(20.5.2019) Vereinbarungen, die eine ausschließliche Belieferung der Patienten mit Medikamenten durch eine bestimmte Apotheke sicher stellen sollen, sind wegen Verstoß gegen das Gebot der Unabhängigkeit des Apothekers nichtig. Das gilt auch in Fällen der spezialisierten ambulanten Palliativversorgung (Verwaltungsgericht Chemnitz, Urteil vom 16. April 2019 – 4 K 772/15). 

Freiheit für die Medikamente, die der Apotheker den Patienten gibtPraxisanmerkung:

Im Streit stand eine Vereinbarung zwischen einer Apotheke und einem MVZ, wonach die Patienten des MVZ nur durch diese Apotheke mit Medikamenten versorgt werden sollten. Dazu wurden den Patienten von dem MVZ Vereinbarungen zur Unterschrift vorgelegt, durch die sich diese verpflichteten, die Medikamente ausschließlich bei dieser Apotheke zu beziehen (exklusiv). Andere Apotheker beschwerten sich bei der Landesdirektion Sachsen über diese Exklusivlieferungsvereinbarung, die daraufhin der Apotheke dieses Vorgehen untersagte. Dagegen klagte die Apotheke und unterlag nun (rechtskräftig) vor dem Verwaltungsgericht Chemnitz.

Tenor

Die Klage wird abgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 Prozent des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 Prozent des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Tatbestand

Die Klägerin wendet sich gegen die Feststellung der Landesdirektion Sachsen, wonach die Kooperationsvereinbarung zwischen der ... Apotheke in Chemnitz und dem Brückenteam des Palliativprojekts Chemnitz eine unerlaubte Absprache nach § 11 Abs. 1 des Apothekengesetzes (ApoG) darstellt.

Die Klägerin ist als Apothekerin Inhaberin der ... Apotheke Chemnitz, ..., ... Chemnitz, und Inhaberin einer diesbezüglichen Betriebserlaubnis. Ferner ist sie Inhaberin der ... Apotheke. Das Palliativprojekt Chemnitz / MVZ Spezielle Schmerztherapie und Palliativmedizin GmbH / Brückenteam, Geschäftsführer: Dr. U. R. und Dr. M. W., (forthin: Palliativprojekt) versorgt Patienten im Rahmen der spezialisierten ambulanten Palliativversorgung (forthin: SAPV) i.S.v. § 132d des Fünften Buches Sozialgesetzbuch (SGB V). Die Klägerin kooperiert mit diesem Palliativprojekt nach ihren Angaben und Angaben des Geschäftsführers des Palliativprojektes aufgrund einer mündlichen Absprache dergestalt, als sie eine 24-​Stunden Rufbereitschaft und das Bereitstellen der Notfallmedikation und die notwendigen Anpassungen der Medikamentierung der Patienten, nebst deren Anlieferung sicherstellt.

Im Jahr 2014 wurden der Landesdirektion Beschwerden von Inhabern anderer Apotheken, die Versorgungsverträge gemäß § 12a ApoG zur Versorgung von Heimbewohnern in stationären Pflegeeinrichtungen mit den Trägern der Heime und Zustimmung der Patienten nach Genehmigung der Landesdirektion geschlossen hatten, bekannt, die die Belieferung dieser Heimbewohnern mit Medikamenten durch die ... Apotheke nach Verordnungen von Ärzten des Palliativprojektes und eine damit verbundene gefährdende Doppelversorgung zum Inhalt hatten. Rezepte konnten nicht beigebracht werden, weil die Heimbewohnen über das Palliativprojekt durch die ... Apotheke beliefert würden und die Rezepte dort verblieben.

Im Rahmen der Ermittlung des Sachverhalts durch die Landesdirektion benannte die AOK-​Plus Sachsen und Thüringen auf email-​Anfrage der Landesdirektion den SAPV-​Leistungserbringer in Chemnitz - nämlich das Palliativprojekt - MVZ Spezielle Schmerztherapie und Palliativmedizin GmbH, Geschäftsführer: Dr. U. R. - und teilte mit, dass ihr kein schriftlicher Kooperationsvertrag zwischen dem Palliativprojekt mit einer Apotheke vorliege.

