tangieren.

Der Beschuldigte gehe zudem selbst davon aus, dass er auch bezüglich gesetzlich versicherter Patienten Wegegeld abrechnen könne; die Abrede zwischen einem Anästhesisten und einem Operateur dahingehend, dass der Anästhesist regelmäßig in der Praxis des Operateurs tätig wäre, stehe einem Wegegeld entgegen. Eine solche Abrede liege hier vor. Bei der Anwendung der Nr. 34 GOÄ komme es nicht auf einen Interpretationsspielraum an.

Die einleitende Kammer beantragt,

das Urteil des Berufsgerichts für die Heilberufe vom 13. Mai 2015 aufzuheben und gegen den Beschuldigten eine Geldbuße zu verhängen, deren Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt wird.

Der Beschuldigte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er ist der Ansicht, die GOÄ enthalte keine Pflicht zur Anrechnung des Wegegeldes bzw. der Reise-​Entschädigung, wenn auch gesetzlich versicherte Patienten behandelt würden. § 8 Abs. 3 GOÄ erfasse nicht die Behandlung in einer fremden Praxis. Eine „zweite Arbeitsstelle“ mit angemietetem Sprechzimmer etc. werde in Büdelsdorf nicht unterhalten. Die beanstandete Abrechnungspraxis sei vertretbar, umso mehr jedenfalls, wenn sich der betreffende Arzt von einem spezialisierten Anwalt beraten lasse und sich im Einklang mit einem GOÄ-​Kommentar befinde. Selbst wenn man die Auffassung der Ärztekammer für richtig erachte, liege ein nicht vermeidbarer Verbotsirrtum i.S.d. § 17 StGB vor. Eine schuldhafte Pflichtverletzung liege auch in Bezug auf die Abrechnung nach Nr. 34 GOÄ nicht vor. Eine abweichende Rechtsauffassung der Ärztekammer sei insoweit unerheblich.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf Ermittlungsakte sowie auf die Gerichtsakte Bezug genommen. Der Senat hat die mit der Ladung verbundene Anordnung des persönlichen Erscheinens des Beschuldigten in der mündlichen Verhandlung aufgehoben.

Entscheidungsgründe

Die fristgerecht erhobene und begründete Berufung der einleitenden Kammer ist unbegründet. Das Berufsgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen.

Auszugehen ist von den Berufspflichtverletzungen, die dem Beschuldigten in der Klage der einleitenden Kammer vorgeworfen sind (1.). Sodann ist zu klären, ob diesen Vorwürfen - objektiv - eine nicht den Vorschriften der GOÄ entsprechende Abrechnung zugrundeliegt (2.) Schließlich kommt es darauf an, ob der Beschuldigte vorwerfbar - mithin schuldhaft - gehandelt hat (3.)

Insgesamt ergibt sich, dass dem Beschuldigten kein Berufsrechtsverstoß in Bezug auf den Ansatz einer Gebühr nach der Anlage zur GOÄ „Gebührenverzeichnis für ärztliche Leistungen“ - B. III. Nr. 34 - vorgeworfen werden kann. Hinsichtlich der Entschädigungen nach §§ 7 ff. GOÄ hat der Beschuldigte zwar nicht den gebührenrechtlichen Vorgaben entsprechend abgerechnet, insoweit ist aber kein vorwerfbarer Berufsrechtsverstoß festzustellen.

Im Einzelnen:

1. Die einleitende Kammer geht - im Ausgangspunkt - zutreffend davon aus, dass eine nicht den Vorschriften der GOÄ entsprechende Abrechnung geeignet ist, einen Verstoß gegen die in § 12 Abs. 1 BO bestimmte Pflicht zur Abrechnung (nur) „angemessener“ Honorarforderungen zu begründen. Ein Arzt darf die Abrechnungstatbestände nach der GOÄ und die darin bestimmten Gebührensätze nicht missachten; er hat bei der Abrechnung seiner Honorare die GOÄ Bestimmungen sorgfältig zu beachten und gegebenenfalls bestehende Besonderheiten der Gebührenberechnung zu dokumentieren und zu begründen.

