(5.1.2018) Behandelt ein niedergelassener Arzt eine Frau in einer Klinik (Entbindung), ohne dort über eine Anerkennung als Belegarzt zu verfügen, so bedeutet dies nicht, dass der Arzt fehlerhaft gehandelt hat und für die Folgen der Behandlung (Schwerbehinderung des Kindes) haften muss, wenn ihm ansonsten weder ein Behandlungs- noch ein Aufklärungsfehler vorzuwerfen ist (Oberlandesgericht Karlsruhe, Urteil vom 6.12.2017 – 7 U 221/16). 

Neugeborenes KindZusammenfassung:

Der beklagte Arzt führte im Jahr 1988 als ärztlicher Geburtshelfer in einem Krankenhaus eine Geburt durch, ohne dort formell als Belegarzt zugelassen zu sein. Es handelte sich um eine Risikoschwangerschaft. Während der Geburt kam es zu Komplikationen. Das Kind ist schwerbehindert. Die Sozialkasse (Klägerin) erbrachte Sozialleistungen für das Kind in Höhe von über 300.000 EUR, die es nun von dem Arzt ersetzt verlangte. Die Klägerin warf dem Arzt neben Behandlungs- und Aufklärungsfehlern auch vor, er habe fehlerhaft gehandelt, weil er nicht als Belegarzt zugelassen war (der Belegarzt ist ein niedergelassener Arzt, dem zusätzlich zu seiner Tätigkeit als niedergelassener Arzt von der Kassenärztlichen Vereinigung über eine gesonderte Genehmigung die Möglichkeit eingeräumt wird, Patienten im Krankenhaus zu behandeln, vgl. § 121 Abs. 2 SGB V).

Das Landgericht wies die Klage als unbegründet ab.

Das OLG wies die Berufung der Klägerin zurück: Behandlungs- und Aufklärungsfehler bestünden nicht. Auch die fehlende Anerkennung als Belegarzt begründe keine Haftung des beklagten Arztes. Die Regeln über den Belegarzt dienten der Verzahnung von ambulanter und stationärer Versorgung der Patienten und stellten keine Verbotsnormen dar. Und dass der Beklagte über keine Anerkennung als Belegarzt verfügt hat, sei letztlich nur im Innenverhältnis des Beklagten zu den kassenärztlichen Vereinigungen für die Abrechnung und im Innenverhältnis zu der stationären Einrichtung (Belegarztvertrag) von Bedeutung. 

Tenor

1. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Landgerichts Baden-​Baden vom 11. November 2016 - 2 O 299/12 - wird zurückgewiesen.

2. Die Klägerin trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

3. Das Urteil und das angefochtene Urteil sind vorläufig vollstreckbar.

Der Vollstreckungsschuldner kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht die Gegenseite zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

4. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Klägerin erbringt für D. S. (nachfolgend: Patient) Leistungen nach dem SGB XII (früher BSHG) und macht mit ihrer Klage aus übergegangenem Recht Schadensersatzansprüche wegen behaupteter fehlerhafter ärztlicher Behandlung im Zusammenhang mit der Geburt des Patienten am … 1988 geltend. Sie begehrt in der Hauptsache die Zahlung von EUR 321.256,45 für nicht kompensierte Leistungen nach dem SGB XII im Zeitraum 2005 bis zum 30.06.2012 (Eingliederungshilfe), die monatliche Vorauszahlung der - je nach Anzahl der monatlichen Kalendertage bezifferten - Leistungen ab dem 01.07.2012 sowie Feststellung einer Ersatzpflicht für weitere materielle Schäden (vorwiegend Fahrtkosten).

