(26.4.2019) Die Ausstellung von Arbeitsunfähigkeitbescheinigungen an Patienten gehört zum Alltag der niedergelassenen Ärzte. Dabei verläßt sich der Arzt oft auf Angaben des Patienten. Das Thema ist brandaktuell, wie der Fall einer angeblich blaumachenden Beamtin zeigt, der zur Strafe der Beamtenstatus entzogen wurde. Kommt es zu Streit zwischen dem Patienten und seiner Krankenversicherung über die Frage der Arbeitsunfähigkeit, kann der Arzt in diesen Streit hineingezogen werden, wie eine Entscheidung des Landgerichts Dortmund zeigt (LG Dortmund, Urteil vom 17.05.2018 - 12 O 388/16). Aber der Arzt kann sich dagegen schützen.

Arzt im Gespräch mit Patient wegen ArbeitsunfähigkeitDer Fall:

In der beklagten Arztpraxis stellte sich ein Patient mit vorgeblichen Kopfschmerzen und Nackenbeschwerden vor. 

Dieser Befund blieb über mehrere Vorstellungen hinweg unverändert. Nach Angaben der beklagten Arztpraxis sei deshalb keine gesonderte Dokumentation der Befunde erfolgt.

Die Arztpraxis erteilte dem Patienten mehrere Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen.

Der Patient erhielt Krankengeld seiner gesetzlichen Krankenkasse.

Später verlangte die Krankenversicherung diese Zahlungen zurück. Der Patient habe nur simuliert. Das Sozialgericht kam, nach Anhörung eines Sachverständigen, dann zu dem Schluß, dass in Wahrheit gar keine Arbeitsunfähigkeit des Patienten vorgelegen habe. Aus den vom Patienten vorgelegten und beigezogenen medizinischen Unterlagen der Arztpraxis konnte das Sozialgericht nämlich nicht hinreichende Gründe für eine Arbeitsunfähigkeit entnehmen.

Der Patient erhielt also kein Krankengeld mehr. 

Später verklagte er die Arztpraxis vor dem Landgericht Dortmund auf Schadensersatz wegen der unterbliebenen Krankengeldzahlungen. Er warf den Ärzten vor, sie hätten die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen zu Unrecht ausgestellt, weil sie die die notwendigen Befunde nicht erhoben hätten. Tatsächlich sei der Kläger arbeitsfähig gewesen. In jedem Fall sei den Ärzten vorzuwerfen, dass sie die Befunde, die zu der Arbeitsunfähigkeit führten, nicht hinreichend dokumentiert und begründet hätten. Auch hätten die Ärzte die erhobenen Befunde für die Krankenversicherung nachprüfbar dokumentieren müssen. Der Patient behauptete, er habe keine weiteren Unterlagen oder Belege für seine Arbeitsunfähigkeit. 

Die Entscheidung:

Das Landgericht wies die Klage ab,

Der Klage fehle es bereits an Substanz. Der Patient hätte Einsicht in die Behandlungsunterlagen nehmen und die so gewonnenen Erkenntnisse nutzen müssen, um sie der Klage zu Grunde zu legen.

Das Gericht verneinte auch eine Pflichtverletzung der Arztpraxis. Der Arzt habe nur zu dokumentieren, was medizinisch geboten sei. Dagegen diene die Dokumentation nicht dazu, versicherungsrechtliche Fragen zu klären.

Die Arztpraxis habe auch keine Schutzgesetze zu Gunsten des Patienten verletzt: weder das Verbot der Ausstellung unrichtiger Gesundheitszeugnisse (§ 278 StGB) noch die Regelungen des Bundesmantelvertrages-Ärzte (BMV-Ä) oder der §§ 4 Abs. 1, 5 Abs. 1 AUB-RL (Arbeitsunfähigkeits-Richtlinie) seinen dazu da, den Patienten zu schützen. Der Arzt übernehme also keine Gewähr für die Richtigkeit seiner Diagnosen. 

Praxishinweis:

Der Arzt ist grundsätzlich nicht dafür verantwortlich, dass ein Sachverständiger zu einem späteren Zeitpunkt zu einem anderen Ergebnis kommt als er selbst. Hier musste die Arztpraxis daher nicht haften.

Dennoch ist darauf hinzuweisen, dass der Arzt verpflichtet ist, seine Befunde sauber zu erheben und zu begründen - schlicht unrichtige Gesundheitszeugnisse darf er nicht ausstellen (vgl. § 278 StGB).

Auch wenn die Arztpraxis in diesem Fall nicht haftete, sollten niedergelassene Ärzte folgende Grundsätze berücksichtigen, um auf der sicheren Seite zu sein und Haftungsansprüche der Patienten zu vermeiden (vgl. Ruppel, Keine ärztliche Dokumentationspflicht zur Sicherung eines Krankengeldanspruches, jurisPR-MedizinR 4/2019 Anm. 3):

  • der Arzt sollte mündliche Angaben des Patienten (z.B. zu Schmerzen oder Bewegungseinschränkungen) soweit möglich durch Untersuchungen verifizieren
  • er sollte die Art der Untersuchungen und ihre Ergebnisse (zumindest in Stichworten) dokumentieren. Die Verwendung von individuellen Kürzeln ist dabei in Ordnung
  • der Arzt soll sich durchaus trauen, einem simulierenden Patienten die Erteilung einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung zu verweigern - andernfalls kann er "in Teufels Küche kommen", wenn sich später herausstellt, dass er wissentlich ein unrichtiges Gesundheitszeugnis erstellt hat

Rechtsanwalt und Fachanwalt für Medizinrecht Philip Christmann
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