Aus der Klageschrift der einleitenden Kammer muss der Vorwurf eines bestimmten Berufsvergehens zu entnehmen sein (§ 66 Abs. 2 S. 1 HBKG SH). Das erfordert die Angabe der als - vorwerfbar - fehlerhaft erachteten Honorar- bzw. Entschädigungsforderungen. Der Gegenstand des als eine Berufspflichtverletzung vorgeworfenen Verhaltens muss eindeutig benannt und die Grenzen des dazu unterbreiteten Tatsachenstoffs genau umrissen werden. Das dient gleichzeitig dem Zweck, dem Beschuldigten die Möglichkeit zu geben, sich gegen die Vorwürfe sachgerecht zu verteidigen. Es genügt deshalb nicht, wenn sich ein - nicht benannter Vorwurf - erst durch den Rückgriff auf Unterlagen ergibt, die in der Klageschrift nicht benannt werden; unter solchen Umständen ist die Klageschrift nicht mehr aus sich heraus verständlich (vgl. Landesberufsgericht für Heilberufe NRW, Urteil vom 13.08.2014 – 6t A 1025/12.T –, Rn. 92, juris, m.w.N.).

Nach der Klageschrift wird dem Beschuldigten vorgeworfen, im Falle der Patientinnen X und Y „jeweils ein Wegegeld nach § 8 und die Reiseentschädigung nach § 9 GOÄ zu 100 % in Rechnung gestellt“ zu haben, obwohl „... noch weitere Narkose-​Vorgespräche geführt wurden“, weiter wird dem Beschuldigten vorgeworfen, „im Falle beider Patienten zu Unrecht die Gebührennummer 34 abgerechnet“ zu haben.

1.1 Zum erstgenannten Vorwurf ist festzustellen, dass der Beschuldigte in seinen Rechnungen vom 23.05.2012 (X bzw. Y) jeweils auch „Besuche“ nach GOÄ-​Nr. 50 in Rechnung gestellt hatte. Die Abrechnung der Gebühren-​Nr. 50 GOÄ (Besuch) ist in der Klageschrift der einleitenden Kammer unberücksichtigt geblieben, obwohl ein „Besuch“ - auch - zu den Tatbestandsvoraussetzungen einer Forderung nach §§ 8, 9 GOÄ gehört. Da die Klageschrift in dieser Hinsicht gegen den Beschuldigten keinen Vorwurf erhebt, ist er nicht Gegenstand des berufsgerichtlichen Verfahrens und bedarf keiner weiteren Erörterung. Allein der sachlogische Zusammenhang zwischen einer Besuchsgebühr nach Nr. 50 GOÄ und der Geltendmachung einer Reiseentschädigung rechtfertigt es nicht, erstere in das vorliegende Verfahren einzubeziehen.

Der Klagevorwurf ist - unabhängig davon - unpräzise, denn der Besch. hat in seinen Rechnungen vom 23.05.2012 kein Wegegeld nach § 8 GOÄ, sondern - nur - eine Reiseentschädigung nach § 9 GOÄ geltend gemacht. Dementsprechend ist zu prüfen, ob der Beschuldigte vorwerfbar fehlerhaft eine Reiseentschädigung nach § 9 GOÄ abgerechnet hat.

1.2 Zu dem zweiten Vorwurf nimmt die Klageschrift Bezug auf die Rechnungen des Beschuldigten, in denen er ausgeführt hat, es habe (jeweils) eine „Erörterung der Auswirkungen einer Krankheit/20 Min.“ stattgefunden. Damit ist der Vorwurf hinreichend bestimmt angegeben.

2. In Bezug auf die Abrechnung von Reiseentschädigungen nach § 9 GOÄ liegt eine nicht korrekte Abrechnung des Beschuldigten vor (2.1); in Bezug auf die Abrechnung einer Gebühr nach Nr. B III. 34 GOÄ ist dies nicht festzustellen (2.2).

2.1 Eine Reiseentschädigung nach § 9 Abs. 1 GOÄ kann der Arzt für „Besuche“ über eine Entfernung von mehr als 25 Kilometern zwischen der Praxisstelle des Arztes und der Besuchsstelle fordern.