Der Geschäftsführer des Palliativprojektes, Herr Dr. U. R., teilte hinsichtlich der Annahme von Rezepten des Palliativprojektes nach einer Telefonnotiz in der Behördenakte vom 23.06.2014 (S. 49 der Behördenakte) mit, es bestünde zwischen dem Palliativprojekt und der Krankenkasse AOK-​Plus in dem zugrundeliegenden Vertrag eine Vereinbarung, nach dem die Kooperation zwischen dem Palliativprojekt und der ... Apotheke vereinbart wäre. Bei den Heimpatienten wären Einverständniserklärungen der Patienten für die Belieferung der vom SAPV-​Leistungserbringer ausgestellten Rezepte von der ... Apotheke vorhanden.

Im Rahmen der Anhörung der Klägerin zum streitgegenständlichen Feststellungsbescheid legte sie dar, man würde nicht aufgrund einer unzulässigen Vereinbarung nach § 11 Abs. 1 ApoG handeln, sondern nur aufgrund individueller Verordnungen der Ärzte des Palliativprojektes, die keine Ärzte im Sinne des § 11 ApoG seien, und individueller Vereinbarungen mit den jeweiligen Patienten durch die ...-​Apotheke als Kooperationsapotheke des Palliativprojektes tätig. Eine "Heimversorgung" werde daher nicht vorgenommen und auch nicht unterlaufen.

Mit Bescheid vom 06.08.2014 und Widerspruchsbescheid vom 27.04.2015 stellte die Landesdirektion Sachsen fest, dass die die Kooperationsvereinbarung zwischen der ... Apotheke in Chemnitz und dem Palliativprojekt eine unerlaubte Absprache nach § 11 Abs. 1 ApoG darstelle. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der beiden Bescheide verwiesen.

Am 28.05.2015 hat die Klägerin gegen den am 29.04.2015 zugestellten Widerspruchsbescheid Klage erhoben.

Die angefochtenen Bescheide seien rechtswidrig. Die Landesdirektion habe gar keine eigenen Feststellungen zu den behaupteten Verstößen getroffen, sondern sich nur auf Hörensagen und Anzeigen von Konkurrenten verlassen.

