(15.3.2024) War ein Chefarzt nach eigenen Angaben in der Abteilung seines (weiterbildungsberechtigten) Oberarztes tätig, so begründet dies keinen Anspruch auf Anerkennung der Gleichwertigkeit seiner ärztlichen Tätigkeit und Zulassung zur Prüfung für die Anerkennung der Facharztbezeichnung Physikalische und Rehabilitative Medizin. Denn dies erfordert eine strukturierte und gezielte Weiterbildung "unter Anleitung" eines weiterbildungsbefugten Arztes und mithin unter dessen hierarchischer Leitungsbefugnis. Da ein Oberarzt gegenüber seinem Chefarzt nicht leitungsbefugt ist, kann er diesen auch nicht weiterbilden (Verwaltungsgericht Münster, Urteil vom 15.2.2024 - 5 K 185/21).
(14.3.2024) Ärztliche Stellungnahmen und Wertungen (vulgo Atteste) sind oft Grundlage wichtiger juristischer Entscheidungen. Die Atteste müssen aber für den jeweiligen Verwendungszweck hinreichend aussagekräftig sein. Sind sie dies nicht, geht dies zum Nachteil des Patienten. Und der Arzt kann schlimmstenfalls gezwungen werden, als sachverständiger Zeuge vor Gericht zu erscheinen um dort Stellung zu nehmen. Der Mindestinhalt eines Attestes soll daher am Beispiel einer aktuellen Entscheidung erläutert werden (Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 11.3.2024 – 19 E 99/24).
(13.3.2024) Das ärztliche Zeugnis im Sinne des § 20 Abs. 9 Satz 1 Nr. 2 lfSG über die Kontraindikation gegen eine Impfung gegen Masern muss Angaben über den Grund der Kontraindikation enthalten, die dem Gesundheitsamt zumindest eine Plausibilitätskontrolle ermöglichen (Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 1.3.2024 - 1 S 94/23). Die Entscheidung gibt Gelegenheit, die Gundsätze für die rechtmäßige Erstellung von ärztlichen Attesten noch einmal darzustellen.
(6.3.2024) Leistungen nach der Corona-Testverordnung, die im Zusammenhang mit der Auswertung von PCR-Testungen vorgenommen werden, sind nur abrechenbar, sofern sie unter ärztlicher Aufsicht durchgeführt werden. War aber während der in einer Stichprobe überprüften Tagen kein Arzt in der Teststelle anwesend, so besteht kein Vergütungsanspruch (Verwaltungsgericht Karlsruhe, Beschluss vom 7.2.2024 – 2 K 2565/23).
(6.3.2024) Ein ausländischer Arzt, der eine deutsche Approbation beantragt, hat Anspruch auf eine Gleichwertigkeitsprüfung. Die Gleichwertigkeitsprüfung geht der Kenntnisprüfung vor. Auch wenn der ausländische Arzt bereits mehrfach durch die Kenntnisprüfung gefallen ist, kann er eine Gleichwertigkeitsprüfung verlangen. Der Arzt kann auch nicht wirksam auf das Recht zur Gleichwertigkeitsprüfung verzichten (Sächsisches Oberverwaltungsgericht Bautzen, Urteil vom 29.8.2023 - 2 A 370/22). Die Entscheidung stärkt die Rechte ausländischer Ärzte und macht den Gesundheitsämtern, die ausländischen Ärzte vermehrt die Gleichwertigkeitsprüfung zu verwehren suchen, einen Strich durch die Rechnung.
(5.3.2024) Im Rahmen der Wirtschaftlichkeitsprüfung darf der Arzt seine (unvollständige oder ungenaue) Abrechnungsdiagnose ergänzen und korrigieren durch Vorlegen der Behandlungsdokumentation. Hat er zuerst eine (falsche) Abrechnungsdiagnose gestellt (hier: u.a. Enzephalitis), so verbietet ihm dies nicht, in der Wirtschaftlichkeitsprüfung "nachzulegen" und mittels Vorlage seiner Behandlungsdokumentation nachzuweisen, dass er ein Medikament (hier Tecfidera) ordnungsgemäß und mit gutem Grund verordnet hat (hier: zur Behandlung von Multipler Sklerose) (Sozialgericht Marburg, Urteil vom 14.2.2024 – S 18 KA 96/23).
(29.2.2024) Der vom BGH vor langem entwickelte Grundsatz, dass ein Arzt sich gegen den Vorwurf mangelhafter Aufklärung darauf berufen kann, seine Patienten immer in (rechtmäßiger) Weise aufzuklären (sog. Immer-so-Verteidigung), ist nicht auch auf Behandlungsfehler übertragbar (Landgericht München, Beschluss vom 6.12.2023 - 1 O 1722/22 Hei). Denn die rechtliche Lage bei der Aufklärung unterscheide sich von der einer Behandlung.