Ein „Besuch“ liegt vor, wenn der Arzt einen Patienten an einem Ort aufsucht, an dem der Arzt üblicherweise seine berufliche Tätigkeit nicht ausübt (Hoffmann/Kleinken, Gebührenordnung für Ärzte, Kommentar (Lbl.), Stand Frühjahr 2012, § 7 GOÄ Rn. 2). Im Fall des Beschuldigten könnte danach die Behandlung der Patientinnen X und Y in B. als „Besuch“ angesehen werden, denn seine Praxis („ambulantes OP-​Zentrum“) befindet sich im ca. 53 km entfernten A-​Stadt. Dort ist er regelmäßig tätig. Die Annahme, dass er - zugleich - auch in der Praxis des dort behandelnden Arztes (Dr. …) in B „üblicherweise“ tätig sei, wird durch dessen Äußerung widerlegt, wonach der Beschuldigte dort zu unterschiedlichen Zeitpunkten und jeweils auf Anforderung tätig werde.

Der GOÄ ist indessen zu entnehmen, dass ein „Besuch“ nur vorliegt, wenn sich der Arzt zum Patienten begibt, also im Allgemeinen dorthin, wo der Patient lebt. Nach der Anlage zur GOÄ - Gebührenverzeichnis für ärztliche Leistungen – werden der Besuch „eines Patienten“ in einer Pflegestation (Nr. 48) bzw. das „Aufsuchen“ eines Patienten (Nr. 52) vergütet. Davon gehen die §§ 7 ff. GOÄ ersichtlich aus, indem sie einen „Besuch“ nur annehmen, wenn der Arzt den Patienten in dessen häuslichen Lebensbereich oder - bei einem Notfall - am Notfallort aufsucht. Das wird aus der Berechnung der Entfernung zur „Besuchsstelle“ deutlich, die dem häuslichen Lebensbereich (ersatzweise: dem Notfallort) entspricht. Dem entsprechend stellt die (gem. § 9 Abs. 3 GOÄ auch für die Reiseentschädigung anwendbare) Vorschrift in § 8 Abs. 3 GOÄ über die nur einmalige und anteilige Berechnung der Entschädigung auf Besuche „in derselben häuslichen Gemeinschaft oder in einem Heim“ ab; hätte der Gesetzgeber auch Reiseaufwendungen für Tätigkeiten in anderen Praxen erfassen wollen, wäre die Einschränkung in § 8 Abs. 3 GOÄ nicht verständlich.

Ein „Besuch“ des Patienten im Sinne der GOÄ liegt dem entsprechend nicht vor, wenn die ärztliche Tätigkeit an einem Ort erbracht wird, zu dem sich (auch) der Patient erst begeben muss.

Das ist der Fall, wenn die Leistung in der regelmäßigen Arbeitsstätte des Arztes erbracht wird (Hoffmann/Kleinken, a.a.O., § 7 GOÄ Rn. 4), ebenso, wenn die Leistungserbringung in ausgegliederten Praxisteilen, in einer Zweitpraxis oder als sog. Belegarzt oder im Rahmen eines MVZ (§ 95 Abs. 1a SGB V) erfolgt.

