(4.1.2018) Ein Operateur muss ausreichend ausgestattet sein, um den geplanten Eingriff vornehmen zu können. Bei der operativen Entfernung einer verschraubten Radiusplatte (Ostheosynthese nach Handgelenksfraktur) muss der Operateur damit rechnen, dass sich die Schraube mit der Platte verbunden haben kann (Kaltverschweißung) und dass dann spezielle Werkzeuge erforderlich sind, um die festsitzende Schraube zu lösen. Muss die Operation wegen fehlender Werkzeuge abgebrochen und später wiederholt werden, so rechtfertigt dies ein Schmerzensgeld von 500,00 für den Patienten (OLG Karlsruhe, Urteil vom 13. Dezember 2017 – 7 U 90/15). 

Schrauben in WinkelplatteDer Fall:

Zur Behandlung einer distalen Radiusfraktur des rechten Handgelenks wurde der Klägerin in der Klinik E. unter Verwendung von sechs Schrauben eine winkelstabile Radiuspatte eingesetzt. Bei einer ambulanten Operation am 9.5.2012 sollte der Beklagte, ein niedergelassener Chirurg, das Osteosynthesematerial entfernen. Dabei ließ sich eine Schraube aber nicht lösen.

Zur Entfernung dieser Schraube sowie der Radiusplatte ist die Klägerin anschließend in einer anderen Klinik erneut operiert worden. Infolge der ersten Operation hat die Klägerin an sich - im Verlauf zurückbildenden  -Nervenbeeinträchtigungen in ihrer rechten Hand gelitten. Sie macht Behandlungs- und Aufklärungsfehler geltend.

Die Entscheidung:

Das OLG Karlsruhe bejahte einen Behandlungsfehler und sprach der Klägerin ein Schmerzensgeld zu, wenn auch deutlich geringer als von dieser beantragt.

Bei der Schwierigkeit, Schrauben wegen des Verbunds mit der Winkelplatte nicht lösen zu können, handele es sich nach den Angaben des vom Gericht hinzugezogenen Sachverständigen um ein im Operationszeitpunkt bekanntes Problem.

So erläuterte der Sachverständige, dass die am ehesten anzunehmende Kaltverschweißung zwar extrem selten auftrete, aber durchaus ein bekanntes Phänomen sei. Nach einer intensiven Befassung mit der hierzu veröffentlichen Literatur führte er ergänzend aus, dass dieses im Operationszeitpunkt auch einem niedergelassenen Arzt dem Grunde nach bekannt gewesen sein musste. Es sei – wenn auch seltener – bereits bei den zuvor verwandten Platten aufgetreten. In einer Veröffentlichung von Breyer aus dem Jahr 2008 zum Thema „Indikation zur Entfernung winkelstabiler Radiusplatten“, erschienen in Trauma und Berufskrankheit 2008, 256 ff., sei bereits beschrieben worden, dass es auch bei winkelstabilen Platten dazu kommen könne, dass sich Schrauben schwer lösen. Die Beklagten hätten den Aufsatz auch zur Kenntnis nehmen müssen, da es sich bei der Zeitschrift um ein gängiges Publikationsorgan auf dem Gebiet der Unfallchirurgie handele, bei dem vorauszusetzen sei, dass sich auch ein niedergelassener Chirurg mit den dortigen Veröffentlichungen befasse.

SchraubensammlungAuf die Erkenntnis, dass sich die Schrauben mit den üblichen Werkzeugen nicht lösen lassen, mussten die Beklagten im streitgegenständlichen Zeitpunkt zur Erfüllung des Facharztstandards bereits in der Weise reagiert haben, dass ihnen zumindest ein linksdrehender Schraubendreher zur Verfügung stand. Hierzu führte der Sachverständige aufgrund seines Fachwissens und seiner eigenen Berufserfahrung überzeugend aus, dass in Praxen auch für die früher verwandten Platten bereits linksdrehende Extraktionsschrauben vorhanden waren für den Fall, dass sich Schrauben schwer lösen lassen. Insofern mussten niedergelassene Ärzte wie die Beklagten nach Bekanntwerden entsprechender Schwierigkeiten bei den neuen winkelstabilen Platten in vergleichbarer Weise Vorsorge treffen. 

Einen Aufklärungsfehler hat das OLG verneint. Über die Tatsache, dass die Beklagten kein Werkzeug zur Verfügung hatten, mit denen sich schwer lösbare Schrauben entfernen lassen, war nicht aufzuklären. Wie ausgeführt handelte es sich insofern um einen Behandlungsfehler und über einen solchen ist nicht aufzuklären.

Wegen der durch die notwendig gewordene zweite Operation erlittenen Beeinträchtigungen hält das OLG unter Einbeziehung aller erkennbarer Umstände ein Schmerzensgeld in Höhe von 500 € auch unter dem Aspekt der Genugtuung für ausreichend, aber auch erforderlich, um die durch den Behandlungsfehler erlittenen Folgen auszugleichen.

Praxisanmerkung:

Niedergelassene operierende Ärzte wie auch in Kliniken angestellte Operateure sollten sicher stellen, dass im Operationssaal auch solche Werkzeuge vorrätig sind, die nur in seltenen Fällen gebraucht werden, wie im vorliegenden Fall linksdrehende Schraubendreher und Extraktionsschrauben. 

Rechtsanwalt und Fachanwalt für Medizinrecht Philip Christmann
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