(22.8.2018) Gesetzlich versicherte Patienten, die den Verdacht haben, dass sie von einem Arzt oder in einem Krankenhaus falsch behandelt wurden, stehen regelmäßig vor dem Problem, dass sie die medizinischen Behandlungsunterlagen nicht verstehen und nicht beurteilen können, ob ein Behandlungsfehler vorliegt. Weitgehend unbekannt ist, dass diese Patienten einen rechtlichen und gerichtlich durchsetzbaren Anspruch gegen ihre Krankenversicherung auf Unterstützung haben, wie ein aktuelles Urteil des Landessozialgerichtes Baden-Württenberg noch einmal klar stellt (Landessozialgericht Baden-Württemberg, Urteil vom 8. August 2018 – L 5 KR 1591/18). Doch was genau kann der Patient von seiner Versicherung erwarten und was muss er tun, damit die Versicherung ihn unterstützt?
Selbstverständlich kann sich ein Patient, der sich falsch behandelt fühlt und dem es nach der Behandlung schlechter geht als vorher, auch an einen Anwalt wenden, damit dieser die Behandlungsunterlagen anfordert und diese auf Behandlungsfehler prüft. Dies ist aber mit Kosten verbunden und nicht alle betroffenen Patienten können diese Kosten vorfinanzieren. Wer nicht rechtsschutzversichert ist, wird dann vor einer Verfolgung seiner Recht zurückschrecken. Der Gesetzgeber hat darauf reagiert und 2013 in § 66 Sozialgesetzbuch V einen echten Anspruch des Patienten gegen seine Krankenversicherung auf Unterstützung durch dessen Krankenversicherung geschaffen. Dabei hatte er aber nicht nur die Interessen der Patienten im Blick sondern auch die der Versicherungen. Die Versicherung lässt dann von dem Medizinischen Dienst der Krankenkassen (MDK), in dem Ärzte arbeiten, die Behandlungsunterlagen auswerten und ein Gutachten erstellen.
Wie läuft dies im Detail ab?
Die Krankenversicherungen sollen die Versicherten bei der Verfolgung von Schadensersatzansprüchen, die bei der Inanspruchnahme von Versicherungsleistungen aus Behandlungsfehlern entstanden sind und nicht nach § 116 SGB X auf die Krankenkassen übergehen, unterstützen. Die Krankenkassen sind grundsätzlich zur Unterstützung verpflichtet, es sei denn, es sprechen besondere Gründe dagegen. Mit den Schadensersatzansprüchen im Sinne des § 66 SGB V sind privatrechtliche Schadensersatzansprüche der Versicherten gegen die behandelnde Person gemeint. Es kommt ein materieller und ein immaterieller Schadensersatz in Betracht. Unerheblich ist, ob die privatrechtlichen Schadensersatzansprüche auf vertraglicher oder gesetzlicher Haftung beruhen, und ob die Rechtsverfolgung gerichtlich oder außergerichtlich sein soll. Im Rahmen des § 66 SGB V verbleiben insbesondere Schmerzensgeldansprüche nach § 253 BGB und gegebenenfalls ein Verdienstausfall. Der Versicherte muss die Möglichkeit eines Schadensersatzanspruchs plausibel machen.
