Einen am Kopf operierten Patienten, bei dem Sprachstörungen aufgetreten sind, erst zwei Tage nach Auftreten dieser Störungen auf die Intensivstation zu verlegen, stellt einen groben Behandlungsfehler dar, für den die behandelnde Klinik auf Schadensersatz haftet (OLG Brandenburg, Urteil vom  29.05.2008 – 12 U 81 / 06 - ).

Sachverhalt:
Der Kläger befand sich nach einer Operation am Kopf auf Normalstation. Es zeigten sich bei einer dopplersonographischen Untersuchung des Kopfes am 27.04.2000 Anzeichen für einen Gefäßkrampf (Vasospasmus). Am 29.04.2000 setzten die behandelnden Ärzte das blutdrucksteigernde Medikament Dopamin ab. Am Abend des 30.04.2000 zeigten sich Sprach- und Wortfindungsstörungen bei dem Kläger. Dieser wurde gleichwohl erst am 02.05.2000 auf die Intensivstation verlegt. Allerdings hatte der Kläger da schon eine ausgeprägte Sprachstörung und eine armbetonte Hemiparese entwickelt.

Entscheidung:
Das OLG Brandenburg nimmt in diesem Urteil zu den zeitlichen Anforderungen an eine ärztliche Behandlung Stellung. Es sieht die späte Verlegung auf die Intensivstation als groben Behandlungsfehler an. Dies hat eine Beweislastumkehr zu Gunsten des klagenden Patienten zur Folge. Dazu führt das OLG aus:

Zwar trägt grundsätzlich der Kläger die volle Darlegungs- und Beweislast dafür, dass ein Behandlungsfehlerdes Arztes ursächlich für die eingetretenen Gesundheitsschädigungen ist. Im Streitfall greift jedoch zu Gunsten des Klägers hinsichtlich der Kausalität eine Beweislastumkehr zu seinen Gunsten ein, da der Behandlungsfehler im konkreten Fall als grob anzusehen ist. Ein grober Behandlungsfehler liegt vor, wenn eindeutig gegen bewährte ärztliche Behandlungsregeln oder gesicherte medizinische Erkenntnisse verstoßen wird und dadurch ein Fehler begangen wird, der aus objektiver ärztlicher Sicht nicht mehr verständlich erscheint (vgl. BGH VersR 2001, 1116 m. w. N.; Geiß / Greiner, Arzthaftpflichtrecht, 5. Aufl., Rn. B 252). Hierzu hat der gerichtliche Sachverständige Dr. W. im Rahmen der mündlichen Erläuterung seines Gutachtens ausgeführt, dass es sich bei dem Versäumnis (Anmerkung: um 2 Tage) um einen Verstoß gegen international einzufordernde medizinische Standards handelt und die damals getroffene Entscheidung, den Kläger trotz der beginnenden Ausfallerscheinungen am 30.04.2000 nicht auf die Intensivstation zurückzuverlegen, eine Fehlentscheidung darstellt, die im konkreten Fall angesichts der kurz zuvor durchgeführten Operation und den bereits anhand der dopplersonographischen Untersuchung gegebenen Vorzeichen aus medizinischer Sicht nicht mehr vertretbar war.

Der Sachverständige hat auf Nachfrage des Senats, nachdem er auf die juristische Bedeutung der Unterscheidung zwischen einem einfachen und einem groben Behandlungsfehler und die Voraussetzungen für das Vorliegen eines groben Behandlungsfehlers hingewiesen worden ist, ausdrücklich bestätigt, dass es sich unter den gegebenen Umständen bei der damaligen Entscheidung, den Kläger nicht auf die Intensivstation zurückzuverlegen, um einen Fehler handelt, der dem damals Dienst habenden Arzt schlechthin nicht hätte unterlaufen dürfen und dass, wenn eine solche Entscheidung in seinem Verantwortungsbereich getroffen worden wäre, dies für ihn Anlass für ein intensives Gespräch mit dem betreffenden Mitarbeiter gewesen wäre.

Anmerkung:
Die Feststellung eines groben Behandlungsfehlers führt  zu der Vermutung, dass die eingetretenen (Primär-) Schädigungen auf dem ärztlichen Fehlverhalten beruhen, d.h. dadurch verursacht sind. Der Arzt muss dann, um sich von dem Vorwurf des Behandlungsfehlers zu entlasten, das Gegenteil beweisen. .

Rechtsanwalt und Fachanwalt für Medizinrecht Philip Christmann
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