Zur Begründung wird im Wesentlichen vorgetragen, die Klägerin versorge Patienten mit Medikamenten ausschließlich auf deren Wunsch und Veranlassung hin. Die Apotheke sei eine der wenigen Apotheken im Freistaat Sachsen, die Parenteralia (Anm.: Injektionszubereitungen) und Zytostatika (Anm.: natürliche oder synthetische Substanzen, die das Zellwachstum beziehungsweise die Zellteilung hemmen und im Rahmen von Behandlung von Krebs und Autoimmunerkrankungen eingesetzt werden) herstelle. Zusätzlich sei sie Spezialversorgungsapotheke für Palliativversorgung und Onkologie. Ein von der Landesdirektion konstruierter Automatismus zwischen Palliativversorgung durch das Brückenteam und einer Medikamentenbelieferung allein durch die Apotheke der Klägerin bestehe nicht. Das ergebe sich aus beispielhaft übersendeten Einwilligungserklärungen zweier Patienten bzw. deren Angehörigen. Der Gesetzgeber habe schlicht vergessen § 11 ApoG an die gewollte Struktur der SAPV mit der Intention der Leistungserbringung aus einer Hand anzupassen. Denn das Palliativprojekt als SAPV-​Leistungserbringer müsse Betäubungsmittel für Notfälle und Krisensituationen bereithalten. Eine unerlaubte Zuweisung von Verschreibungen i.S.v. § 11 Abs. 1 ApoG habe der Kooperationsvertrag entgegen der Auffassung der Landesdirektion nicht zum Gegenstand. Es sei gerade nicht so, dass jede Apotheke, die für die Palliativmedizin notwendigen Betäubungsmittel und Schmerzmedikamente ohne Probleme verfügbar hätte. Der Palliativ-​Leistungserbringer müsse sich aber bevor er einen Versorgungsvertrag mit den Krankenkassen abschließen könne, eine Sicherstellungsabrede gemäß § 132d SGB V mit einer Apotheke abschließen, die im Notfall alle Arzneimittel, einschließlich Betäubungsmittel in Krisensituationen verfügbar habe. Es reiche nicht, wenn im Einzelfall erst eine Apotheke gesucht werden müsse, die entsprechende Medikamente vorrätig habe oder nach Rezepturen zubereiten könne. Im Übrigen verweigerten Apotheken im Einzelfall auch die Zubereitung von Rezepturen für Schmerzpumpen, obwohl sie gesetzlich dazu verpflichtet seien. Der Beklagte verkenne den Anwendungsbereich des § 132d SGB V und § 12 des Vertrages zwischen der AOK Plus Sachsen Thüringen und dem SAPV-​Leistungserbringer (Palliativprojekt), nach dem der Leistungserbringer Betäubungsmittel für Notfälle bzw. zur Krisenintervention vorzuhalten bzw. sicherzustellen habe, dass diese verfügbar sind. Das Palliativprojekt habe sich für die zweite Variante und eine Zusammenarbeit mit der ... Apotheke entschieden. Warum also diese Kooperation beanstandet werden solle, erschließe sich nicht. Andere Apotheken würden dadurch gerade nicht von einer Versorgung der Patienten ausgeschlossen. Eine unterstellte mündliche Vereinbarung zur Belieferung von Patienten zwischen dem SAPV-​Leistungserbringer und der ... Apotheke bestehe entgegen der Darstellung des Beklagten nicht, es bestehe nur die genannte Sicherstellungsabrede. Im Übrigen läge keine der Alternativen von § 11 Abs. 1 ApoG, insbesondere kein Zuweisen von Verschreibungen oder das Zuführen von Verschreibungen vor. § 11 Abs. 1 ApoG sei nach der Rechtsprechung des BGH und des BVerwG im Verfahren hinsichtlich des Verbots der Zuweisung von Verschreibungen einschränkend auszulegen. Ferner wäre § 11 Abs. 2 ApoG, bzw. § 5b Betäubungsmittelverschreibungsverordnung (BtMVV) analog auf den zu entscheidenden Fall anzuwenden.

Die Klägerin beantragt,

der Feststellungsbescheid des Beklagten vom 06.04.2014, Az. L24-​5114/45/4, in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 27.04.2015, zugestellt am 29.04.2015, wird aufgehoben.

Die Hinzuziehung des Prozessbevollmächtigten der Klägerin im Vorverfahren wird für notwendig erklärt.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Zur Begründung wird vorgetragen, es läge eine unerlaubte Zuweisung von Verordnungen i.S.v. § 11 Abs. 1 ApoG vor, weil der ... Apotheke der Klägerin unter Ausschluss anderer Apotheken ausschließlich die Verschreibungen der Ärzte des Brückenteams zu Gute kämen. Das ergebe sich aus der mündlichen Kooperationsvereinbarung zwischen dem Brückenteam und der Apotheke, aus dem von der Klägerin vorgelegten Versorgungskonzept des Brückenteams und den im Klageverfahren vorgelegten zwei Einwilligungserklärungen, in denen es heiße: "Für die Versorgung mit Medikamenten beauftrage ich hiermit ausschließlich die Apotheke, mit der mein SAPV-​Leistungserbringer eine Vereinbarung geschlossen hat und verzichte auf mein Wahlrecht für die Inanspruchnahme einer anderen Apotheke." Damit läge gerade keine vorherige schriftliche Zustimmung der Patienten zu einer Versorgung mit der ... Apotheke vor. Die Patienten hätten gar keine Möglichkeit, eine selbst ausgesuchte Apotheke in das Formular einzusetzen. § 11 Abs. 1 ApoG sei auch entgegen der Auffassung der Klägerin nicht einschränkend auszulegen. Das würde schon dem Gesetzeszweck widersprechen. Eine einschränkende Auslegung käme auch nicht unter Berücksichtigung der von Klägerseite genannten Rechtsprechung in Frage. Die Erreichung des Ziels der bestmöglichen Patientenversorgung sei auch ohne eine einschränkende Auslegung des § 11 Abs. 1 ApoG gewährleistet. Es gehe entgegen der Darstellung der Klägerseite gerade nicht nur um eine Notfallversorgung und das Befüllen von Schmerzpumpen mit parenteralen Anwendungen, sondern, wie sich aus der von Klägerseite vorgelegten Einwilligungserklärung zweier Patienten ergebe, um eine Vollversorgung, die allein von der ... Apotheke als Partner des Brückenteams gewährleistet werden solle. Außerdem verfüge die Inhaberin der ... Apotheke die Voraussetzungen für die Herstellung parenteraler Arzneimittel ausschließlich in der ... Apotheke und nicht in der ... Apotheke. Entgegen der Darstellung der Klägerseite verfügten im Übrigen auch andere Apotheken im Freistaat und im Bereich des Regierungsbezirks Chemnitz über die Möglichkeiten Zytostatika und parenterale Schmerzmittel herzustellen. Der Pharmagroßhandel liefere im Übrigen auch nachts und an Wochenenden und eventuell auch mit Sondertouren etc.