Das Gleiche - kein „Besuch“ - gilt aber auch dann, wenn ein Arzt ohne Veranlassung durch den Patienten zur Behandlung in einer anderen Praxis hinzugezogen wird, weil er dort mit einem anderen Arzt - einem Chirurgen - zusammenarbeitet und die erforderliche Leistung nur in Zusammenarbeit mit diesem erbringen kann. Das trifft für die Tätigkeit eines Anästhesisten im Zusammenhang mit einem chirurgischen Eingriff zu. Eine solche Anästhesie kann in den eigenen Praxisräumen des Anästhesisten nicht erbracht werden. In diesem Fall ist der „übliche“ Ort der beruflichen Tätigkeit des Anästhesisten der Ort, wo dessen Leistung erbracht wird, also der Ort der „auswärtigen“, anderen Praxis (vgl. OVG Münster, Urt. v. 18.12.1990, 12 A 78/88, MedR 1991, 218 sowie AG Aachen, Urt. v. 21.10.1994, 4 C 412/94, openJur 2012, 74466, Rn. 16; vgl. auch Pieritz, Deutsches Ärzteblatt 104, Heft 46 [16.11.2007], Seite A-​3212; Hermanns/Filler/Rosch (Hg.), Gebührenordnung für Ärzte, 2011, Erl. zu Nr. 50 GOÄ). Auf die Frage, ob die Anästhesieleistung nur auf einzelne „Anforderung“ oder „regelmäßig“ in der Praxis eines anderen Arztes oder einem Krankenhaus oder einer anderen zugelassenen Behandlungseinrichtung erbracht wird, kommt es in diesen Fällen nicht an, da der Anästhesist nicht den Patienten aufsucht, sondern einen Ort, an dem er die erforderliche Leistung nur erbringen kann. Die Anästhesieleistung wäre ohne die gleichzeitig stattfindende chirurgische Leistung sinnlos. Der Anästhesist erweitert auf diese Weise den Kreis seiner Behandlungsfälle auf Patienten, die er von seiner eigenen Praxis von vornherein nicht erreichen könnte; so gesehen, dient der Weg von seiner Praxis zu derjenigen eines anderen Arztes (Chirurgen) gleichsam der Akquise zusätzlicher Patienten. Dafür kann nach den gebührenrechtlichen Vorschriften keine (zusätzliche Wege-​)Entschädigung beansprucht werden.

Anzumerken ist, dass auch im Bereich der vertragsärztlichen Versorgung ein abrechnungsfähiger - „Besuch“ in Fällen der vorliegenden Art nicht gegeben ist. Sucht ein Anästhesist die Praxis eines anderen Arztes auf, um dort Leistungen zu erbringen, gilt der Tätigkeitsort als „Nebenbetriebsstätte“ (§ 15a Abs. 2 S. 2 des Bundesmantelvertrags-​Ärzte [BMV-​Ä]). Das Aufsuchen einer anderen Praxis zur Mitwirkung an der dortigen Leistungserbringung stellt keinen Besuch dar und kann weder über Nr. 05230 noch - im Sinne einer Wegepauschale - über die Nr. 1.4 (2.) des Teils II (i. V. m. Nr.’n 01410 ff.) des Einheitlichen Bewertungsmaßstabes für vertragsärztliche Leistungen (EBM; EBM 2000plus) abgerechnet werden (LSG Chemnitz, Urt. v. 19.05.2010, L 1 KA 14/09, NZS 2011, 154/157 [Rn. 15], LSG Essen, Urt. v. 15.12.2010, L 11 KA 65/07, Juris [Rn. 38]).

Tatbestandlich liegt damit kein „Besuch“ i. S. d. §§ 7, 9 Abs. 1 GOÄ vor. Die weitere, zwischen den Beteiligten streitige Frage, ob eine Reiseentschädigung nach § 9 Abs. 3 GOÄ i. V. m. einer „analogen“ Anwendung des § 8 Abs. 3 GOÄ insgesamt nur einmal und nur anteilig in Ansatz gebracht werden kann, ist folglich nicht entscheidungserheblich.

2.2 Die Abrechnung der Gebühr nach Nr. B.III. 34 der Anlage zur GOÄ - Gebührenverzeichnis für ärztliche Leistungen - ist rechtlich nicht zu beanstanden. Entgegen der Ansicht der einleitenden Kammer ist eine „offensichtliche Missachtung“ der dieser Gebührenziffer zu entnehmenden Leistungslegende nicht feststellbar.

