(9.10.2018) Der Bundesgerichtshof hat die Rechte der Pflegeheimbewohner, die als Empfänger von Leistungen der sozialen Pflegeversicherung einen Pflegeheimvertrag kündigen, und vor Ablauf der Kündigungsfrist das Pflegeheim verlassen, gestärkt. Das Pflegeheim dürfe dann für die Dauer des Leerstandes des Pflegeheimplatzes bis zum Ablauf der vertraglichen Kündigungsfrist von dem ehemaligen Bewohner kein Entgelt mehr fordern (Bundesgerichtshof, Urteil vom 4.10.2018 - III ZR 292/17). Da Pflegeheime häufig diese Kosten für den Leerstand den ehemaligen Bewohnern in Rechnung stellen, dürfte diese Entscheidung erhebliche Bedeutung haben.
Der Fall:
Der an Multiple Sklerose erkrankte Kläger ist auf die Unterbringung in einem Pflegeheim angewiesen und bezieht Leistungen der sozialen Pflegeversicherung. Er verlangt von dem Beklagten, der ein Pflegeheim betreibt, Rückzahlung von Heimkosten in Höhe von 1.493,03 Euro.
Von Dezember 2013 bis zum 14.02.2015 war der Kläger in dem Pflegeheim des Beklagten untergebracht. Nach dem Wohn- und Betreuungsvertrag konnte der Bewohner das Vertragsverhältnis spätestens am dritten Werktag eines Kalendermonats zum Ablauf desselben Monats schriftlich kündigen. Ende Januar 2015 fand der Kläger einen Pflegeplatz in einem anderen, auf die Pflege von Multiple-Sklerose-Patienten spezialisierten Heim. Daraufhin kündigte er mit Schreiben vom 28.01.2015 den Wohn- und Betreuungsvertrag mit dem Beklagten zum 28.02.2015. Da in dem anderen Pflegeheim kurzfristig schon früher ein Platz frei wurde, zog der Kläger bereits am 14.02.2015 aus dem Heim des Beklagten aus und bezog am darauf folgenden Tag den neuen Pflegeplatz. Der Beklagte stellte dem Kläger – nach Abzug der Leistungen der Pflegekasse für die erste Februarhälfte 2015 – Heimkosten für den gesamten Monat Februar 2015 in Höhe von 1.493,03 Euro in Rechnung, die der Kläger zunächst vollständig bezahlte. Da für die zweite Februarhälfte 2015 infolge des Auszugs aus dem Pflegeheim des Beklagten insoweit keine Sozialleistungen mehr erbracht wurden, verlangte der Kläger die Rückerstattung der bezahlten 1.493,03 Euro, was der Beklagte jedoch ablehnte.
Amts- und Landgericht gaben der Klage des Pflegeheimbewohners statt (AG Öhringen, Urt. v. 15.04.2016 - 2 C 256/15, LG Heilbronn, Urt. v. 21.08.2017 - (II) 5 S 27/16).
Das Pflegeheim ging in Revision zum BGH.
Die Entscheidung:
Der Bundesgerichsthof wies die Revision ganz überwiegend zurück.
Nach Auffassung des BGH hat der Beklagte das für die zweite Februarhälfte 2015 vereinnahmte Heimentgelt gemäß § 812 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 BGB zurückzuerstatten, da die Zahlungspflicht des Klägers mit dem Tag seines Auszugs am 14.02.2014 gemäß § 87a Abs. 1 Satz 2 SGB XI i.V.m. § 15 Abs. 1 WBVG endete. § 87a Abs. 1 Satz 1 SGB XI, dem das Prinzip der tagesgleichen Vergütung zugrunde liege, bestimme, dass die im Begriff des Gesamtheimentgelts zusammengefassten Zahlungsansprüche der Einrichtung für den Tag der Aufnahme des Pflegebedürftigen in das Pflegeheim sowie für jeden weiteren Tag des Heimaufenthalts taggenau berechnet werden. Danach bestehe der Zahlungsanspruch des Heimträgers nur für die Tage, in denen sich der Pflegebedürftige tatsächlich im Heim aufhalte (Berechnungstage). In Anwendung des Prinzips der Berechnung auf Tagesbasis ordne § 87a Abs. 1 Satz 2 SGB XI an, dass die Zahlungspflicht der Heimbewohner oder ihrer Kostenträger mit dem Tag ende, an dem der Heimbewohner aus dem Heim entlassen werde oder versterbe.
Da der Beklagte nach dem Auszug des Klägers keine Leistungen mehr erbracht habe und auch nicht verpflichtet war, den Pflegeplatz freizuhalten, bestehe insofern nach den Grundsätzen des § 87a Abs. 1 Satz 1, 2 SGB XI auch kein Vergütungsanspruch.
Quelle: Pressemitteilung des BGH
Praxisanmerkung:
Die Entscheidung bedeutet eine finanzielle Entlastung für die Pflegeheimbewohner. Sie können die Bezahlung von Leistungen, die von dem Pflegeheim für die Tage nach dem Auszug berechnet werden, verweigern. Bereits gezahlte Beträge können die Bewohner zurückfordern.
Die Entscheidung stellt zwar eine finanzielle Belastung für den Pflegeheimbetreiber dar, die sie nicht abschätzen können. Der Gesetzgeber hat sich aber entschieden, taggenaue Abrechnungen zu verlangen und damit dieses wirtschaftliche Risiko dem finanziell stärkeren Vertragspartner des Heimvertrages, mithin dem Pflegeheimbetreiber, aufzuerlegen. Insofern ist die Entscheidung auch nachvollziehbar und interessengerecht.
Die Entscheidung des höchsten deutschen Zivilgerichtes ist bindend und unangreifbar.