Die Vereinbarung zwischen der ... Apotheke und dem Brückenteam sei auch in analoger Anwendung von § 11 Abs. 2 ApoG als Ausnahmevorschrift nicht zulässig. Die dort benannten Zytostatikazubereitungen dienten der Behandlung von Tumoren, weil sie das Zellwachstum beeinflussten und dienten nicht der Lösung von Notsituationen. In der Palliativmedizin kämen dagegen vorwiegen schmerz- und angstlösende Mittel zum Einsatz, um ein beschwerdefreies Dasein zu ermöglichen. § 5b BtMVV sei ebenfalls nicht analog anzuwenden, weil es ihm Rahmen der Palliativversorgung nicht ausschließlich um Betäubungsmittel gehe.

Mit Beschluss vom 06.04.2018 wurde die Streitsache mit Zustimmung der Beteiligten dem Berichterstatter zur Entscheidung als Einzelrichter übertragen.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird gemäß § 117 Abs. 3 Satz 2 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) auf die Gerichts- und Behördenakte verwiesen.

Entscheidungsgründe

Die zulässige, insbesondere fristgemäß erhobene Klage hat keinen Erfolg.

Die angefochtenen Bescheide sind rechtmäßig und verletzten die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).

Zu Recht stützte die Landesdirektion als Aufsichtsbehörde über die öffentlichen Apotheken ihre Ordnungsverfügung im angefochtenen Bescheid auf § 69 Abs. 1 Satz 1 Arzneimittelgesetz (AMG). Nach dieser Vorschrift treffen die zuständigen Behörden die zur Beseitigung festgestellter Verstöße und die zur Verhütung künftiger Verstöße notwendigen Anordnungen. Diese Norm enthält eine generelle Ermächtigung zur Überwachung des Verkehrs mit Arzneimitteln und ermächtigt damit auch zu ordnungsrechtlichen Maßnahmen bei Verstößen gegen das Apothekenrecht. Das ergibt sich zum einen aus § 64 AMG, der den Umfang der den zuständigen Behörden obliegenden Überwachung festlegt und damit auch den in § 69 Abs. 1 Satz 1 AMG vorausgesetzten Eingriffsbereich bestimmt. Nach § 64 Abs. 1 Satz 1 AMG unterliegen Betriebe und Einrichtungen, in denen Arzneimittel hergestellt, geprüft, gelagert, verpackt oder in den Verkehr gebracht werden oder in denen sonst mit ihnen Handel getrieben wird, insoweit der Überwachung durch die zuständige Behörde. Es liegt auf der Hand, dass dies für Apotheken zutrifft. § 64 Abs. 3 AMG bestimmt darüber hinaus, dass sich die zuständige Behörde davon zu überzeugen hat, dass die Vorschriften über das Apothekenwesen beachtet werden. Damit ist die Einhaltung der apothekenrechtlichen Bestimmungen ausdrücklich zum Gegenstand der Überwachung nach den §§ 64 ff. AMG gemacht worden (zum Ganzen: BVerwG, Urteil vom 22.01.1998, 3 C 6/97, juris).

