(14.8.2017) Der niedergelassene Arzt ist an eine von ihm individuell vereinbarte Richtgröße gebunden. Überschreitet er diese Richtgrößen, hat er den kompletten Mehraufwand zu erstatten. Weitere Praxisbesonderheiten kann er dann nicht mehr geltend machen (Sozialgericht Dresden, Urteil vom 26. Juli 2017 – S 18 KA 11/14).

Regress wegen MedikamentenverordnungDer Fall:

Im Streit stand ein Regress gegen einen Hautarzt in Höhe von rund EUR 290.000 der Verordnungen von Arznei- und Verbandmitteln einschließlich Sprechstundenbedarf für das Jahr 2010.   

Vorausgegangen war dem im Jahr 2009 eine Richtgrößenprüfung gegen den Arzt und späteren Kläger für das Jahr 2007. Im Rahmen dieses Verfahrens machte der Kläger Praxisbesonderheiten bei der Verordnung von Medikamenten zur Behandlung bestimmter Hauterkrankungen geltend. Unter Berücksichtigung dieser Praxisbesonderheiten wurde ein Regress von rund EUR 5.000 festgesetzt.

Die Prüfungsstelle bot dem Kläger aber einen Vergleich an: Wenn der Kläger der Vereinbarung einer praxisindividuellen Richtgrößenvereinbarung zustimme (gemäß § 106 Abs. 5d SGB V), falle der Regress weg. Diese Vereinbarung berücksichtigte die vom Kläger vorgetragenen Praxisbesonderheiten. Der klagende Hautarzt stimmte der Vereinbarung einer praxisindividuellen Richtgrößenvereinbarung zu.  

In der Folgezeit übetrschritt der Kläger die vereinbarte Richtgröße. Die Prüfungsstelle regressierte den Hautarzt um rund EUR 290.000. Der Hautarzt widersprach diesem Regress. Der Bedarf seiner Patienten habe sich unvorhersehbar verändert.  

Die Entscheidung: 

Das Sozialgericht Dresden wies die Klage des Hautarztes als unbegründet ab.

Denn die Vereinbarung individueller Richtgrößen bindet den Vertragsarzt. Dier Vereinbarung nimmt ihm im Falle der Überschreitung dieser Richtgröße die Möglichkeit, diese nachträglich in Zweifel zu ziehen; auch die nachträgliche Geltendmachung von Praxisbesonderheiten ist ausgeschlossen. Außerdem ist nach dem eindeutigen Wortlaut des Gesetzes der komplette Mehraufwand ohne "Toleranzbereich" (wie in § 106 Abs. 5a Satz 1 und 3 SGB V in Höhe von 25 %) zu erstatten (vgl. BSG, Urteil vom 28. August 2013 – B 6 KA 46/12 R –, SozR 4-2500 § 106 Nr 42, Rn. 18, juris, mit weiteren Nachweisen aus der Literatur).

Soweit der Kläger geltend macht, der Regress sei auch unverhältnismäßig, weil bestimmte Veränderungen im Medikamentenbereich bei Abschluss der Vereinbarung der individuellen Richtgröße nicht absehbar gewesen seien, vielmehr die Geschäftsgrundlage für diese Vereinbarung im Nachhinein weggefallen sei, ist das Sozialgericht diesem Einwand im Ergebnis nicht gefolgt: Das SG Dresden stellte fest, dass der Kläger aufgrund seines bisherigen Verordnungsverhaltens wusste, dass sich die Medikamentenkosten für bestimmte Gruppen von Patienten (Humira als Ersatz für Raptiva), die als Praxisbesonderheit bereits in der individuellen Richtgröße berücksichtigt waren, sich nach oben entwickeln würden. Der Kläger hatte daher schon vor Vertragsabschluss die Möglichkeit, den Beklagten darauf aufmerksam zu machen, dass die vertragliche Regelung, die sich an den Arzneimittelverordnungen des Jahres 2007 orientierte, für das Jahr 2010 nach seiner Meinung einer gewissen Anpassung bedürfen könnte.

Praxisanmerkung:

Bereits bei Vereinbarung einer praxisindividuellen Richtgrößenvereinbarung sollte der Arzt vorsichtig sein und berücksichtigen, dass diese Vereinbarung ihm regelmäßig weitere Einwände abschneidet. Die Vereinbarung einer praxisindividuellen Richtgrößenvereinbarung will also gut überlegt und kalkuliert sein. Erforderlichenfalls sollte der Arzt - nach fachkundiger anwaltlicher Beratung - die Laufzeit der Vereinbarung einer praxisindividuellen Richtgrößenvereinbarung kurz halten oder Vorbehalte einfügen. Er soll also nicht sogleich den vorgeschlagenen Vergleich annehmen, sondern sollte die Richtgröße wirklich im Einzelnen ausverhandeln. 

Rechtsanwalt und Fachanwalt für Medizinrecht Philip Christmann
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