(18.6.2018) Der Arzt, der ein Kind (14 Jahre) bei Rückenbeschwerden mit dem Schmerzmittel Lyrica (Wirkstoff Pregabalin) behandelt, das nur für Erwachsene zugelassen ist, so dass ein sog. off-label-use vorliegt, hat die Eltern des Kindes über die Tatsache aufzuklären, dass hier ein Medikament außerhalb seines zugelassenen Anwendungsbereiches verwendet wird und dass die Risiken und Nebenwirkungen daher nicht klar sind. Andernfalls liegt ein Aufklärungsfehler vor. Im Übrigen ist diese Behandlung im off-label-use nicht fehlerhaft, wenn in den einschlägigen medizinischen Fachkreisen Konsens über dessen voraussichtlichen Nutzen besteht (Oberlandesgericht Dresden, Urteil vom 15. Mai 2018 – 4 U 248/16). 

Medikamente für SchmerzenIm Streit um die Verwendung eines für Erwachsene zugelassenen Schmerzmittels bei einem an Rückenschmerzen leidenden Kindes hat das OLG Dresden herausgearbeitet, dass eine Aufkläungspflicht besteht hinsichtlich des off-label-use an sich. Ärzte sollten diese Aufklärungspflicht berücksichtigen, wenn sie einen off-label-use beabsichtigen. 

Interessant ist die Entscheidung auch insofern, als das Gericht den Vorrang der konservativen Behandlung vor der operativen Behandlung bei Rückenbeschwerden herausstellte, soweit noch keine neurologischen Ausfallerscheinungen wie z.B. Taubheit in einem Bein, vorliegen. Häufig ist genau die gegenteilige Konstellation streitgegenständlich: Nämlich dass der Patient  dem Arzt vorwirft, zu früh opriert zu haben. Hier warfen die Eltern den Ärzten vor, nicht sogleich operiert, stattdessen die konservative Behandlung fortgesetzt zu haben. Das OLG sah dies anders und hatte an der zuerst konservativen Behandlung des Kindes nichts auszusetzen. 

Im Übrigen sah das Gericht die off-label-Behandlung an sich nicht als behandlungsfehlerhaft an. Denn in bestimmten Fällen ist der off-label-use haftungsrechtlich unbedenklich:

Insbesondere was den „off label use“ eines Arzneimittels betrifft, so kann das Arzneimittel dennoch angewandt werden, wenn entweder eine Erweiterung der Zulassung des jeweiligen Arzneimittels bereits beantragt ist und die Ergebnisse einer kontrollierten klinischen Prüfung der Phase 3 veröffentlicht sind, oder aber außerhalb eines Zulassungsverfahrens gewonnene Ergebnisse veröffentlicht sind, die über Qualität und Wirksamkeit des Arzneimittels in dem neuen Anwendungsgebiet zuverlässige, wissenschaftlich nachprüfbare Aussagen zulassen und auf Grund deren in den einschlägigen Fachkreisen Konsens über einen voraussichtlichen Nutzen im vorgenannten Sinn besteht (Martis/Winkhart, a.a.O. Rn. B 34 m.w.N.). Vor allem, wenn das Medikament bereits über eine Zulassung für Erwachsene verfügt, kann es dem kinderärztlichen Standard entsprechen, dieses Medikament gleichwohl zu verwenden, wenn ausdrücklich für Kinder zugelassene Alternativmedikamente fehlen und im Rahmen einer auf den Einzelfall bezogenen Abwägung das Risiko der Nichtanwendung des Medikaments die Risiken ihres Einsatzes überwiegt (OLG Naumburg, Urt. v. 11.07.2006, 1 U 1/06). Unter Umständen kann dann sogar die Nichtverwendung des off label einzusetzenden Medikamentes, das Mittel der Wahl ist, grob fehlerhaft sein (Rechtsprechungsnachweise bei Martis/Winkhart, a.a.O. Rn. B 37).

Gemessen an diesen Grundsätzen ist der Senat nach Einholung eines schmerztherapeutischen Fachgutachtens der Überzeugung, dass vorliegend objektiv dem Kläger behandlungsfehlerfrei die streitgegenständlichen Medikamente sowohl einzeln, als auch hinsichtlich ihrer Dosierung und Kombination verabreicht wurden. Die Sachverständige PD Dr. G. hat nachvollziehbar und unter Verweis auf aktuelle wissenschaftliche Studien und mit in mündlicher Anhörung noch vertiefter Begründung überzeugend ausgeführt, dass und weshalb beim Kläger unter Abwägung der Risiken und des Nutzens die streitgegenständliche Schmerzmittelgabe hinsichtlich Art und Umfang gerechtfertigt. Ausdrücklich hat sie die im Streitfall erfolgte Dosierung (Lyrica 50-0-75; Tilidin 300mg/d; Ibuprofen 500mg/4mal täglich) als „übliche Dosierung“ bezeichnet, die in einem stationären Setting auch bei Jugendlichen ohne weiteres verabreicht werden könne.

Rechtsanwalt und Fachanwalt für Medizinrecht Philip Christmann
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