Die Arzneimittelversorgung innerhalb der SAPV ist weder gesetzlich noch in der vom gemeinsame Bundesausschuss zur Verordnung spezialisierter ambulanter Palliativversorgung aufgrund der Ermächtigung in § 37b Abs. 3 SGB V i.V.m. § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 14 SGB V erlassenen Richtlinie vom 20.12.2007 i.d.F. vom 15.04.2010 (SAPV-​RL) und auch nicht in der Empfehlung des Spitzenverbandes des Bundes der Krankenkassen (GKV-​Spitzenverband) vom 23.06.2008 i.d.F. vom 05.11.2012 zu § 132d SGB V gesondert geregelt.

Entsprechende Regelungen sind daher den Versorgungsverträgen nach § 132d SGB V überlassen, die die Krankenkassen zur Durchführung der SAPV mit geeigneten Einrichtungen und Personen schließen und die selbst und in ihrer praktischen Ausgestaltung durch die SAPV-​Leistungsträger den allgemeinen apothekenrechtlichen Vorgaben und Rechtsgrundsätze unterliegen. Abseits der im vorliegenden Fall nicht einschlägigen sogenannten integrierten Versorgung nach § 140a SGB V unterliegen alle anderen nach dem Sozialversicherungsrecht zulässigen Kooperationsvereinbarungen den allgemeinen Grundsätze des § 11 ApoG (Spickhoff/Sieper, Medizinrecht, 2. Aufl., 2014, § 11 ApoG Rn. 3 und Bauer in Zeitschrift für Arzneimittelrecht und Arzneipolitik 2013, 117, IV Nr. 1). Verträge und Absprachen, die entgegen den in § 11 ApoG enthaltenen Grundsätzen geschlossen wurden, sind gemäß § 12 ApoG i.S.v. § 134 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) nichtig.

Der zwischen dem SAPV-​Leistungserbringer (dem Palliativprojekt) und der AOK Plus Sachsen Thüringen geschlossene Vertrag sieht in § 12 Abs. 1 c) eine Verpflichtung des SAPV-​Leistungserbringers vor, Arzneimittel inkl. Betäubungsmittel und Hilfsmittel für die Notfall/Krisenintervention vorzuhalten bzw. bereitzustellen. Zur Erfüllung dieser Verpflichtung praktiziert der SAPV-​Leistungserbringer (das Palliativprojekt) und/oder die Klägerin als Inhaberin der ... Apotheke nach der von Klägerseite zur Begründung der Klage als Anlage K1 und K2 zum Schriftsatz vom 02.09.2015 übersandten von Patienten ausgefüllten zwei Formblatt-​Einwilligungserklärungen aus dem Jahr 2014, die die Bezeichnung "Anlage 9 zum Vertrag gemäß § 132d SGB V" tragen, eine Arzneimittelversorgung der SAPV-​Patienten in Kooperation mit der ... Apotheke mit folgendem Inhalt:

"Medikamentenversorgung:

damit Sie die benötigten Medikamente schnell und zuverlässig und möglichst am gleichen Tag erhalten, hat der SAPV-​Leistungserbringer Vereinbarungen mit einer Apotheke geschlossen.

Für die Versorgung mit Medikamenten beauftrage ich hiermit ausschließlich die Apotheke mit der mein SAPV-​Leistungserbringer eine Vereinbarung geschlossen hat und verzichte auf mein Wahlrecht für die Inanspruchnahme einer anderen Apotheke."

In dieser Formblatt-​Einwilligungserklärung wird gegenüber dem Patienten als Empfänger von SAPV-​Leistungen der Anschein erweckt, das Palliativprojekt als SAPV-​Leistungserbringer könne "seine Leistungen schnell, zuverlässig und möglichst noch am gleichen Tag" im Interesse des Patienten nur dann erbringen, wenn dieser auf sein Wahlrecht zu Inanspruchnahme anderer als der vom Leistungserbringer ausgesuchten Apotheken für jede Art von Medikamenten verzichtet. Dieser Verzicht ist dabei nicht auf die Versorgung mit Medikamenten aus der Palliativversorgung i.S.v. § 132d SGB V begrenzt, sondern soll für alle Medikamente gelten.