Das Landgericht, auf dessen Urteil wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes im ersten Rechtszug sowie der getroffenen Feststellungen gemäß § 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO Bezug genommen wird, hat die Klage abgewiesen. Es hat ausgeführt, es fehle an einer nachgewiesenen Pflichtverletzung des Beklagten. Dem Beklagten sei im Rahmen der Geburt des Patienten kein Behandlungsfehler unterlaufen. Allein der Umstand, dass der Beklagte als ärztlicher Geburtshelfer in einem Krankenhaus eine Geburt durchführe, ohne dort formell als Belegarzt zugelassen zu sein, begründe keine Haftung. Für den Rechtswidrigkeits- bzw. Pflichtwidrigkeitszusammenhang reiche es nicht aus, dass der Beklagte nach Auffassung der Klägerin unter Verstoß gegen § 3 der Anlage zum Bundesmantelvertrag tätig geworden sei. Für die Organisation einer sogenannten „Hol-​Regelung“ oder einer Anwesenheit des Beklagten von Anbeginn der Geburt an habe keine Veranlassung bestanden, da es sich bei der Schwangerschaft der Mutter des Patienten nicht um eine Risikoschwangerschaft gehandelt habe. Im Übrigen habe die Klägerin nicht bewiesen, dass die Schädigungen des Patienten auf einem verzögerten Eintreffen des Beklagten beruhten. Schließlich sei nicht bewiesen, dass dem Beklagten von vorneherein bekannt gewesen sei, dass das auf der Belegabteilung zum Einsatz gekommene CTG-​Gerät nicht hinreichend funktionstüchtig sei. Der Beklagte hafte nicht wegen Aufklärungsversäumnissen. Soweit überhaupt eine Aufklärungspflicht zu bejahen sei, habe sich das aufklärungspflichtige Risiko nicht verwirklicht. Hiergegen richtet sich die Berufung der Klägerin, mit der sie ihr erstinstanzliches Begehren in vollem Umfang weiterverfolgt. Sie trägt unter Wiederholung und Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vorbringens im Wesentlichen vor, der Beklagte habe seine Patientinnen - hier die Mutter des Patienten - in rechtswidriger Weise nach G. gebracht. Die Regelungen zum Belegarztwesen seien Schutzvorschriften zum Schutz des Patientenwohls. Ob sich die Verletzung der schützenden Norm im konkreten Fall tatsächlich in Form eines Schadens manifestiert habe, sei unerheblich. Die gesamte Behandlung sei verbotswidrig erfolgt. Da der Beklagte die Mutter des Patienten weder über seine fehlende Anerkennung als Belegarzt, noch über die von ihm behauptete Vertretungsregelung zwischen ihm und dem Belegarzt aufgeklärt habe, müsse er überdies auch für Fehler der Hebamme einstehen. Die Mutter des Patientin hätte bei einer wahrheitsgemäßen Information über diese Umstände einer Entbindung in G. nicht zugestimmt. Gleiches gelte, wenn der Beklagte die Mutter des Patienten darüber aufgeklärt hätte, dass das in G. vorhandene CTG keine brauchbaren und überzeugenden Aufzeichnungen liefern könne. Der Beklagte tritt dem entgegen und beantragt unter Wiederholung und Vertiefung seines erstinstanzlichen Vorbringens, die Berufung der Klägerin zu verwerfen.

Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes im zweiten Rechtszug wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen, wegen der Fassung der Anträge auf die Sitzungsniederschrift vom 22.11.2017 (II 119).

Die Akten des Landgerichts Baden-​Baden - 2 O 48/89 - und des Oberlandesgerichts Karlsruhe - 7 U 18/92 - lagen vor und waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Berufung der Klägerin hat keinen Erfolg.

Die Klägerin kann von dem Beklagten aus übergegangenem Recht weder unter dem Gesichtspunkt einer positiven Vertragsverletzung in Verbindung mit §§ 611 BGB, Art. 229 § 5 EGBGB noch unter dem Gesichtspunkt einer unerlaubten Handlung gemäß §§ 823 Abs. 1, 249ff BGB Ersatz des materiellen Schadens und die Feststellung einer Ersatzpflicht für künftigen materiellen Schaden verlangen.

