(13.1.2018) Ein mit der Begutachtung nur eines Behandlungsfehlervorwurfes beauftragter medizinischer Sachverständiger, der meint, er müsse "die Sache selbst vollumfänglich bewerten" und dann ungefragt zu einer Aufklärungspflicht Stellung nimmt, erweckt allein hierdurch noch nicht den Anschein der Befangenheit. Auch keinen Anschein der Befangenheit begründet die Äußerung des Sachverständigen, es sei "fast zynisch", wenn die beklagte Klinik einerseits selbst große Expertise mit dem von ihr benannten Alternativverfahren für sich in Anspruch nehme, andererseits aber gleichwohl bestreite, dass es sich hierbei um eine etablierte Methode handele (Oberlandesgericht Dresden, Beschluss vom 12. Dezember 2017 – 4 W 1113/17).
Der Fall:
Die klagende Patienten wirft der beklagten Klinik vor, eine Herzoperation (Ersatz einer verschlissenen Aortenklappenprothese) fehlerhaft durchgeführt und sie auch nicht über die Behandlungsalternativen aufgeklärt zu haben. Das Landgericht erließ einen Beweisbeschluss, und wies darauf hin, es wolle der Frage der klägerseits gerügten mangelhaften Eingriffsaufklärung nicht weiter nachgehen, weil ein Entscheidungskonflikt der Klägerin nicht plausibel sei.
Der vom Gericht beauftragte Sachverständige nahm aber auch zur Aufklärung Stellung. Er führte zunächst aus, dass und weshalb kein Behandlungsfehler vorliege. Ergänzend führte er aber auch aus, dass über ein alternatives Behandlungsverfahren hätte aufgeklärt werden können und müssen, zumal die Beklagte als „Wegbereiter“ dieser weniger invasiven alternativen Prozedur mit einer Fülle von Publikationen und großen Eingriffszahlen gelte. Die Beklagte hat daraufhin den Sachverständigen wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt. In seiner Stellungnahme zu dem Befangenheitsantrag hat der Sachverständige ausgeführt, er sehe sich als Fachgutachter aufgerufen, die Situation in Gänze zu bewerten, weil er der Sache sonst nicht umfänglich gerecht werden könne. Vor dem Hintergrund, dass die Beklagte einerseits selbst große Expertise mit dem von ihr benannten Alternativverfahren für sich in Anspruch nehme, andererseits aber gleichwohl bestreite, dass es sich hierbei um eine etablierte Methode handele, halte er ihr Vorbringen insofern für „fast zynisch“.
Die Beklagte beantragte, den Sachverständigen wegen der Besorgnis der Befangenheit abzulehnen.
Die Entscheidung:
Das OLG Dresden wies den Befangenheitsantrag als unbegründet zurück.
Der Sachverständige habe seine Rolle im Zivilprozess mißverstanden, als er annahm, es sei seine Aufgabe, der Sache selbst vollumfänglich gerecht zu werden und die Sache in Gänze zu bewerten. Dies begründe aber keine Besorgnis der Befangenheit. Sachverständige seien im Zivilprozeßrecht unerfahren. Das Gericht wies darauf hin, dass das Zivilgericht in einem Arzthaftungsprozess - in dem der klagende Patient als medizinischer Laie nicht im Einzelnen zu der Behandlung und deren Fehlerhaftigkeit vortragen kann und dies daher auch nicht muss - auf eine sorgfältige und umfassende Überprüfung des Behandlungsvorgangs durch den Sachverständigen angewiesen sei.
Mit der Aussage "fast zynisch" habe der Sachverständige lediglich in deutlicher Weise zum Ausdruck gebracht, dass er den Vortrag der Beklagten, einerseits die von ihm in den Raum gestellte Behandlungsmethode als nicht etabliert zu diskreditieren, andererseits aber selbst für sich eine besondere Expertise bei der Anwendung dieser Methode in Anspruch nehmen zu wollen, als widersprüchlich empfindet. Dies begründe ebenfalls keine Besorgnis der Befangenheit.
Praxisanmerkung:
Regelmäßig führen Überschreitungen des Gutachtenauftrages (für sich genommen) nicht zu einer Besorgnis der Befangenheit (OLG Bamberg, Beschluss vom 7. März 2017 – 4 W 16/17 –, juris Rz. 10 m.w.N.). Das OLG Dresden liegt damit auf einer Linie mit der herrschenden Rechtsprechung. Allgemein ist festzustellen, dass die Voraussetzungen für eine Ablehnung des Sachverständigen hoch sind. Die Gerichte halten in der Regel zu den von ihnen gewählten Sachverständigen. Der Fall ist insofern ungewöhnlich, als der Sachverständige hier der Patientin ungefragt zur Seite steht, während üblicherweise Sachverständige die behandelnden Ärzten von sich aus entlasten, was manche auf die sog. "Krähentheorie" zurückführen.