Anspruch auf Übersendung einer kostenlosen Kopie der Behandlungsunterlagen des Patienten(26.10.2023) Ein Patient kann gestützt auf Art. 15 Abs. 1 DSGVO von seinem Arzt/Krankenhaus verlangen, dass dieser ihm kostenfrei eine erste Kopie seiner gesamten Behandlungsunterlagen übersendet. Art. 15 Abs. 1 DSGVO geht dem Recht auf (kostenpflichtige) Kopie der Behandlungsunterlagen in § 630 g Abs. 2 Satz 2 BGB vor. Die Verpflichtung des Arztes, dem Patienten unentgeltlich eine erste Kopie ihrer personenbezogenen Daten, die Gegenstand einer Verarbeitung sind, zur Verfügung zu stellen, gilt auch dann, wenn der betreffende Antrag mit einem anderen als den in Satz 1 des 63. Erwägungsgrundes der Verordnung genannten Zwecken begründet wird (hier: zur Verfolgung von Arzthaftungsansprüpchen) (Europäischer Gerichtshof, Urteil vom 26.10.2023 - C‑307/22).

Der Fall:

Ein deutscher Patient befand sich bei einem deutschen Zahnarzt in zahnärztlicher Behandlung. Da der Patient den Verdacht hatte, dass seine Behandlung fehlerhaft erfolgt sei, forderte er den Zahnarzt zur unentgeltlichen Herausgabe einer ersten Kopie seiner Patientenakte auf. Der Zahnarzt teilte dem Patienten mit, dass er diesem Antrag nur unter der Bedingung nachkommen werde, dass, wie es nach nationalem Recht vorgesehen sei, nämlich wenn der Patient die Kosten für die Zurverfügungstellung der Kopie der Patientenakte übernehme. Dazu war der Patient nicht bereit.

Der Patient erhob eine Klage gegen den Zahnarzt auf Herausgabe der Unterlagen. Im ersten Rechtszug und in der Berufungsinstanz wurde seinem Antrag auf unentgeltliche Herausgabe einer ersten Kopie seiner Patientenakte stattgegeben. Diese Entscheidungen beruhten auf einer Auslegung der anwendbaren nationalen Rechtsvorschriften im Licht von Art. 12 Abs. 5 sowie Art. 15 Abs. 1 und 3 DSGVO.

Der Zahnarzt legte Revision zum Bundesgerichtshof ein. Der BGH ist der Auffassung, dass die Entscheidung des Rechtsstreits davon abhänge, wie die Bestimmungen der DSGVO auszulegen seien, setzte das Verfahren aus und legte diese europarechtsrelevante Frage dem EuGH zur Entscheidung vor (BGH, 29.03.2022 - VI ZR 1352/20).

Die Entscheidung:

Der EuGH bejaht den Anspruch auf eine kostenlose Kopie und stellt weiter fest, dass der Patient keinen Grund angeben muss für die Übersendung der Kopie der Behandlungsunterlagen. Die unentgeltliche Zurverfügungstellung einer ersten Kopie der personenbezogenen Daten ist weder nach dem Wortlaut von Art. 12 Abs. 5 noch dem von Art. 15 Abs. 1 und 3 DSGVO davon abhängig, dass diese Personen ihren Antrag begründen. Diese Bestimmungen ermöglichen dem Verantwortlichen demnach nicht, für den Auskunftsantrag der betroffenen Person eine Begründung zu verlangen.

Schon zuvor hat der EuGH im Sinne desjenigen entscheiden, der eine kostenlose Kopie seiner Daten erbittet (Europäischer Gerichtshof, Urteil vom 4.5.2023 - C-487/21). In diesem Verfahren ging es um einen Österreicher, der eine Kopie aller Daten verlangte, die eine Kreditauskunft über ihn gesammelt hatte. 

Praxisanmerkung:

Diese Entscheidung des EuGH vom 26.10.2023 ist für den BGH bindend. Es ist daher davon auszugehen, dass der BGH die Revision des Zahnarztes zurückweist, so dass der Zahnarzt letztlich diese Kopie der Behandlungsakte seinem Patienten kostenlos zur Verfügung stellen muss.

Ärzten und Krankenhäusern ist zu raten, Auskunftsansprüche der Patienten spätestens binnen Monatsfrist zu erfüllen, indem sie dem Patienten eine Kopie der gesamten Behandlungsunterlagen zeitnah kostenlos zur Verfügung stellen. Dies kann kostensparend auf elektronischem Wege geschehen zum Beispiel durch Übersendung eines verschlüsselten pdf. Schon das Verlangen eines Vorschusses auf die Kopie- und Versandkosten kann als Verzögerung bzw. Verweigerung des Auskunftsanspruches und mithin als Datenschutzverstoß gewertet werden.

Stellt die Behandlungsseite diese Kopien nicht (kostenlos) zur Verfügung, hat der Patient das Recht, sich bei der Datenschutzbehörde zu beschweren (Art. 77 DSGVO). Das gleiche Beschwerderecht hat der Patient, wenn der Arzt die Kopien nicht zeitnah zur Verfügung stellt. Diese Beschwerde führt regelmäßig zu schmerzhaften Bußgeldern für die Behandlungsseite. Denn die Nichterfüllung des Auskunftsrechtes nach Art. 15 DSGVO ist ein schwerwiegender Verstoß gegen das Datenschutzrecht. Beispielsweise wurde der Verstoß eines Technologie-Unternehmens gegen die Auskunfts- und Informationspflicht von der Datenschutzaufsicht Rheinland-Pfalz mit einem Bußgeld von 60.000 Euro geahndet

Hinzu kommt, dass der Patienten das Recht hat, zivilrechtliche Ansprüche gegen die Behandlungsseite geltend zu machen. Anders als nach dem BDSG (a.F.) ist nunmehr nicht nur die Geltendmachung materieller, sondern auch immaterieller Schadensersatzansprüche möglich. So hat das ArbG Oldenburg einem Betroffenen einen Schadensersatzanspruch i.H.v. 500 Euro pro Monat für eine verspätete Auskunft, insgesamt 10.000 Euro, zugesprochen. Das ArbG Dresden hielt einen Schadensersatzanspruch in Höhe von insgesamt 2.500 Euro für gerechtfertigt, 1.000 Euro für die verspätete und 1.500 Euro für die unvollständige Auskunft (juris).

Rechtsanwalt und Fachanwalt für Medizinrecht Philip Christmann
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