(2.8.2019) Eine Verdachtskündigung gegen einen Chefarzt wegen des Vorwurfs des Abrechnungsbetruges bei Wahlleistungen ist unbegründet, wenn die Abrechnung einer Fremdfirma übertragen ist und die Klinik den Chefarzt vor der Kündigung auch nicht über sein angebliches Fehlverhalten informiert und damit abgemahnt hat (Arbeitsgericht Aachen, Urteil vom 6. Juni 2019 – 4 Ca 2413/18). 

Kündigung eines Chefarzt wegen Abrechnungsbetruges Der Fall:

Der klagende Arzt ist bei der beklagten Klinik seit dem 01.10.2015 als Chefarzt bei einem monatlichen Bruttoverdienst von ca. 26.500 EUR beschäftigt.

In dem zwischen dem Chefarzt und der Klinik geschlossenen Chefarztdienstvertrag ist festgelegt: 

"Der Arzt erhält ferner eine Beteiligung, die sich wie folgt zusammensetzt:

a. eine Beteiligung an den Bruttoliquidationseinahmen des Krankenhausträgers aus der gesonderten Berechnung wahlärztlicher Leistungen seiner Abteilung durch das Krankenhaus, hierzu zählen nicht von Kooperationsärzten nach § 6 Abs. 5. erbrachte Leistungen, in Höhe von 30 v.H.;

"Abrechnung durch das Krankenhaus

(1) Alle Honorare werden vom Krankenhaus eingezogen. Zu diesem Zweck wird der Arzt der Krankenhausverwaltung die erforderlichen Unterlagen innerhalb von zwanzig Tagen nach der Behandlung übergeben.

(2) Soweit die Honorare dem Krankenhaus nicht schon unmittelbar zustehen (z.B. wahlärztliche Leistungen, ambulante Behandlung von Selbstzahlern, institutionelle ambulante Behandlung etc.) rechnet das Krankenhaus die Honorare aus ambulanter Behandlung (Ermächtigung gem. § 116 SGB V, Durchgangsarztverfahren, etc.) mit den entsprechenden Kostenträgern ab und behält das Honorar ein. (...)"

Die Abrechnung der Wahlleistungen des Chefarztes übernahm eine Fremdfirma. Dazu leitete die Sekretärin des Chefarztes die betreffenden Behandlungsakten an eine Fremdfirma weiter. 

In der Folgezeit kam es zu Streitigkeiten zwischen der Klinik und dem Chefarzt bezüglich des weiteren Betriebes eines Operationsroboters (Da Vinci). 

Die Klinik warf dem Chefarzt dann u.a. vor, er habe Operationen (falsch) abgerechnet, die er nicht selbst erbracht hätte. Diese Operationen (es handelte sich um acht Fälle) hätte ein Oberarzt erbracht, der zudem nicht der ständige ärztliche Vertreter des Chefarztes ist. Aus der Analyse verscheidener Operationsprotokolle habe sich ergeben, dass der Chefarzt zur gleichen Zeit in einem anderen Saal operiert habe. Ohne vorherige Abmahnung kündigte die Klinik dem Chefarzt deshalb fristlos wegen des Verdachts des Abrechnungsbetruges.

Der Chefarzt wandte ein, er habe den Operationen zumindet seine Prägung gegeben, indem er bei den Operationern zeitweilig anwesend gewesen sei. Zudem sei es üblich in diesem Hause, dass die für die Abfassung des OP-Berichts zuständigen Pflegekräfte häufig nur den tatsächlich operierenden Arzt, nicht aber weitere, anwesende Ärzte in den OP-Bericht eintragen. 

Die Entscheidung:

Das Arbeitsgericht wies die Verdachtskündigung als unbegründet zurück. Die Klinik musss den Chefarzt weiter beschäftigen und zwischenzeitlich fällig gewordenes Chefarztgehalt nachzahlen.

Das Gericht hob hervor, dass ein Verstoß gegen die Wahlleistungsvereinbarung dann nicht vorliegt, wenn der der Chefarzt der Operation zumindest beispielsweise durch fachliche Überwachung und Anleitung des operierenden Arztes sein persönliches Gepräge gibt und hierzu nicht die dauerhafte örtliche Anwesenheit des Chefarztes im Operationssaal erforderlich ist.

Wenn ein OP-Protokoll einen bestimmten Arzt als Operateur ausweise, so gebe dies nicht die letztmalige Garantie dafür, dass ein dort nicht eingetragener Arzt nicht bei der Operation anwesend war, wenn der Chefarzt glaubhaft vorträgt, dass die für die Abfassung des OP-Berichts zuständigen Pflegekräfte häufig nur den tatsächlich operierenden Arzt in das Protokoll eintrügen.

Letztlich beruft sich die Klinik in ihrer Kündigung lediglich auf ein Fehlverhalten des Chefarztes bei der Abrechnung. Für die eigentliche Abrechnung war der Chefarzt jedoch wie dargelegt nicht selbst verantwortlich. Er konnte die Einnahmen auch nicht selbst liquidieren. Der verbleibende Vorwurf wäre daher, dass der Chefarzt nicht hinreichend überwacht habe, soweit eine Abrechnung über die von der Klinik beauftragte Fremdfirma gegenüber einem Patienten auch Leistungen berechnet, die nicht von dem Chefarzt erbracht wurden und daher der zwischen Patient und Krankenhaus geschlossenen Vereinbarung widersprechen. Es ist nicht abschließend erkennbar, dass dem Chefarzt hierbei vorsätzliches Verhalten zur Last gelegt werden kann.

Die Klinik hätte den Arzt auch abmahnen müssen, bevor sie ihm kündigen darf. Sie müsse ihm so Gelegenheit geben, ein mögliches Fehlverhalten zu erkennen und abzustellen. 

Der weitere Vorwurf der Klinik, der Chefarzt habe den Oberarzt genötigt, ihn in dem Protokoll zu vermerken, ließ sich nach der vom Arbeitsgericht durchgeführten Beweisaufnahme ebensowenig erhärten wie der Vorwurf, der Chefarzt habe OP-Protokolle nachträglich fälschen lassen, indem er sich dort als operierenden Arzt eintragen ließ.

Allerdings ist gegen die Entscheidung Berufung eingelegt worden, so dass das Landesarbeitsgericht noch einmal über den Fall entscheiden wird. 

Praxisanmerkung:

Die Entscheidung verdeutlicht, dass OP-Protokolle wichtig sind, es aber auch die allgemeine Praxis geben kann, dass dort nur der operierende Arzt eingetragen wird, während der nur anwesende weitere Arzt nicht eingetragen wird. Um abrechnungstechnische Streitigkeiten zu vermeiden, sollte der Chefarzt dafür sorgen, dass sowohl der operierende als auch der (wenn auch nur zeitweilig anbwesende) weitere Arzt vermerkt werden im Protokoll.   

Kliniken sollten dagegen vor einer Kündigung den Arzt immer mündlich und schriftlich abmahnen. Nur in absoluten Ausnahmefällen, sprich bei gravierenden Dienstpflichtverletzungen, ist eine Abmahnung nicht erforderlich.  

Rechtsanwalt und Fachanwalt für Medizinrecht Philip Christmann
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