Dies verstößt gegen den Grundsatz des Verbots unzulässiger Absprachen zwischen Apothekern und Heildienstleitern in § 11 Abs. 1 ApoG, der entgegen der Auffassung der Klägerin auch auf Ärzte in Palliativprojekten als SAPV-​Leistungserbringer und Kooperationsapotheken anzuwenden ist. Anders ist die Tatsache, dass der Gesetzgeber eine Reihe von wichtigen Tatbeständen, die in der SAPV Medikamentenversorgung von Bedeutung sind, z.B. in § 11 Abs. 2 ApoG (Zytostatika) und in § 5b ApoBetrVO für Betäubungsmittel, die dem BtMG unterliegen, bzw. in Sonderregelungen der Medikamentenabgabe nach Rahmen-​Exklusivverträgen gemäß § 129 Abs. 5 Satz 3 SGB V, aufgrund dessen andere Apotheken von der Belieferung von parenteralen onkologischen Zubereitungen ausgeschlossen werden können, geregelt hat, gleichwohl in § 11 Abs. 1 ApoG die SAPV-​Leistungserbringer aber nicht von dessen Anwendungsbereich ausschloss, nicht zu erklären. Eine von Klägerseite angesprochene und eine analoge Anwendung zuvor genannten Vorschriften erst ermöglichende (planwidrige) Regelungslücke des Gesetzgebers in § 11 Abs. 1 ApoG ist mithin nicht erkennbar. Zur Anwendbarkeit von § 11 Abs. 1 ApoG auch auf die SAPV-​Leistungserbringer bzw. die Klägerin als Kooperationsapotheke kann im Übrigen auf die zutreffende Darstellung auf den Seiten 10 bis 12 des Widerspruchsbescheids verwiesen werden, die sich das Gericht für seine Entscheidung zu eigen macht (§ 117 Abs. 5 VwGO).

§ 11 Abs. 1 ApoG bezeichnet als Inhalt verbotener Rechtsgeschäfte und Absprachen auch mündlicher Art vier Tatbestandsalternativen, nämlich die bevorzugte Lieferung bestimmter Arzneimittel, die Zuführung von Patienten, die Zuweisung von Verschreibungen oder die Fertigung von Arzneimitteln ohne volle Angabe der Zusammensetzung.

Das Verbot der Zuweisung von Verschreibungen schützt die strenge Trennung zwischen dem Beruf des Arztes und dem des Apothekers. Der Arzt soll sich bei der Arzneimittelwahl ausschließlich von medizinischen Gesichtspunkten und seinem ärztlichen Gewissen leiten lassen, der Apotheker soll seine Kontrollfunktion bei der Belieferung von Verschreibungen eigenverantwortlich wahrnehmen (BVerwG, Beschluss vom 24. März 1994 - 3 B 49.93 -, juris, Rn. 8). Ferner dient § 11 Abs. 1 ApoG dem Schutz der freien Apothekenwahl des Patienten. Diese Zielsetzungen blendet die Klägerin in ihrer Argumentation aus. Denn die Klägerin geht unter Berufung auf die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes fehl in der Annahme, § 11 Abs. 1 ApoG sei ausschließlich eine "Marktverhaltensregel". Aus der klägerseits zitierten Rechtsprechung des BGH in dessen Urteil vom 26. April 2018 (– I ZR 121/17 –, Rn. 58, juris), ergibt sich dies gerade nicht. Der BGH stellt vielmehr und in Übereinstimmung mit gefestigter verwaltungsrechtlicher Rechtsprechung fest:

"Die Regelung des § 11 Abs. 1 Satz 1 Alt. 3 ApoG soll sicherstellen, dass der Erlaubnisinhaber einer Apotheke sich bei seinem Kontakt zu anderen Gesundheitsberufen wie insbesondere zu Ärzten, die Einfluss auf sein Entscheidungsverhalten haben, nicht von sachfremden und vor allem nicht von finanziellen Erwägungen leiten lässt. Sie soll damit Verhaltensweisen der Apotheker entgegenwirken, die die ordnungsgemäße Versorgung der Bevölkerung mit Arzneimitteln beeinträchtigen können (BGH, Urteil vom 18. Juni 2015 - I ZR 26/14, GRUR 2016, 213 Rn. 20 = WRP 2016, 193 - Zuweisung von Verschreibungen). Außerdem soll damit das Recht des Patienten auf freie Wahl der Apotheke gewahrt werden".

