(7.3.3019) Ärzte einer Klinik dürfen eine Patientin, die Bedenken gegen eine aufschiebbare operative Behandlung hat, nicht ohne hinreichende Bedenkzeit unmittelbar im Anschluss an das Aufklärungsgespräch zur Unterschrift unter die vorgedruckte Einwilligungserklärung bewegen. Eine so erhaltene Einwilligung der Patientin ist nicht wirksam, die anschließende Operation ist ohne Einwilligung erfolgt und die Patientin kann für Schmerzen, die sie aufgrund der Operation erlitten hat, Schmerzensgeld von den Ärzten verlangen. Die Patientin ist nicht verpflichtet, ihre unwirksame Einwilligung in den Eingriff ausdrücklich zu widrrufen. Vielmehr soll der Arzt dann vor der Operation noch einmal nachfragen, ob die Einwilligung der Patientin in die Operation noch steht (Oberlandesgericht Köln, Urteil vom 16.1.2019 - 5 U 29/17). 

Patientin darf nicht von Arzt zur Operation überredet werdenDer Fall: 

Die damals 57jährige Klägerin stürzte nachts zuhause und brach sich den Oberschenkelhals (geschlossene mediale Oberschenkelhalsfraktur). In der zu 1 beklagten Klinik stellten der beklagte Arzt zu 2 noch in der Nacht die Indikation zur operativen Versorgung. Bei dem Aufklärungsgespräch mittels Aufklärungsbogens äußerte die Klägerin Zweifel an der Indikation, an der Notwendigkeit einer Hüftoperation und an der Qualifikation der Ärzte der Beklagten. Es ging hitzig zu bei dem Gespräch. Sie unterzeichnete schließlich aber dennoch die vorgedruckte Einwilligungserklärung.

Die Operation, die zunächst für die Mittagszeit des Folgetages, den 2.8.2013, vorgesehen war, wurde am nächsten Tag auf die Morgenstunden vorgezogen und durch die Beklagten zu 3 und 4 durchgeführt. Dabei erfolgte eine geschlossene Reposition und Osteosynthese unter Verwendung einer dynamischen Hüftschraube. Am 08.08.2013 wurde die Klägerin aus der stationären Behandlung entlassen. In der Folgezeit kam es zu Beschwerden und Schmerzen der Klägerin in der Hüfte. 

Die Klägerin hat u.a. behauptet, eine operative Versorgung des Bruchs sei nicht indiziert gewesen, vielmehr hätte die Fraktur konservativ behandelt werden können und müssen. Die Möglichkeit einer konservativen Therapie sei im Aufklärungsgespräch nicht angesprochen worden, sondern der Beklagte zu 2 habe die Klägerin mit der Drohung, sie werde sonst zum Pflegefall, zur Einwilligung in die Operation gedrängt. Anderenfalls hätte sie sich jedenfalls zunächst für eine konservative Behandlung entschieden, da bei ihr Narkoseangst und Operationsangst bestehe. Dass die operative Versorgung bei ihr unnötig sei, habe auch ihr Orthopäde Dr. A ausdrücklich bestätigt. Ihr Ehemann habe ihn auf ihren noch in der Nacht geäußerten Wunsch am Vormittag des OP-Tages aufgesucht und zu seiner Meinung befragt. Wegen der Vorverlegung der Operation sei dessen Auskunft ihr indes nicht mehr rechtzeitig zugegangen.

Nachdem das Landgericht die Klage der Patientin als unbegründet abgewiesen hatte, legte die Klägerin Berufung ein.

Die Entscheidung:

Das OLG gab der Berufung teilweise satt und sprach der Klägerin ein Schmerzensgeld von EUR 10.000 für die erlittenen Schmerzen in der linken Leiste und Schlafstörungen zu. Die Klägerin hatte ein Schmerzensgeld von EUR 50.000 verlangt. 

Das OLG verneinte dabei eibenso wie das LG einen Behandlungsfehler. 

