(28.8.2017) Wie die FAZ berichtet, habe der ehemalige Krankenpfleger Niels H. nach neuen Angaben der Ermittler 84 weitere Menschen getötet, neben den sechs Fällen, für die er bereits wegen Mordes zu lebenslanger Haft verurteilt wurde. Die Zahl der Todesfälle liege nach Angaben der Ermittler vermutlich sogar weit höher. Viele Patienten seien jedoch eingeäschert worden und können nicht mehr untersucht werden. Weiterhin werden auch schwere Vorwürfe gegen die Kliniken in Delmenhorst und Oldenburg erhoben, in denen der Pfleger damals arbeitete.

 Krankenhausflur
Der Krankenpfleger Nils H. arbeitete in den Jahren 1999-2002 in Oldenburg und dann in den Jahren 2003-2005 in Delmenhorst. Dort verabreichte er Patienten u.a. das Herzmittel Gilurytmal (Wirkstoff: Ajmalin), das in hoher Dosis Herzinfarkte erzeugt. Dann "rettete" er die Patienten, was ihm einen Nervenkitzel verschaffte. In vielen Fällen mißlang dies aber auch und die Patienten verstarben an Herzversagen.    

Nachdem eine auffällig hohe Zahl von Patienten während der Dienstzeiten des Krankenpflgers Nils H. verstorben waren, soll es beim medizinischen Personal in den Kliniken in Delmenhorst und Oldenburg Gerüchte gegeben haben, Nils H. könne dafür verantwortlich gewesen sein. In Delmenhorst lagen nach Ansicht der Staatsanwaltschaft aber auch konkrete Hinweise vor, dass er Patienten tötete. Zwei frühere Delmenhorster Oberärzte und der Stationsleiter werden deshalb wegen Totschlags durch Unterlassen vor Gericht stehen. Die Ermittlungen gegen Verantwortliche am Klinikum Oldenburg laufen dagegen noch.

Im Jahr 2005 erwischte ihn eine Krankenschwester bei dem Versuch, einem Patienten ein ärztlich nicht verordnetes Mittel zu spritzen. Im Strafverfahren gestand er schließlich mehrere Taten und wurde wegen Mordes zu lebenslanger Haft verurteilt.

Für die Hinterbliebenen der in den Kliniken verstorbenen Patienten stellt sich die Frage, inwiefern die Klinikärzte von dem Verdacht, der Krankenpfleger könne Patienten getötet haben, Kenntnis hatten und gleichwohl untätig blieben. Würde sich der Verdacht bestätigen, müssten sich diese Ärzte dafür strafrechtlich verantworten. Auch die Kliniken wären dafür verantwortlich. Daneben könnten die Hinterbliebenen Schadensersatz- und Schmerzensgeldansprüche geltend machen, wenn die Klinikleitungen die weiteren Tötungen nicht verhinderten. Im Rahmen des Schmerzensgeldes wäre dann ausnahmsweise auch der Strafcharakter des Schadensersatzes von erheblicher Bedeutung. 

Sollten sich diese Befürchtungen bestätigen, so sind weit mehr Patienten betroffen, als zuerst angenommen. Dies wäre der größte Mordfall in der deutschen Medizin. Es wäre ein unglaublicher Skandal, wenn tatsächlich Verantwortliche der Kliniken den Krankenpfleger der Tötung von Patienten verdächtigten und ihn trotzdem nicht aus dem Dienst entfernten und den Verdacht der Polizei mitteilten. Denn dann trügen die Kliniken eine Mitverantwortung für den Tod einer Vielzahl von Patienten. 

Praxishinweis: 

Die Hinterbliebenen, deren Angehörige in den Jahren 1999-2002 in Oldenburg oder in den Jahren 2003-2005 in Delmenhorst an Herzversagen oder in sonstiger Weise unerwartet verstarben, sollten wie folgt vorgehen:

  • Strafanzeige gegen die Kliniken stellen
  • durch einen Rechtsanwalt nach § 406 e StPO Einsicht in die Strafakte nehmen, sobald die Ermittlungen beendet sind
  • zivilrechtliche Ansprüche auf Schmerzensgeld und Schadensersatz prüfen lassen
  • alternativ können Angehörige auch Ansprüche auf Schmerzensgeld bei dem Klinikum Oldenburg und Delmenhorst dem Grunde nach geltend machen (also ohne einen konkreten Betrag zu nennen) und abwarten, ob das Klinikum sich bereits außergerichtlich zu einer Zahlung bereit erklärt
  • Verjährung droht erst nach drei Jahren nach Ende des Jahres, in dem die Angehörigen von den Vorgängen Kenntnis hatten, sprich erst nach Akteneinsicht in die Ermittlungsakten  

Die Kliniken haben immer noch kein übergreifendes Sicherheitssystem oder ein anonymes Meldesystem zur Erfassung solcher Unregelmäßigkeiten eingeführt. Im vorliegenden Fall des Krankenpflegers Nils H. wäre die Mordserie möglicherweise durch eine anonyme Meldung des Verdachtes früher beendet worden. Mitarbeiter scheuen oft ein Anschwärzen von Kollegen (whistleblowing), weil dieses negative arbeitsrechtliche Folgen für den Meldenden haben kann, die kurioserweise bis zur Entlassung des Meldenden reichen können. Möglicherweise führen erst teure und publikumswirksame Haftungsverfahren wegen unterlassenem Eingreifen in diesem Fall zu einem Umdenken der Klinikverwaltungen.

Rechtsanwalt und Fachanwalt für Medizinrecht Philip Christmann
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