Arzt stellt Patientin ein Attest aus(13.3.2024) Das ärztliche Zeugnis im Sinne des § 20 Abs. 9 Satz 1 Nr. 2 lfSG über die Kontraindikation gegen eine Impfung gegen Masern muss Angaben über den Grund der Kontraindikation enthalten, die dem Gesundheitsamt zumindest eine Plausibilitätskontrolle ermöglichen (Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 1.3.2024 - 1 S 94/23). Die Entscheidung gibt Gelegenheit, die Gundsätze für die rechtmäßige Erstellung von ärztlichen Attesten noch einmal darzustellen.

Der Fall: 

Die Eltern einer zwölfjährigen Berliner Schülerin legten der Schule trotz mehrfacher Aufforderung keinen Masern-Impfnachweis vor. Stattdessen zeigte die Mutter ein ärztliches Schreiben vor, wonach ihr Kind „aufgrund Gesundheitsgefahr“ nicht geimpft werden könne. Dies sah die Schule als nicht ausreichend an. Die zuständige Behörde drohte den Eltern ein Zwangsgeld an, falls sie weiterhin keinen Nachweis einer erfolgten Masernimpfung oder eine ärztliche Bescheinigung über eine Kontraindikation zu einer solchen Impfung vorlegen.

Gegen dieses Zwangsgeld richtet sich die Beschwerde der Eltern. Das Oberverwaltungsgericht prüfte im Zusammenhang dieser Beschwerde, ob das vorgelegte Attest formell und inhaltlich ausreicht, um die Tochter wirksam von der Pflicht zum Nachweis der Impfung zu befreien. Dazu bedarf es nach § 20 Abs. 9 Satz 1 Nr. 2 Infektionsschutzgesetz ein ärztliches Zeugnis darüber, dass die Tochter aufgrund einer medizinischen Kontraindikation nicht geimpft werden kann.

Die Entscheidung:

Das OVG verwarf die Beschwerde der Eltern als unbegründet. Das vorgelegte Attest reiche nicht aus. Aus Sicht des OVG benötige eine ärztliche Bescheinigung im Sinne des § § 20 Abs. 9 Satz 1 Nr. 2 Infektionsschutzgesetz folgenden Inhalt:

  1. Feststellung und Benennung einer Kontraindikation 
  2. Benennung der einer Kontraindikation zu Grunde liegenden ärztlichen Diagnose

Unter Hinweis auf die Rechtsprechung auch anderer Verwaltungsgerichte führt das OVG Berlin-Brandenburg aus, dass jedenfalls das dem Gesundheitsamt zum Nachweis einer Kontraindikation gegen die Impfung vorzulegende ärztliche Zeugnis eines Mindestmaßes der Konkretisierung in Gestalt einer ärztlichen Diagnose bedürfe. Würde die bloße Angabe des Bestehens einer Kontraindikation in einer ärztlichen Bescheinigung (gleich welchen Arztes) ohne jegliche Plausibilisierung zur Erfüllung der Pflicht aus § 20 Abs. 9 Satz 1 Nr. 2 IfSG genügen, bestünden entweder immer Zweifel an deren Richtigkeit oder nie. Ein solches Verständnis könne dem Gesetzgeber nicht unterstellt werden, so das Gericht. 

Praxisanmerkung:

Die Entscheidung ist richtig. Sie schafft rechtliche Klarheit für alle Beteiligten und ist daher zu begrüßen. 

Grundregeln für die Erstellung ärztlicher Atteste sind:

  • der Arzt muss den Patienten selbst untersucht haben (es ist strengstens verboten, Atteste ohne Untersuchung zu erstellen)
  • Vorerkrankungen sind zu benennen
  • der Arzt muss in dem Attest eigene Erkenntnisse darstellen - er muss sich von den im Attest behaupteten Tatsachen selbst ein Bild gemacht haben - ein Arzt darf keinen Vorgang bescheinigen, den er nicht selbst wahrgenommen hat
  • der Arzt muss klar machen, ob er die medizinischen Erkenntnisse durch eigene Untersuchungen oder zB durch konsiliarische Untersuchungen gewonnen hat
  • das Attest muss eine klare Diagnose enthalten
  • der Arzt muss darlegen, wie er zu den attestierten Schlussfolgerungen oder Diagnosen gelangt ist
  • der Arzt darf keine fachfremden Diagnosen stellen - so kann ein Zahnarzt keine allgemeinmedizinischen Atteste erstellen
  • Atteste sollen nur medizinische Feststellungen enthalten. Sonstige Bestellungen (z.B. über Streitigkeiten mit Dritten oder persönliche Wohnverhältnisse) dürfen nur angegeben werden, wenn der Arzt diese persönlich wahrgenommen hat. Nicht erlaubt ist also die bloße Wiedergabe subjektiver Schilderungen des Patienten als eigene Einschätzung
  • keinesfalls sollen solche „Nebenschauplätze“ einen zu großen Raum einnehmen - im Zentrum des Attestes muss immer die medizinische Seite stehen
  • wenn der Arzt Kausalitäten darstellt, muss er klar machen, was Ursache und was Wirkung ist
  • der Arzt darf sich mit seinen Äußerungen in dem Attest nicht in eine Sache des Patienten „hineinziehen“ lassen oder sich mit dessen Anliegen gemein machen - der Arzt soll objektiv medizinische Tatsachen und Befunde attestieren, mehr nicht

Im Zweifel sollte ein Arzt die Erstellung eines Attestes ablehnen, um sich nicht der Gefahr einer Strafverfolgung wegen Ausstellens falscher Gesundheitszeugnisse (§ 278 StGB) auszusetzen - Zweifelsfälle sind:

  • Arzt hat Zweifel an Richtigkeit der Angaben des Patienten über Beschwerden oder Vorerkrankungen
  • Arzt hat Kenntnis von sachfremden Motiven (zB Urlaubswunsch des Patienten, Impfskepsis)
  • Ein Arzt darf z.B. eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung nur dann ausstellen, wenn er sich mit der notwendigen Sorgfalt und in nachvollziehbarer, vertretbarer Weise seine ärztliche Überzeugung von dem Vorliegen der Voraussetzung einer Arbeitsunfähigkeit verschafft hat

Rechtsanwalt und Fachanwalt für Medizinrecht Philip Christmann
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