(24.10.2017) Ansprüche auf Versorgungsleistungen wegen eines Impfschadens nach § 60 IfSG erfordern den Nachweis der Impfung und des Impfschadens und zwar mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit. Beweiserleichterungen beim Primärschaden, wie sie der 15. Senat des Bayer. LSG, Urteil vom 31.07.2012, L 15 VJ 9/09 zuließ, greifen hier nicht ein (Bayerisches Landessozialgericht, Urteil vom 25. Juli 2017 – L 20 VJ 1/17).

InfusionskanülenDer Fall:

Eine fünfundddreißigjährige Frau ließ sich im Juni 2005 gegen Frühsommer-Menigoencephalitis (FSME) mit dem Medikament FSME-immun(r) sowie gegen Poliomyelitis, Diphtherie und Tetanus mit dem Kombinationsimpfstoff Revaxis(r) impfen. Im September desselben Jahres erhielt sie eine Impfung gegen Poliomyelitis mit IPV Merieux(r) und Diphtherie mit dem Diphtherie-Adsorbat-Impfstoff Behring für Erwachsene. Nach der ersten Impfung kam es zu einer vorübergehenden lokalen Impfreaktion.

Wann die Frau danach gesundheitlichen Beeinträchtigungen erlitt, ist im Einzelnen streitig. Fest steht, dass erstmalig Mitte Februar 2006 erste sensorische Ausfallerscheinungen an den Zehen und Händen ärztlich dokumentiert wurden. Im März 2006 wurde bei ihr ein Guillain-Barré-Syndrom diagnostiziert, sprich ein akut auftretendes neurologisches Krankheitsbild, bei dem es zu entzündlichen Veränderungen des äußeren Nervensystems mit zunehmenden Sensibilitätsstörungen und Lähmungen in Armen und Beinen kommt, dessen genaue Ursache unbekannt ist. Bei dieser Erkrankung dringen Bakterien in den Körper ein, die in ihrem Aussehen bestimmten körpereigenen Nervenzellen ähneln - das Immunsystem greift nun auch die eigenen Nervenzellen an und beschädigt diese. Das Guillain-Barré-Syndrom ist auch schon nach Impfungen beobachtet worden.

Aufgrund des zeitlichen Abstandes zwischen der Impfung (Mitte 2005) und der ersten ärztlich dokumentierten Impfreaktion (Anfang 2006) wies die zuständige Behörde nach Einholung eines medizinischen Sachverständigengutachtens Ersatzansprüche der betroffenen Frau nach § 60 IfSG als unbegründet zurück. Es fehle der Nachweis einer Verursachung des Guillain-Barré-Syndroms durch die Impfungen.

Die Frau klagte auf Leistung vor dem Sozialgericht. Das Sozialgericht wies die Klage als unbegründet zurück. Die Betroffene ging in Berufung.

Die Entscheidung:

Auch das Landessozialgericht verneinte eine Kausalität und wies die Berufung als unbegründet zurück. Eine Impfkomplikation ließe sich nicht im Vollbeweis nachweisen, sprich mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit.

Das LSG führt zuerst aus, dass es an der dreistufigen Prüfung des Nachweises einer Impfreaktion, die das Bundessozialgericht fordert (Urteil vom 7.4.2011 - B 9 VJ 1/10 R), festhält. Es hat dabei der Rechtsauffassung eines anderen Senats des LSG (15. Senat des Bayer. LSG in seinem Urteil vom 31.07.2012 - L 15 VJ 9/09), der die Anforderungen an den Kausalitätsnachweis abgesenkt hatte, eine Absage erteilt. Dazu das LSG:

Folgende 3 Glieder müssen gegeben sein:

  1. Glied:
    Es bedarf eines schädigenden Vorgangs in Form einer "Schutzimpfung oder einer anderen Maßnahme der spezifischen Prophylaxe", die die genannten Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 Satz 1 IfSG erfüllen muss
  2.  Glied:
    es muss zu einer "gesundheitlichen Schädigung", also einem Primärschaden (d.h. einer Impfkomplikation) geführt haben
  3.  Glied:
    die wiederum den "Impfschaden", d.h. die dauerhafte gesundheitliche Schädigung, also den Folgeschaden bedingt.

Unter Anwendung dieser Grundsätze ist im vorliegenden Fall schon eine Impfkomplikation (Primärschaden, 2. Glied der Kausalkette) nach den Impfungen vom 06.06.2005 und 21.07.2005 nicht nachgewiesen. Dabei stützt sich der Senat auf die vorliegenden ärztlichen Berichte und Aufzeichnungen, insbesondere des impfenden Hausarztes, und die Einschätzungen sämtlicher Sachverständiger und Versorgungsärzte, die sich mit dieser Frage im Laufe des Verwaltungs- und Gerichtsverfahrens befasst haben.

Nach der ersten Impfung am 06.06.2005 hat es bei der Klägerin nur eine lokale Impfreaktion gegeben, die dem entspricht, was bei einer derartigen Impfung üblich und zu erwarten ist. Nach den eigenen Angaben der Klägerin gegenüber ihrem Hausarzt am 21.07.2005 war diese typische Impfreaktion bis zum 21.07.2005 wieder abgeklungen. Dr. R. hat am 21.07.2005 weder atypische Befunde erhoben noch Angaben der Klägerin vermerkt, die auf eine atypische Impfreaktion hindeuten würden.

Auch nach der zweiten Impfung am 21.07.2005 sind nach den vorliegenden Arzt- und Klinikberichten keine Befunde erhoben worden, die auf eine unübliche Impfreaktion der Klägerin hinweisen würden.

Wenn die Klägerin erst während des Verfahrens nach dem IfSG, also viele Jahren nach den Impfungen, behauptet, sie hätte sowohl nach der ersten als auch nach der zweiten Impfung erhebliche und anhaltende Nebenwirkungen verspürt und zudem eine schleichende Verschlechterung des Gesundheitszustands bemerkt, sind dies Behauptungen der Klägerin, die durch keinerlei objektiven Tatsachen oder Befunde gestützt werden; sie sind offensichtlich unter dem Eindruck des impfschadensrechtlichen Verfahrens erfolgt und stehen zudem in Widerspruch zu zeitnahen Angaben der Klägerin.

Praxisanmerkung:

Die von der Betroffenen geklagten Beschwerden unmittelbar nach der Impfung ließen sich nicht nachweisen, beispielsweise durch ärztliche Unterlagen. Eminent wichtig ist es also, dass geimpfte Personen beim ersten Auftreten von ungewöhnlichen Beschwerden zum Arzt gehen und diese melden. Ansonsten ist ein Nachweis einer zeitnahen ungewöhnlichen Reaktion des Körpers auf die Impfung sehr schwierig.

Rechtsanwalt und Fachanwalt für Medizinrecht Philip Christmann
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