Allerdings bejahte das OLG einen Aufklärungsfehler:

Die seitens der Klägerin in der Nacht vom 1. zum 2.8.2013 erklärte Einwilligung in die Operation war nicht wirksam, denn der Beklagte zu 2 hat durch die Aufforderung zur sofortigen Einwilligung die Entscheidungsfreiheit der Klägerin in unzulässiger Weise eingeengt und verkürzt. Nach § 630 e Abs.2 Satz 1 Ziffer 2 BGB muss eine Aufklärung so rechtzeitig erfolgen, dass der Patient seine Entscheidung über die Einwilligung wohlüberlegt treffen kann. In der Rechtsprechung ist dabei seit langem der Grundsatz anerkannt, dass eine Aufklärung bei einem Patienten, der im Hinblick auf einen operativen Eingriff stationär untergebracht ist, mindestens einen Tag vor dem Eingriff erfolgen muss (Senat, Beschl. v. 4.10.2011, 5 U 184/10, VersR 2012, 863; grundlegend BGH NJW 1985, 1399; BGH NJW 2003, 2012). Eine derart starre Regel ist zwar bei medizinisch dringlichen Eingriffen nicht anwendbar. Wenn aber der Eingriff nicht sofort erfolgen muss, sondern zumindest einige Stunden Zeit verbleiben, darf das Selbstbestimmungsrecht des Patienten nicht derart verkürzt werden, dass dem Patienten keinerlei Möglichkeit der Überlegung und eventuell der Informationsgewinnung verbleibt. Das bedeutet bei einem Eingriff, der erst – wie hier nach der ursprünglichen Planung vorgesehen - in etwa zwölf Stunden Die Übung des Krankenhauses, stattfinden soll, dass eine entsprechende, den Umständen nach angepasste Bedenkzeit für den Patienten verbleiben muss, die bis kurz vor den Eingriff reicht.

Die Übung des Krankenhauses, den Patienten unmittelbar im Anschluss an die Aufklärung zur Unterschrift unter die Einwilligungserklärung zu bewegen, erscheint dem OLG nicht unbedenklich. Dann könne nicht von einer "wohlüberlegten Entscheidung" des Patienten ausgegangen werden. Eine solche Einwilligung des Patienten steht dann unter dem Vorbehalt, dass der Patient die ihm verbleibende Zeit nutzt, um die erhaltenen Informationen zu verarbeiten und um das Für und Wider des Eingriffs für sich abzuwägen und sich gegebenenfalls anders zu entscheiden. In einem solchen Fall ist es nicht Aufgabe des Patienten, sich durch eine ausdrückliche Erklärung von seiner zuvor gegebenen Einwilligungserklärung wieder zu lösen. Es ist vielmehr Aufgabe der operierenden Ärzte, was wiederum durch organisatorische Maßnahmen des Krankenhausträgers sicherzustellen ist, sich davon zu überzeugen, dass die gegebene Einwilligungserklärung nach wie vor dem freien Willen des Patienten entspricht.

Die medizinische Lage erforderte auch nicht eine sofortige Entscheidung. Es lag aus Sicht des OLG kein Notfall oder Eilfall vor. 

Nach alledem wäre es die Pflicht der Behandler, insbesondere der die Operation durchführenden Beklagten zu 3 und 4, gewesen, sich ausdrücklich bei der Klägerin noch einmal zu vergewissern, ob es bei der Entscheidung der Nacht bleibe oder nicht.

Praxisanmerkung:

Folgende Punkte sollten operierende Klinikärzte bei aufschiebbaren Operationen berücksichtigen:

  • Aufklärungsgespräch führen und zugleich Aufklärungsformular dem Patienten übergeben
  • in dem Formular die Uhrzeit des Gesprächs und dessen Dauer notieren sowie Anmerkungen machen (zB besondere Risiken handschriftlich hervorheben oder benennen)
  • Nach Aufklärungsgespräch vor Operation Patient Bedenkzeit geben, in der der Patient das Aufklärungsformular studieren und sich die Entscheidung überlegen kann
  • war der Patient kritisch gegenüber der Operation und hat er dennoch sogleich seine Einwilligung gegeben, so sollte der Arzt sicherheitshalber vor der Operation noch einmal nachfragen, ob der Patient bei seiner Einwliigung bleibt und die Antwort des Patienten dokumentieren. 

Patienten sollten folgendes beherzigen:

  • stellt der Arzt bestimmte Tatsachenbehauptungen auf in dem Aufklärungsgespräch, so sollte der Patient diese in dem Aufklärungsformular vermerken (zB Arzt: ohne OP droht Verlust der Gehfähigkeit, OP ist alternativlos), bevor er dieses unterzeichnet
  • Lassen Sie sich nie zu Unterschriften drängen, denn Richter messen diesen Unterschriften einen sehr hohen Wert bei!
  • Führen Sie Aufklärungsgespräche nie allein, sorgen Sie für die Anwesenheit eines Zeugen

Rechtsanwalt und Fachanwalt für Medizinrecht Philip Christmann
Vertretung und Beratung im Medizinrecht und Arztrecht
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