Die im vorliegenden Fall im Raum stehende Zuführung von Kunden durch den SAPV-​Leistungserbringer (Palliativprojekt) an die ... Apotheke entspricht dem Fall der "Zuweisung von Verschreibungen" und wird von diesem erfasst. Im Regelfall ist unter der Zuführung von Kunden das Aushändigen eines vom Arzt ausgestellten Rezeptes an einen Patienten mit der Bitte zu verstehen, dieses in einer bestimmten Apotheke einzulösen. Damit wird bei Einlösung des Rezeptes dieser Apotheke vom Arzt ein Kunde zugeführt und zugleich das Merkmal der "Zuweisung einer Verschreibung" erfüllt.

Dazu zählt zunächst alles, was dazu dient, ärztliche Verschreibungen unter Ausschluss anderer Apotheken unmittelbar einer einzelnen Apotheke oder mehreren Apotheken anteilmäßig oder im Wechsel zukommen zu lassen. Entscheidendes Kriterium ist insoweit, dass der Arzt dem Patienten die Verschreibung nicht aushändigt, sondern unmittelbar der begünstigten Apotheke zugehen lässt, die dem Patienten sodann die verschriebenen Arzneimittel abgibt. Bei einer solchen Verfahrensweise wird dem Patienten die Freiheit genommen, die Apotheke, in der er ein vom Arzt ausgestelltes Rezept einlösen will, frei zu wählen. Durch diese Praxis wird das Recht des einzelnen Patienten auf freie Apothekenwahl unzulässig eingeschränkt.

Diese gegen die freie Apothekenwahl verstoßende Praxis des Palliativprojektes als SAPV-​Leistungsträger bzw. der Klägerin als Inhabern der Apothekenerlaubnis stimmt auch entgegen dem Vortrag der Klägerseite nicht mit dem konkreten mit der AOK Plus Sachsen Thüringen geschlossenen Vertrag oder einer von der AOK geübten Vertragsauslegungspraxis überein. Im Wege der dem Gericht entgegen der Auffassung der Klägerseite auch im vorliegenden Fall obliegenden Amtsermittlung wurde eine entsprechende Auskunft der AOK Plus Sachsen Thüringen vom 24.05.2018 eingeholt, nach der die zur Gerichtsakte von Klägerseite gereichte Einwilligungserklärungen als Vertragsanlage 9 nicht Gegenstand der des zwischen AOK Plus Sachsen Thüringen und dem SAPV-​Leistungsträger geschlossenen Vertrages vom 01.07.2010 wurde. Eine Einschränkung der freien Apothekenwahl sei zwischen den Kostenträgern in Sachsen nicht vereinbart worden. In der tatsächlich Verwendung findende Anlage 9 zum Mustervertrag nach § 132d SGB V ist eine Einschränkung der freien Apothekenwahl auch nicht vorgesehen. Dadurch, dass die von Klägerseite vorgelegten und von Patienten unterschriebenen Einwilligungsformulare als "Anlage 9 zum Vertrag nach § 132d SGB V" bezeichnet wurden, wurde ein Bezug zum abgeschlossenen Vertrag zwischen der AOK Plus Sachsen Thüringen und dem Palliativprojekt als Leistungserbringer objektiv falsch hergestellt. Die AOK Plus Sachsen Thüringen hat vielmehr in ihrem Vertrag mit dem SAPV-​Leistungserbringer in § 7 (Grundsätze der Leistungserbringung) und dort unter dem Abs. 7 die Verwendung des dem Vertrag beigefügten Einwilligungsmusters empfohlen, das gerade keine Einschränkung der freien Apothekenwahl beinhaltet.