Die Annahme, dass der Beschuldigte die tatsächlichen Voraussetzungen der Nr. 34 GOÄ in den konkreten Fällen nicht erfüllt hat, bedarf keiner weiteren Prüfung, da die Klage bzw. der Vorwurf einer Berufspflichtverletzung auf eine solche Annahme nicht gestützt wird. Weder wird dem Beschuldigten vorgeworfen, dass keine Erörterung oder Beratung stattgefunden hat, noch werden (auch nur) Ansatzpunkte dafür benannt, dass in den Fällen der beiden Patientinnen kein spezieller Erörterungs- oder Beratungsbedarf gegeben war. Aus den vorliegenden Ermittlungsergebnissen und - insbesondere - den (unwidersprochen gebliebenen) Einlassungen des Beschuldigten ist nicht abzuleiten, dass der Beschuldigte auf den „Grundtatbestand“ im GOÄ-​Gebührenverzeichnis B.I. Nr. 3 („eingehende, das gewöhnliche Maß übersteigende Beratung… mindestens 10 Minuten“) beschränkt war. Wenn er, wie angegeben, beide Patientinnen intensiv und mehr als 20 Minuten lang im Hinblick auf besondere gesundheitliche bzw. konstitutionelle Indikationen beraten hat (bzgl. der Patientin X: schwierige Lagerung wegen Tumor am Rücken, schlechte Blutsauerstoffwerte, mögliche lebensbedrohliche Komplikationen; Patientin Y: schwere Adipositas, Hypertonie, Diabetes Mellitus, ausführliche Anamnese), kommt eine Abrechnung nach Nr. B.III.34 der Anlage zur GOÄ - Gebührenverzeichnis für ärztliche Leistungen - in Betracht. Dabei kommt es - entgegen der im Schriftsatz der Ärztekammer vom 11.11.2015 (Seite 5) gestellten Frage im Zusammenhang mit der Nr. B.III.34 GOÄ - nicht auf die weitergehende (fernliegende) Frage an, ob durch die operationsbegleitende Narkose eine lebensbedrohlichen Erkrankung behandelt wird. Maßgeblich sind vielmehr die Planung eines operativen Eingriffs und die Abwägung seiner Konsequenzen und Risiken, die mit der Feststellung oder erheblichen Verschlimmerung einer nachhaltig lebensverändernden oder lebensbedrohenden Erkrankung im Zusammenhang stehen, einschließlich Beratung. Die Leistungslegende erfasst im Falle einer Erörterung bzw. Beratung über eine operationsbegleitende Narkose nicht die Behandlung der Erkrankung, sondern die Risiken der Narkose in Relation zur Indikation, die die Operationsleistung begründet.

Vor diesem Hintergrund folgt der Senat der erstinstanzlichen Entscheidung, dies auch insoweit, dass es in Ermangelung einer entsprechenden Substantiierung durch die einleitende Kammer nicht Aufgabe der gerichtlichen Überprüfung ist, von Amts wegen das Vorliegen erheblicher oder (gar) lebensbedrohlicher Risiken im Zusammenhang mit der bevorstehenden Anästhesie zu überprüfen. Derartigen, im Tatsächlichen liegende Zweifelsfragen ist zuvörderst durch entsprechende Ermittlungen der einleitenden Kammer abzuhelfen; fehlt es daran, kann im gerichtlichen Verfahren insoweit kein berufsrechtswidriger Abrechnungsfehler festgestellt werden.

Liegt danach - (nur) in Bezug auf die Reiseentschädigung (§ 9 GOÄ) - eine fehlerhafte Abrechnung vor, so folgt daraus noch nicht ohne weiteres, dass diese als Berufsrechtsverstoß zu ahnden ist. Die nach § 12 Abs. 1 BO geltende Pflicht zur Abrechnung (nur) „angemessener“ Honorarforderungen ist nicht bereits bei jedem Abrechnungsfehler verletzt, sondern erst dann, wenn dieser Fehler aus einer nachlässigen Handhabung der GOÄ-​Bestimmungen hervorgeht und geeignet ist, das Vertrauen zwischen Arzt und Patient oder das Ansehen des Arztberufs zu gefährden, weil sie - wie es die einleitende Kammer es formuliert hat - eine „Honorarmehrungsabsicht“ zum Ausdruck bringt. Eine berufsrechtliche Sanktion ist - insbesondere - veranlasst, wenn das inkriminierte Abrechnungsverhalten nicht dem Standard entspricht, der nach der GOÄ und deren Anwendungspraxis in der Ärzteschaft allgemein gilt oder erwartet werden kann. Soweit die Anwendung der GOÄ-​Bestimmungen zu rechtlichen Zweifelsfragen führt, kann einem Arzt eine Abrechnung nur dann vorgeworfen werden, wenn sie einer gefestigten, auch durch die Rechtsprechung geklärten Abrechnungspraxis widerspricht. Berufsrechtliche Sanktionen bleiben, wenn es um solche Zweifelsfragen geht, ein letztes Mittel und auf wirklich gravierende Fälle beschränkt, in denen klar ist, dass andere Berufsangehörige in einer vergleichbaren Situation in ihrer großen Mehrheit anders gehandelt hätten. Die Klärung honorarrechtlicher Ansprüche ist vorrangig dem Rechtsverhältnis zwischen Arzt und Kostenträger (gesetzliche Versicherung oder Privatpatient) zuzuweisen.

