(2.6.2018) Der Arzt ist verpflichtet, einen herzkranken Patienten vor einer minimalinvasiven Herzkatheterbehandlung über das Für und Wider einer anderen Herzbehandlung als gleichwertige Behandlungsmethode aufzuklären. Dabei kann es nicht genügen, die andere Herzbehandlung nur als letztes Mittel darzustellen (Oberlandesgericht Hamm, Urteil vom 10. April 2018 – 26 U 67/17). Im vorliegenden Fall muss die Klinik dem Patienten ein Schmerzensgeld von EUR 20.000 zahlen. 

Arzt klärt Patient aufDer Fall:

Der Patient litt unter einer symptomatischen hypertroph-obstruktiven Kardiomyopathie (HOCM), sprich einer krankhaften Verdickung der Herzmuskulatur. Diese kann operativ behandelt werden u.a. durch eine TASH-Behandlung oder durch eine Myektomie. Bei der TASH (Transcoronare Ablation der Septumhypertrophie) wird mittels eines Herzkatheters zunächst ein bestimmtes Gefäß im Herz aufgesucht und vorübergehend mit einem Ballon verschlossen, gegebenefalls wird der Ballon mit Alkohol gefüllt, um einen Herzinfarkt zu simulieren. Bei der transaortalen subvalvulären Myektomie wird dagegen durch die Aortenklappe hindurch überschüssiges Muskelgewebe im Ausflusstrakt der linken Herzkammer entfernt. Die Tash erfolgt über eine Katheter, es kann also durch ein Gefäß in das Herz vorgedrungen werden, während bei der Myektomie der Brustkorb operativ geöffnet werden muss. Der Patient hatte bereits eine Tash-Operation des Herzens erhalten. Gleichwohl zeigten sich weitere Herzbeschwerden. 

Der Arzt der beklagten Klinik beriet nun den Patienten vor der Operation ausführlich anhand eines Aufklärungsbogens und erwähnte beide Behandlungsmöglichkeiten, sprich eine weitere TASH und die Myektomie. Er unterließ es aber, über die Behandlungsalternative der Myektomie ausführlicher zu sprechen, auch vor dem Hintergrund, dass - wie sich nun im Nachhinein gezeigt hat - die bei Misserfolg der Re-TASH-Operation anschließend erforderliche Myektomie unter teilweise deutlich schlechteren Bedingungen zu erfolgen hatte (vgl. Herzinfarkt, Stabilisierung und Verlegung des Patienten, Notoperation). Insoweit war der behandelnde Arzt bei dieser Sachlage zur Erfüllung seiner Aufklärungspflicht gehalten, die trotz ihrer intensiveren postoperativen Folgen grds. belastendere Behandlungsmethode der Myektomie näher zu erläutern und auch den fiktiven Verlauf bei Misserfolg der Re-TASH-Operation darzustellen, um dem unwissenden Patienten ein besseres Verständnis für die persönliche Abwägung der bestehenden Risiken zu ermöglichen. Die Myektomie wurde dabei von dem aufklärenden Arzt als letztes Mittel dargestellt. 

Bei Beendigung der Herzoperation zeigten sich verschiedene schwerwiegende Komplikationen bei dem Kläger, infolge derer er einen lebensbedrohlichen Herzinfarkt erlitt und zur operativen Weiterversorgung in die T-Klinik nach Bad S verbracht wurde. Dort wurde notfallmäßig eine Myektomie durchgeführt und dem Kläger drei Bypässe und ein Herzschrittmacher gesetzt sowie eine operative Muskelverkleinerung vorgenommen. Nach zweieinhalbwöchigem stationärem Aufenthalt wurde der Kläger zur Rehabilitation nach Bad S verlegt und dort nach mehrmonatiger Rehabilitation entlassen. Er bezieht mittlerweile eine Rente wegen voller Erwerbsminderung.

Er verlangte Schmerzensgeld und warf der Klinik u.a. Aufklärungsfehler vor. 

Das Landgericht bejahte einen Aufklärungsfehler. Die Klinik ging in Berufung. 

Die Entscheidung:

Das OLG gab dem Patienten gleichfalls Recht. 

Der Arzt hat den Patienten aus Sicht des sachverständig beratenen Oberlandesgerichts nicht auf die Gleichwertigkeit beider Methoden hingewiesen und auch nicht die gegenüber der Myektomie erhöhten Risiken besprochen. Das sieht das Oberlandesgericht als Aufklärungsfehler an. Denn der Arzt ist verpflichtet, gleichwertige echte Behandlungsalternativen immer darzustellen, um dem Patienten in diesen Fällen nach entsprechend vollständiger ärztlicher Aufklärung die Entscheidung darüber zu überlassen, auf welchem Wege die Behandlung erfolgen soll und auf welches Risiko er sich einlassen will. Die Wahrung des Selbstbestimmungsrechts des Patienten erfordere dabei dann eine Unterrichtung über eine alternative Behandlungsmöglichkeit, wenn für eine medizinisch sinnvolle und indizierte Therapie mehrere gleichwertige Behandlungsmöglichkeiten zur Verfügung stehen, die zu jeweils unterschiedlichen Belastungen des Patienten führen oder unterschiedliche Risiken und Erfolgschancen bieten. Das OLG sah hier aber eine frühzeitige Festlegung des aufklärenden Arztes auf die weniger eingriffsinensivere Tash-Herzkatheter-Behandlung und infolgedessen eine unterlassene Aufklärung über das Für und Wider der beiden Methoden. Die Sachverständige Dr. A hat im Senatstermin nochmals klargestellt, dass die Myektomie entgegen der Auffassung der Beklagten nicht als letztes Mittel anzusehen ist: Re-Tash und Myektomie waren in der konkreten Behandlungssituation des Klägers vielmehr gleichwertige Behandlungsalternativen mit jeweils unterschiedlichen Risiken und Erfolgschancen.

Im Ergebnis bejahte auch das OLG einen Aufklärunghsfehler und sprach dem Patienten ein Schmerzensgeld von EUR 20.000 zu. 

Praxisanmerkung:

Die gerichtlich aufgestellten Anforderungen an eine Aufklärung über die alternativen Behandlungsmöglichkeiten bei der operativen Versorgung der symptomatischen hypertroph-obstruktiven Kardiomyopathie sind überaus komplex. Chirurgen sind gut beraten, ausführlich über Eingriffsintensität und Folgerisiken der alternativen Behandlungen zu sprechen und dies zumindest stichwortartig im Feld "Anmerkungen" in dem Aufklärungsbogen zu vermerken. Andernfalls ist es schwer für die Klinik, den Inhalt des Gespräches zu beweisen und die Klinik muss für eine - im Kern technisch völlig richtig ausgeführte Behandlung - auf Schadensersatz und Schmerzensgeld haften. Der aufklärende Arzt sollte sich nicht dazu hinreißen lassen, eine alternative Behandlung anzusprechen, sie dann aber im weiteren Gespräch unter den Tisch fallen zu lassen und sich auf die andere Methode zu versteifen, nur weil er sie besser findet. Es ist letztlich der Patient, der im Rahmen seines Selbstbestimmungsrechts die Auswahlentscheidung treffen muss.  

Rechtsanwalt und Fachanwalt für Medizinrecht Philip Christmann
Vertretung und Beratung im Medizinrecht und Arztrecht
Witzlebenstraße 3 - 14057 Berlin - Tel: (030) 536 47 749
E-mail: mail@christmann-law.de