1. Der Beklagte haftet nicht aufgrund von Behandlungsfehlern.

a. Eine Haftung ergibt sich nicht bereits allein aus dem Umstand, dass der Beklagte die Mutter des Patienten entbunden hat, obwohl er zu diesem Zeitpunkt unstreitig nicht über eine Anerkennung als Belegarzt des Kreiskrankenhauses G. verfügt hat. Zu Recht hat das Landgericht festgestellt, dass es insoweit für eine Haftung an dem erforderlichen Rechtswidrigkeitszusammenhang zwischen dem ärztlichen Handeln bzw. Unterlassen des Beklagten und dem eingetretenen Schaden fehlt. Die von der Klägerin in Bezug genommene Anlage zum Bundesmantelvertrag (K 7) regelt die stationäre kassenärztliche Behandlung in Krankenhäusern und dient der Verzahnung von ambulanter und stationärer Versorgung der Patienten. Hingegen ist dem Schutzzweck von § 3 der Anlage zum damaligen Bundesmanteltarif nicht das Verbot einer Entbindung der Gebärenden durch einen Gynäkologen und ärztlichen Geburtshelfer in einer gynäkologisch ausgerichteten Belegabteilung eines Krankenhauses zu entnehmen. Anders als in der von der Klägerin angeführten Entscheidung des Bundessozialgerichts (BSGE 101, 177) geht es vorliegend nicht um eine bedarfsgerechte, leistungsfähige und wirtschaftliche Krankenhausbehandlung oder die Frage, ob die Mutter des Patienten durch ein Krankenhaus ohne Zulassung für die konkrete Leistungserbringung den Risiken einer unkontrollierten Behandlung ausgesetzt wurde (BSGE 119, 150). Im Streitfall liegen vielmehr weder in der Person des Beklagten wichtige Gründe vor, die einer geburtshilflichen Betreuung entgegenstehen, noch sind etwa die Belegabteilungen für die konkrete Leistungserbringung der Geburtshilfe nicht zugelassen. Dass der Beklagte über keine Anerkennung als Belegarzt verfügt hat, ist letztlich nur im Innenverhältnis des Beklagten zu den kassenärztlichen Vereinigungen für die Abrechnung und im Innenverhältnis zu der stationären Einrichtung (Belegarztvertrag) von Bedeutung (ähnlich zur Funktion des D-​Arztes: BGH, Urteil vom 29.11.2016 - VI ZR 208/15 -, zitiert nach juris).

Auf die Frage, ob der Beklagte in rechtlich zulässiger Weise als Vertreter des Dr. L. tätig wurde, kommt es deshalb im vorliegenden Rechtsstreit nicht an.

b. Ohne Rechtsfehler und auf zutreffend festgestellter Tatsachengrundlage, die den Senat nach § 529 Abs. 1 ZPO bindet, hat das sachverständig beratende Landgericht überdies Behandlungsfehler des Beklagten verneint. Soweit die Klägerin vorträgt, der Beklagte hätte bei einer Absprache mit der Hebamme, zu welchem Zeitpunkt er gerufen werden will, darauf hingewiesen, dass er bei den Anknüpfungstatsachen, die sich dann tatsächlich im Verlauf der Geburt gezeigt haben, hinzugezogen werden möchte (II 53), beachtet sie nicht hinreichend, dass es aus Sicht der Hebamme keine hinreichenden Anknüpfungstatsachen für eine frühere Heranziehung des Beklagten gab. Die die Geburt leitende Hebamme H. hat nach den auch von der Klägerin nicht in Zweifel gezogenen Feststellungen des Landgerichts Baden-​Baden - 2 O 48/89 - die vorgeburtliche Herzfrequenz des Patienten nicht ausreichend kontrolliert, weshalb der vorgeburtlich eingetretene Sauerstoffmangelzustand von ihr nicht rechtzeitig bemerkt worden war. Nach ihrer Beurteilung lagen keine medizinischen Anzeichen vor, die eine frühere Benachrichtigung des Beklagten - sei es aufgrund einer entsprechenden Absprache, sei es aufgrund eigenen Willensentschlusses - erfordert hätten. Dass eine Hinzuziehung des Arztes bei fehlenden Auffälligkeiten erst zur eigentlichen Geburt aus medizinischer Sicht ausreichend ist, hat der Sachverständige bei seiner erstinstanzlichen Anhörung überzeugend dargelegt (I 681). Die Feststellungen des Landgerichts zum Erfordernis einer bereits anfänglich geburtsbegleitenden Anwesenheit des Beklagten, zur sogenannten „Hol-​Regelung“ und zur technischen Funktionsfähigkeit des dem damaligen medizinischen Standard entsprechenden CTG-​Gerätes greift die Berufung zu Recht nicht mehr an (zur Aufklärungspflichtverletzung siehe unten 2.).