Art und Umfang der möglichen Unterstützung durch die Krankenkassen ist in § 66 Satz 1 SGB V nicht genannt. Als Unterstützung kommt vor allem die Informierung des Versicherten über Kenntnisse und Erfahrungen der Krankenkasse in Frage, die ihm die Geltendmachung und Durchsetzung seiner Ansprüche erleichtern oder ermöglichen (z.B. Angabe der Diagnose und Therapie des behandelnden Arztes; Informationen über Kenntnisse und Erfahrungen aus der Durchsetzung und Verfolgung der nach § 116 SGB X übergegangenen Ansprüche, die Anforderung ärztlicher Unterlagen und die Begutachtung durch den MDK nach § 275 Abs. 3 Nr. 4 SGB V, wobei letzterem und seinen Gutachten bei der Beratung und Prüfung von vorgeworfenen ärztlichen Behandlungsfehlern eine zentrale Rolle zukommt). Die Krankenkasse ist aber nicht dazu verpflichtet, einen von ihrem Versicherten angestrengten Schadensersatzprozess in der Weise zu begleiten, dass sie zur Beantwortung medizinischer Nachfragen zur Verfügung steht, die im Verlaufe des Rechtsstreits entstehen. Die Krankenkasse ist auch nicht zu einem initiativen Recherchieren zu Gunsten des Versicherten verpflichtet. Aus haushaltsrechtlichen Gründen sind diesbezüglich Ausgaben seitens der Krankenkassen grundsätzlich ausgeschlossen. Die gesetzliche Krankenversicherung darf ihre Mittel nur zur Erfüllung der öffentlich-rechtlichen Aufgaben verwenden.
Was kann der Patient hier von seiner Krankenversicherung erwarten?
Exemplarisch und nicht abschließend („insbesondere“) sind vier Konkretisierungsfälle der Unterstützung genannt:
- die Prüfung der von den Versicherten vorgelegten Unterlagen auf Vollständigkeit und Plausibilität,
- die Anforderung weiterer Unterlagen bei den Leistungserbringern (Arzt/Krankennhaus),
- die Veranlassung einer sozialmedizinischen Begutachtung durch den Medizinischen Dienst nach § 275 Abs. 3 Nr. 4 SGB V sowie
- eine abschließende Gesamtbewertung aller vorliegenden Unterlagen (Gutachten). Die abschließende Gesamtbewertung aller vorliegenden Unterlagen wird gegebenenfalls unter Einbeziehung des Ergebnisses einer erfolgten Begutachtung durch den Medizinischen Dienst zu erfolgen haben. Die Gesamtbewertung muss nicht die Qualität eines juristischen Gutachtens haben.
Was muss der Patient tun, um die Unterstützung zu erhalten?
Als betroffener Patient schreiben Sie die Versicherung an und teilen - möglichst detailliert - mit, worin Sie die falsche Behandlung sehen, beispielsweise:
- verspätete Behandlung am 10.1.2017
- nicht durchgeführte Untersuchungen am ....
- falsche Medikamente bekommen oder richtige Medikamente nicht bekommen
- im Krankenhaus aufgrund schlechter Hygiene mit anderer Erkrankung angesteckt
- Pflegefehler (z.B. fehlende Druckentlastung, dadurch Wundgeschwür)
- Fehler bei einer Operation
Die Krankenkasse erstellt dann das MDK-Gutachten und sendet dem Patienten auf Wunsch eine Kopie zu.
Nun hat der Patient eine fachkundige Meinung zu dem möglichen Behandlungsfehler und kann entscheiden, ob er Arzthaftungsansprüche geltend macht.
Dazu kann er nun einen Anwalt aufsuchen oder - wenn er Kosten vermeiden will - die Schlichtungsstellen der Ärztekammern anrufen (z.B. Norddeutsche Schlichtungsstelle).
Praxisanmerkung:
Ich selbst habe für Patienten mehrfach § 66 SGB V genutzt, um ein Gutachten zu erhalten. Das Verfahren funktioniert recht gut. Die Gutachten sind brauchbar.
Der Patient ist dem Arzt in der Verdachtsituation strukturell unterlegen, weil er die medizinischen Vorgänge nicht versteht. Durch diese Unterstützung der Krankenversicherung wird der Nachteil des Patienten wieder ausgeglichen. Die Versicherungen haben auch Vorteile durch dieses Verfahren, weil sie die Behandlungskosten, die durch eine fehlerhafte Behandlung entstanden sind, von dem Arzt bzw. der Klinik zurückverlangen können und so die Versichertengemeinschaft von diesen Kosten entlasten.