Damit stellt die Vorgehensweise des SAPV-​Leistungsträgers entgegen der Auffassung der Klägerin keine von der AOK Plus Sachsen Thüringen gewünschte Sicherstellungsabrede dar, die nach dem Vertrag vom 01.07.2010 vom SAPV-​Leistungsträger mit dem von ihm verwendeten Formular zu erfüllen wäre.

Aus den von Klägerseite in Bezug genommenen Musterverträgen nach § 132d SGB V aus Niedersachsen und dem Gebiet Nordrhein ergibt sich entgegen ihrer Auffassung nichts anderes. Selbst wenn dies so wäre, wäre dies im Übrigen nicht für den konkreten Fall von Bedeutung. Denn die Klägerin und/oder das Palliativprojekt wenden den bestehenden Vertrag mit der AOK Plus Sachsen Thüringen in vertragswidriger Art und Weise an.

Letztlich werden die Zytostatika und Pararenteralzubereitungen gar nicht in der ... Apotheke als vom Palliativprojekt benannten Kooperationsapotheke, sondern in der weiteren Filial-​Apotheke der Klägerin, nämlich in der ... Apotheke hergestellt, wie sich aus der diesbezüglichen Betriebserlaubnis ergibt. Von dieser ist aber nach dem klägerischen Vortrag im Rahmen einer Zusammenarbeit in der Palliativversorgung gar keine Rede. Zwar ist eine Abgabe dieser Medikamente von der ... Apotheke an die ... Apotheke im Filialverbunde nach § 17 Abs. 6c der Apothekenbetriebsordnung (ApBertrO) grundsätzlich zulässig. Dass dies so praktiziert würde, ist allerdings nicht vorgetragen worden und lässt sich auch nicht mit dem allgemeinen Hinweis auf die SAPV-​Leistungserbringung und die damit verbundenen notwendigen Medikamente unterstellen. Schmerzpumpen kann die Klägerin im Übrigen nach den technisch-​pharmazeutischen Erfordernissen in der ... Apotheke nur für Krebspatienten, jedoch nicht für andere unter tödlichen und scherzhaften Erkrankungen leidende SAPV-​Patienten herstellen. Betäubungsmittel können von jeder Apotheke aufgrund einer Verschreibung nach § 13 BtMG abgegeben werden, sodass sich auch hier kein Alleinstellungsmerkmal der ... Apotheke ableiten lässt, das eine Einschränkung der freien Apothekenwahl im Patienteninteresse naheliegend erscheinen ließe. Eine Einschränkung der Kooperationspraxis des SAPV-​Leistungsträgers mit der ... Apotheke auf Medikamente der Notfallversorgung bzw. Krisenintervention, so wie im Vertrag mit der AOK Plus Sachsen Thüringen auch vorgesehen, liegt ebenfalls nicht vor. Vielmehr erlaubt die Kooperationspraxis eine Vollversorgung von Patienten mit jeder Art von Medikamenten, die von der AOK-​Plus Sachsen Thüringen vertraglich nicht vereinbart wurde und im Hinblick auf die Einschränkungen von § 11 Abs. 1 ApoG auch nicht zulässig ist. Einer Zulassung der Berufung bedurfte es daher zusammenfassend nicht.

Ob im Übrigen ein Verstoß gegen § 12a ApoG durch die Kooperationsvereinbarung und deren praktischen Handhabung und damit eine nicht genehmigte Heimversorgung vorliegt, kann dahinstehen. Es ist aber darauf hinzuweisen, dass auch durch eine genehmigte Heimversorgung nach § 12a ApoG das Recht des einzelnen Patienten auf eine freie Apothekenwahl gerade nicht grundsätzlich beschnitten werden soll (vgl. § 12a Abs. 1 Nr. 4 ApoG).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 VwGO in Verbindung mit §§ 708 Nr. 11, 711 Zivilprozessordnung (ZPO).

Beschluss

Der Streitwert wird auf 5000 € festgesetzt.

Gründe

Die Festsetzung des Streitwertes beruht auf § 63 Abs. 2 Satz 1 GKG i. V. m. § 52 Abs. 2 GKG. Die Beteiligten verzichteten auf Rechtsmittel gegen diese Festsetzung.

Rechtsanwalt und Fachanwalt für Medizinrecht Philip Christmann
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