2. Der Beklagten haftet auch nicht wegen Aufklärungsfehlern.

a. Der Beklagte war nicht verpflichtet, die Mutter des Patienten darauf hinzuweisen, dass das Kreiskrankenhaus G. mit einem CTG-​Gerät Sonicaid FM3 ausgestattet war, welches aus seiner Sicht keine brauchbaren bzw. überzeugenden Aufzeichnungen lieferte. Solange dem Patienten im Krankenhaus eine Behandlung geboten wird, die dem jeweils zu fordernden medizinischen Standard genügt, ist er nicht darüber aufzuklären, dass dieselbe Behandlung andernorts mit besseren personellen und apparativen Mitteln und deshalb mit einem etwas geringeren Komplikationsrisiko möglich ist. Anderes gilt, sobald neue Verfahren sich weitgehend durchgesetzt haben und dem Patienten entscheidende Vorteile bieten (BGH NJW 1988. 763). Vorliegend entsprach die apparative Ausstattung des Kreiskrankenhauses G. mit einem CTG-​Gerät Sonicaid FM3 nach den Darlegungen des Sachverständigen in seinem schriftlichen Gutachten (GA S. 10ff) dem damaligen medizinischen Standard. Anhaltspunkte dafür, dass das regelmäßig gewartete Gerät technisch defekt war, liegen nicht vor. Insbesondere sprechen die im Zusammenhang mit der Geburt des Patienten gefertigten Aufzeichnungen gegen einen technischen Defekt, wenngleich die Aufzeichnungen auch nicht auswertbar waren. Der Sachverständige hat insoweit überzeugend ausgeführt, dass die Herzaktionen des Kindes mit Ultraschalltransducern nicht immer sicher erfasst werden können. Kindsbewegungen, bestimmte Kindslagen aber auch Bewegungen der Gebärenden beeinflussen die Qualität der Herzfrequenzerfassung. Die vorhandenen CTG-​Aufzeichnungen hat der Sachverständige als nicht auswertbar, aber auch als für die damaligen CTG typisch bezeichnet (I 677). Eine Aufklärungspflicht bestand auch nicht unter dem Gesichtspunkt, dass wegen der möglicherweise schlechten Qualität der Aufzeichnungen mittels CTG eine Überwachung der Herzfrequenz nicht möglich sei. Tatsächlich war eine Überwachung möglich. In dem vorhandenen CTG-​Gerät war zusätzlich eine Registrierung des fetalen EKGs integriert. Bei mangelhafter Qualität der Aufzeichnungen aus dem äußeren CTG hätte mithin durch Anlage eines internen CTG an der Kopfhaut des Patienten eine zuverlässig auswertbare Herzfrequenzmessung erfolgen können. Die Hebamme war nach Öffnung der Fruchtblase um 05:45 Uhr auch befugt, das interne CTG anzulegen. Schließlich konnten die Herztöne des Patienten auch mit einem Höhrrohr erfasst werden (I 679).

b. Entgegen der Berufung haftet der Bekl. auch nicht deshalb, weil er die Mutter des Patienten nicht darüber aufgeklärt hat, dass er nicht im Besitz einer Zulassung als Belegarzt des Kreiskrankenhauses G. war. Es fehlt insoweit ebenfalls am Pflichtwidrigkeitszusammenhang. Die Mutter des Patienten hat bei ihrer Zeugenvernehmung vor dem Landgericht erklärt, dass sie deshalb zur Entbindung nach G. gegangen sei, weil sie gewollt habe, dass der Beklagte die Entbindung mache (I 309). Dieser sei ihr Frauenarzt gewesen und zu ihm habe sie Vertrauen gehabt. Sonst hätte sie keinen Grund gehabt, nach G. zu gehen (I 307). Sie habe den Beklagten dabei haben wollen. Sie sei darüber informiert gewesen, dass es sich in G. um ein kleines Krankenhaus mit einer kleinen Entbindungsstation handele (I 307). Tatsächlich wurde der Beklagte von der Hebamme zur Geburt hinzugerufen und war kein anderer Arzt geburtshilflich tätig. Die Mutter der Patientin wurde mithin von dem Arzt an dem Ort entbunden, an dem und von dem sie entbunden werden wollte. Soweit die Zeugin erklärt hat, wenn sie gewusst hätte, dass der Beklagte keine Belegbetten in G. gehabt hätte, wäre sie in die Stadtklinik Baden-​Baden gegangen, ist diese Aussage ersichtlich vor dem Hintergrund zu sehen, dass für die Zeugin die Anwesenheit des Beklagten erstrangig und der Ort zweitrangig von Bedeutung war.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97, ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 543 Abs. 2 ZPO liegen nicht vor.

Praxisanmerkung:

Ein Rechtswidrigkeitszusammenhang zwischen dem Verstoß gegen Normen (z.B. die Regeln über den Belegarzt) und einem Schaden besteht nur dann, wenn die Regeln dazu dienen sollten, die Entstehung des Schadens zu verhindern. Der sog. Schutzzweck der Norm muss also dahin gehen, die Entstehung eines solchen Schadens zu verhindern. Dies ist vorliegend nicht der Fall, weil es sich bei den Regeln über den Belgarzt letztlich um Vergütungsregeln handelt. Beispiel für eine solche Schutznorm ist § 223 Strafgesetzbuch (Körperverletzung), die dazu dient zu verhindern, dass Menschen von anderen verletzt werden.

Rechtsanwalt und Fachanwalt für Medizinrecht Philip Christmann
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