(22.2.2024) Ärzte müssen ihre Leistungen bei der Behandlung von Privatpatienten und Selbstzahlern zwingend nach der Gebührenordnung für Ärzte (GOÄ) abrechnen. Dagegen müssen Ärzte-GmbH oder MVZ in der Rechtsform einer GmbH ihre am Patienten erbrachten Behandlungsleistungen nicht nach der GOÄ abrechnen. Vielmehr können Ärzte-GmbH oder MVZ in der Rechtsform einer GmbH das Entgelt für die Behandlung mit dem Patienten frei aushandeln. Diese GmbH dürfen die Behandlungsverträge auch selbst mit den Patienten schließen und diese Verträge sind auch nicht formbedürftig (Oberlandesgericht Frankfurt, Urteil vom 21.09.2023 - 6 W 69/23). Diese Entscheidung des OLG Frankfurt ist kritisch zu hinterfragen.
(19.2.2024) Die Abrechenbarkeit der GOP 35100 und 35110 EBM erfordert keine codierte F-Diagnose. Der Arzt kann diese Leistungen auch dann nachweisen, wenn sie nicht mittels F-Diagnose codiert sind, wenn er der Prüfungsstelle die entsprechende Behandlungsdokumentation vorlegt, aus der sich eine funktionelle Störung und zugleich eine seelische Belastung des Patienten ergeben. GOP 35110 dürfe nicht fallbezogen geprüft werden von der Prüfstelle, weil diese Leistung auch mehrfach im Quartal erbracht werden könne (Sozialgericht Marburg, Urteile vom 31.1.2024 - S 17 KA 319/21 und S 17 KA 320/21).
(15.2.2024) Eine Online-Versandapotheke darf zwar Stammdaten, wie den Namen, die Anschrift und die Zahlungsinformationen verarbeiten. Daneben kann einzelfallbezogen auch das Geburtsdatum bzw. das Geburtsjahr verarbeitet werden, wenn dies im jeweiligen Fall erforderlich ist. Es ist einer Online-Versandapotheke aber aus Gründen des Datenschutzes untersagt, das Geburtsdatum und die Anrede bei allen Bestellvorgängen zu erfassen und zu verarbeiten, es sei denn, der Kunde hat dafür ausdrücklich seine Einwilligung erteilt (OVG Lüneburg, Beschluss vom 23. Januar 2024 – 14 LA 1/24).
(12.2.2024) Weiter streiten sich Sozialgerichte und Verwaltungsgerichte über die Frage, welches Gericht denn nun zuständig ist für die Klagen der Betreiber von Corona-Testzentren auf Zahlung der austehenden Vergütungen von Corona-Tests nach der Testverordnung (TestV). Zwar hatte das Bundessozialgericht als höchstes Sozialgericht entschieden, dass die Verwaltungsgerichte zuständig seien (B 6 SF 1/23 R). Viele glaubten, damit sei der Streit der Gerichte beigelegt. Nun hat aber unter anderem das Verwaltungsgericht Hamburg genau andersherum entschieden (VG Hamburg, Beschluss vom 15. Januar 2024 – 5 K 4395/23). Welche Auswirkungen hat dieser Streit für Betreiber von Testzentren, die ihre Testvergütung einklagen wollen?
(12.2.2024) Auch wenn keine rechtliche Pflicht zu einer bestimmten Diagnostik (hier: Fertigen eines CTG) bestand, muss der Arzt doch die Ergebnisse dieser durchgeführten Diagnostik (hier: CTG war auffällig) beachten und ihnen weiter nachgehen. Erkennt der Arzt einen Befund (hier Bandbreite von 25 Schlägen pro Minute), ordnet diesen aber (fälschlicherweise) als nicht auffällig ein, so liegt (nur) ein Diagnoseirrtum des Arztes vor, nicht aber ein (schwerwiegenderer) Diagnoseirrtum. Unterläßt der Arzt in Folge eines (einfachen) Diagnoseirrtums aber weitere Diagnostik, so darf dies wegen der Sperrwirkung des Diagnoseirrtums nicht als (zusätzlicher) Befunderhebungsfehler gewertet werden. Ist der Diagnoseirrtum dagegen allerdings als grob einzuschätzen, so greift diese Sperrwirkung nicht ein, so dass in der Folge doch ein grober Fehler vorliegt. Im Ergebnis haftete die Gynäkologin für den Hirnschaden des Kindes vollumfänglich (OLG München, Urteil vom 25. Januar 2024 – 24 U 2058/22).
- Abwehr eines Regresses (hier wegen zu vielen Gesprächsleistungen nach GOP 35100 und 35110) erfordert frühzeitigen und detailreichen Vortrag des Arztes zu Praxisbesonderheiten: Landessozialgericht Schleswig-Holstein 21-11-2023
- Hypoxischer Hirnschaden - Anästhesist haftet für Fehlfunktion des maschinellen Beatmungsgerätes: Oberlandesgericht München 25-01-2024
- Die mangelhafte Dokumentation des Betäubungsmittelverkehrs in einer Apotheke rechtfertigt nicht deren vorläufige Schließung: Verwaltungsgericht München 02-01-2024
- Zur (Schein)Selbständigkeit einer Augenärztin in einer Privatpraxis: Bundessozialgericht 12-12-2023