Im Hinblick auf diese Überlegungen ist dem Beschuldigten die - objektiv fehlerhafte - Abrechnung einer Reiseentschädigung nicht vorwerfbar. Der Beschuldigte konnte zwar erkennen, dass die für den Bereich der vertragsärztlichen Versorgung maßgebliche Rechtsprechung (LSG Chemnitz, a.a.O., LSG Essen a.a.O.) die Berücksichtigung von Wegepauschalen bei der Honorarabrechnung ablehnt, er konnte aber nicht ohne Weiteres erkennen, dass für den Bereich der privatärztlichen Versorgung im Ergebnis das Gleiche gilt (s. o. 2.1). Auch wenn man im Rahmen einer (hohen) Sorgfaltspflicht von dem Beschuldigten verlangen wollte, sich für diesen Bereich rechtlich „kundig“ zu machen, wäre er nicht zu eindeutigen Schlussfolgerungen gekommen: Er hätte erfahren können, dass die Bundesärztekammer den Ansatz von Reiseentschädigung für die Fallkonstellation einer „gewissen Regelmäßigkeit“ der Tätigkeit eines Anästhesisten in anderen Praxen ablehnt, wobei unklar ist, was darunter genau zu verstehen sein soll (vgl. Pieritz, a.a.O). In der Kommentarliteratur wird - soweit ersichtlich - die Frage, ob (überhaupt) ein „Besuch“ i. S. d. §§ 7 ff. GOÄ vorliegt, wenn der Anästhesist nicht den Patienten, sondern eine andere Praxis aufsucht, um dort an einer chirurgischen Behandlung mitzuwirken, nicht behandelt; es geht vielmehr um die Fragen, ob und ggf. ab welcher Einsatzhäufigkeit angenommen werden soll, dass die andere Praxis ein Ort ist, an dem der Anästhesist seiner Tätigkeit „üblicherweise“ nachgeht (vgl. Hoffmann/Kleinken, a.a.O., § 7 GOÄ Rn. 4) und ob eine anteilige Berechnung vorzunehmen ist, wenn mehrere Patienten in einer anderen Praxis „besucht“ werden (vgl. dazu [bejahend] Hermanns/Filler/Roscher, GOÄ, Kommentar, 2011, § 8, S. 70; Hach, Fachkommentar GOÄ und EBM für Anästhesisten, 1995, Kap. 5.B S. 18 {mit dem Zusatz, dass Kassenpatienten dabei außer Betracht bleiben sollen}; [verneinend] Brück/Klakow-​Franck, Kommentar zur GOÄ, 2015, § 8 GOÄ Rn. 4), wobei die Frage, ob § 9 Abs. 3 und § 8 Abs. 3 GOÄ analog oder entsprechend auf den - nach dem Wortlaut („häusliche Gemeinschaft“, „Heim“) nicht erfassten Fall einer Behandlung in einer anderen Praxis angewandt werden kann, nicht behandelt wird.

Soweit (wie oben - 2.1- ausgeführt) aus den Entscheidungen des OVG Münster bzw. des AG Aachen (a.a.O.) abzuleiten ist, dass in Fällen der vorliegenden Art keine Reiseentschädigung verlangt werden darf, war dies dem Beschuldigten nicht ohne Weiteres zugänglich; die Entscheidungen sind zwar in einem Kommentar (Hoffmann/Kleinken, a.a.O., Rn. 4) bzw. in der Veröffentlichung im Deutschen Ärzteblatt (Heft 46/2007, S. A 3212) angegeben worden, doch hat - insbesondere die Bundesärztekammer daraus keine klare Beratung für die Ärzteschaft abgeleitet.

