(2.3.2018) Vor Einsatz eines Medikamentes, das gezielt eine Entzündungsreaktion der Haut hervorruft, die schmerzhaft ist und die bei jedem fünften bis zehnten Patienten (Risiko 10-20%) zu auch mehrere Tage anhaltenden Schmerzen führen kann, muss der Arzt den Patienten über diese Risiken des Medikaments mündlich aufklären (Landgericht Freiburg (Breisgau), Urteil vom 23.2.2018 - 1 O 297/15).

Arzt klärt Patient aufDer Fall:

Der Kläger litt an einem Ekzem der Kopfhaut. Die Kopfhaut des Klägers war entzündet und schmerzhaft. Zudem waren Lymphknoten im Hals- und Nackenbereich geschwollen. 2014 wurde er deswegen im Krankenhaus der Beklagten behandelt. Dabei erhielt der Kläger das Arzneimittel Dithranol auf die Kopfhaut aufgetragen (Dithranol erzeugt bewusst eine Entzündung vergleichbar einem starken Sonnenbrand, um dadurch die Ekzeme zum Abheilen zu bringen, sprich eine lokale Reizung wird im Sinne einer Entzündungsinduktion ausgenutzt). Des weiteren wurde Advantanmilch, ein Korticosteroid, an gleicher Stelle aufgetragen.

In der Folge klagte der Kläger über starke Entzündungen und Schmerzen auf dem Kopf sowie u.a. über schmerzbedingte Schlafstörungen. Er warf dem Krankenhaus vor, ihn falsch behandelt und u.a. nicht über die Risiken der Behandlung mit Dithranol aufgeklärt zu haben.

Die Entscheidung:

Das Landgericht Breisgau zog einen medizinischen Sachverständigen zu Rate. Gestützt auf dessen Erwägungen wies es den Behandlungsfehlervorwurf zurück, bestätigte aber den Vorwurf eines Aufklärungsfehlers und sprach dem Kläger ein kleines Schmerzensgeld von EUR 900 zu (und wies die Klage im Übrigen ab).

Aus Sicht des Gerichts sei im vorliegenden Einzelfall eine mündliche Aufklärung über die wesentlichen Risiken aus folgenden Gründen geboten gewesen:

Bereits das bewusste Hervorrufen einer Entzündungsreaktion stelle einen Eingriff in die körperliche Unversehrtheit des Patienten dar. Hinzu trete, dass jede Entzündungsreaktion mit Schmerzen verbunden sein könne laut dem Sachverständigen. Das Risiko des Eintritts einer Verbrennung ersten Grades, also Rötungen, Brennen und Schmerzen sei mit 10-​20 % bereits für sich genommen nicht geringfügig. Bei dem Kläger sei die Kopfhaut zudem bereits vorgeschädigt gewesen und er sei bereits einer langwierigen Therapie unterzogen worden, als es zur Anwendung von Dithranol kam. Zwar mögen die Belastungen in der Lebensführung bei Wirkungen vergleichbar einem Sonnenbrand überschaubar sein.

Sie seien andererseits gerade bei einem vorgeschädigten Patienten aber auch nicht zu vernachlässigen und änderten nichts an der Eingriffsqualität der Maßnahme.

Wer sich wegen eines entzündeten Kopfhautekzems in die teilstationäre Behandlung einer Universitäts-​Hautklinik begebe, habe ein verständliches Interesse daran, vorab darüber informiert zu werden, wenn durch ein erstmals angewendetes Medikament eine planvolle Entzündungsreaktion der betroffenen Hautpartien ausgelöst wird. Letztlich sei dieses Kenntnisinteresse Bestandteil des vom Behandler zu wahrenden Selbstbestimmungsrechts des Patienten.

Praxisanmerkung:

Der Arzt muss den Patienten nicht nur über die Risiken invasiver Eingriffe wie z.B. Operationen aufklären sondern auch über Nebenwirkungen von Medikamenten. Allerdings kann der Arzt nicht über alle, oft mannigfaltigen Nebenwirkungen aufklären. Er kann sich auf die wesentlichen Risiken und Nebenwirkungen des Medikamenst beschränken.

Beispiele aus der Praxis: 

  • Weist die Patienteninformation des Herstellers bei einem neu eingeführten Krebsmedikament auf das mögliche, nicht außerhalb aller Wahrscheinlichkeit liegende Risiko eines dauerhaften Haarverlustes hin, so hat der Arzt den Patienten über dieses Risiko aufzuklären, auch wenn aussagekräftige Studien und Langzeitbeobachtungen zu diesen Risiken bislang fehlen (OLG Köln, Urteil vom 21. März 2016 – I-5 U 76/14). 
  • Eine Aufklärungspflicht wurde auch bei Medikamenten, die aggressiv wirken und massiv in den menschlichen Organismus eingreifen (BGH VersR 1982, 147- Dreifachkombination von Tuberkulostatika).
  • Bei möglichen schwerwiegenden Nebenwirkungen ist eine mündliche Aufklärung neben dem Hinweis auf den Beipackzettel geschuldet (BGH, Urteil vom 15. März 2005 – VI ZR 289/03, Schlaganfall bei Medikament gegen Regelbeschwerden).
  • Auch bei einer Medikamentenumstellung mit dem Risiko erheblicher Nebenwirkungen wie einer 35%igen Wahrscheinlichkeit von Nachteilen im Bereich von Lunge, Schilddrüse, Haut und Augen bei einem Reservemedikament ist eine Aufklärungspflicht anerkannt worden (BGH Urteil vom 17.04.2007, Az. VI ZR 108/06).

Rechtsanwalt und Fachanwalt für Medizinrecht Philip Christmann
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