Magensonde(29.2.2024) Der vom BGH vor langem entwickelte Grundsatz, dass ein Arzt sich gegen den Vorwurf mangelhafter Aufklärung darauf berufen kann, seine Patienten immer in (rechtmäßiger) Weise aufzuklären (sog. Immer-so-Verteidigung), ist nicht auch auf Behandlungsfehler übertragbar (Landgericht München, Beschluss vom 6.12.2023 - 1 O 1722/22 Hei). Denn die rechtliche Lage bei der Aufklärung unterscheide sich von der einer Behandlung.  

Der Fall:

Im Streit stand, ob der behandelnde Arzt bei der Vorbereitung einer Kolooskopie die Lage der Magensonde (durch die zur Vorbereitung notwendige Abführlösung direkt in den Magen eingeführt werden sollte) vor dem Einführen kontrollierte oder nicht. Sprich: war die Sonde im Magen oder etwa in der Lunge zum angekommen? Die Lagekontrolle war nicht dokumentiert worden in der Behandlungsdokumentation, obgleich dies laut Sachverständigen üblich ist. Die Magensode landete tatsächlich nicht im Magen, so dass Teile der Abführlösung in die Lunge der Patientin gelangte, was zu erheblichen gesundheitlichen Beschwerden der Patientin führte. Die Patientin warf dem Arzt deshalb u.a. einen Behandlungsfehler vor und verlangte Schmerzensgeld und Schadensersatz.

Gegen diesen Vorwurf verteidigte sich der Arzt auch mit dem Argument, er prüfe immer vor jeder solchen Behandlung die Lage der Magensonde.

Damit versuchte er, sich auf die für die Aufklärung entwickelten Grundsätze der sog. Immer-So-Aufklärung zu stützen, die der Bundesgerichtshof erstmals in seinem Urteil vom 8.1.1985 - VI ZR 15/83 begründete (NJW 1985, 1399, seitdem ständige Rechtsprechung des BGH).

Die Entscheidung:

Das Landgericht München wies diese Verteidigung zurück (Arzt und Patientin schlossen im Ergebnis einen Vergleich).

Denn die sog. „immer-so-Rechtsprechung“ sei nicht auf das Behandlungsgeschehen übertragbar, so das Landgericht München.

Grund dafür sei, dass diese Beweiserleichterung zu Gunsten des Arztes dazu diene, die spezifisch bei der Aufklärung bestehende Schärfe der zulasten des Arztes eingreifenden Beweislastumkehr abzumildern. Grund sei auch, dass die Angaben der Beteiligten (z.B. des behandelnden Arztes oder seines Personals oder des Patienten) zu einem "immer so" praktizierten Behandlungsablauf wegen der durch Emoptionalisierung hervorgerufene Erinnerungsunschärfen dieser Beteiligten nicht ausreichen, um das Gericht von einem bestimmten Ablauf der Behandlung zu überzeugen.

Praxisanmerkung:

Einem Arzt stehen im wesentlichen drei wichtige Verteidigungslinien im Arzthaftungsprozess zur Verfügung (und eine neue, vierte Linie hat das Landgericht München abgelehnt):

  1. Es liege kein Behandlungsfehler vor - die Behandlung sei entsprechend der ärztlichen Kunst durchgeführt worden
  2. Stellt ein Sachverständiger einen (einfachen) Behandlungsfehler fest: Der Behandlungsfehler habe jedenfalls nicht zu dem Schaden des Patienten geführt
  3. Der Patient sei ordnungsgemäß aufgeklärt worden - und der Arzt kläre immer ordnungsgemäß auf ("ständige Übung" bzw. "Immer-So"-Aufklärung) und der Patient hätte sich auch bei ordnungsgemäßer Aufklärung für die Behandlung entschieden 

Diese drei Verteidigungslinien sind äußerst effektiv. Sie verhindern in der Regel eine Verurteilung des Arztes wegen eines Behandlungs- oder Aufklärungsfehlers. Die Masse der Arzthaftungsklagen wird abgewiesen. Erfolgversprechend sind daher in der Regel nur solche Klagen, die sich auf einen groben Behandlungsfehler stützen und solche, bei denen bei dem Aufklärungsgespräch ein glaubwürdiger Zeuge anwesend war, der die mangelhafte Aufklärung bestätigen kann. 

Schon aus dem Gesichtspunkt der Überlegenheit der Arztseite (der Arzt hat einen mehrfachen Wissensvorsprung gegenüber dem Patienten und er kann durch seine Dokumentation bestimmen, wie sich das Behandlungsgeschehen im Nachhinein darstellt) ist es kritisch zu sehen, wenn dem Arzt nun auch im Bereich der Behandlungsfehler eine Verteidigung mittels der "Immer-so"-Aufklärung ermöglicht würde. Insofern ist der Auffassung des Landgerichts München zuzustimmen.

Rechtsanwalt und Fachanwalt für Medizinrecht Philip Christmann
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