Vor diesem Hintergrund kann dem Beschuldigten keine schuldhafte Verletzung seiner Berufspflichten vorgeworfen werden, weil er in den beiden Behandlungsfällen in B überhaupt eine Reiseentschädigung geltend gemacht hat; dies war nach der veröffentlichten Meinung der Bundesärztekammer nicht von vornherein unvertretbar. Das Gleiche gilt für die fehlende anteilige Aufteilung im Sinne von § 8 Abs. 3 GOÄ; hier ist dem Beschuldigten zugute zu halten, dass er sich jedenfalls einer in der Literatur vertretenen Ansicht (Hach, a.a.O.) angeschlossen hat. Insoweit kommt hinzu, dass der Ansicht der einleitenden Kammer, § 8 Abs. 3 GOÄ sei - über seinen Wortlaut hinaus - auch für Fälle der vorliegenden Art. („klarstellend“) anzuwenden, im vorliegenden - berufsrechtlichen - Zusammenhang einer Ausdehnung der Vorschrift zu Lasten des Beschuldigten gleichkäme. Bei einer Sanktion ist dies nicht zulässig, denn der Beschuldigte hat für eine solche zumal rechtlich nicht gesicherte - Auslegung des § 8 Abs. 3 GOÄ berufsrechtlich nicht einzustehen.

Ein schuldhafter Verstoß des Beschuldigten ist nach alledem nicht festzustellen. Er musste zur Zeit der beiden Abrechnungen noch nicht „klüger“ sein, als er es nunmehr, nach Klärung der Rechtslage im vorliegenden Verfahren sein kann.

4. Anzumerken bleibt, dass die vorliegende Entscheidung in künftigen Abrechnungsfällen der vorliegenden Art zu beachten sein wird. Sollte der Beschuldigte in künftigen Abrechnungsfällen ungeachtet dessen an seiner bisherigen Praxis festhalten und eine Leistungserbringung in einer anderen Praxis als einen entschädigungspflichtigen „Besuch“ abrechnen, wäre dies nach den Ausführungen oben zu 2.1 objektiv rechtswidrig. Es wäre - dann - auch schuldhaft-​vorwerfbar. Dafür genügt es, wenn der Beschuldigte mit der Rechtswidrigkeit seiner Abrechnungspraxis rechnet und diese ggf. billigend in Kauf nimmt (vgl. Landesberufsgericht für die Heilberufe Münster, Urt. v. 06.02.2013, 6t A 1843/10.T, Juris [Rn. 202-​205]).

Für die hier vorgeworfenen Abrechnungsfälle - in der Vergangenheit - ist der Vorwurf eines - schuldhaft begangenen - berufsgerichtlichen Vergehens in Form einer Honorarabrechnung grundsätzlichen Einwänden ausgesetzt ist, da über die rechtmäßige Anwendung der mit dem Vorwurf zusammenhängenden Vorschriften der GOÄ zur „Tatzeit“ noch Streit oder Rechtsunsicherheit bestand. Die Rechtsunsicherheit kann nicht „ex post“ durch eine „Rechtsbehauptung“ der einleitenden Kammer beseitigt werden, sondern - entweder - (de lege ferenda) durch eine entsprechende Änderung der GOÄ - oder - durch gerichtliche Klärung. Eine Ahndung des Abrechnungsverhaltens vor dieser Klärung scheitert - wie ausgeführt - an der Vorwerfbarkeit. Künftig wird dies - im Falle einer Wiederholung des Abrechnungsverhaltens im hier gezeigten Sinn - anders zu beurteilen sein.

5. Die Berufung ist nach alledem zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 73 Abs. 1 HWKG und § 154 Abs. 2 VwGO.

Das Urteil ist gemäß § 71 HWKG unanfechtbar.

Rechtsanwalt und Fachanwalt für Medizinrecht Philip Christmann
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