Arzt im direkten Kontakt mit seinem Patienten(26.10.2021) Die Werbung für eine auf künstlicher Intelligenz beruhende medizinische Untersuchung durch einen sog. "Roboarzt" ist wegen Verstoßes gegen das Fernbehandlungsverbot unzulässig und zu unterlassen (Landgericht Hamburg, Urteil vom 18. Mai 2021 – 406 HK O 179/20). 

Praxisanmerkung:

Das Verbot der Werbung für Fernbehandlungen basiert auf dem Grundgedanken, dass partielle Informationen, seien diese auch wissenschaftlich objektivierbar, nie das gesamtheitliche Bild ersetzen können, das sich der Heilkundige bei persönlicher Wahrnehmung und Untersuchung des Patienten machen kann; die Werbung für derartig verkürzte Behandlungsmethoden soll durch dieses abstrakte Gefährdungsdelikt unterbunden werden, unabhängig davon, ob die Fernbehandlung im Einzelfall erlaubt ist (KG, Urt. v. 03.12.2019 - 5 U 45/19 - GRUR-RR 2020, 410; OLG München, Urt. v. 09.07.2020 - 6 U 5180/19 - GRUR-RR 2020, 461, 463). In den vergangenen Jahren treten immer wieder Personen auf den Gesundheitsmarkt, die digitale medizinische Dienste anbieten oder vermitteln, Dienste also, bei denen entweder initial kein persönlicher Arzt-Patienten-Kontakt erfolgt oder die gesamte „Behandlung“ ohne einen solchen Kontakt auskommen soll. Diese Entwicklungen sind - jedenfalls aus Sicht des Patienten, der eine bestmögliche und umfassende Diagnostik benötigt, welche einen persönlichen Kontakt zu dem Arzt zwingend erfordert - klar abzulehnen. § 9 HWG ist weiterhin so auszulegen, dass jedenfalls Fragen des Patienten letztlich immer durch einen Arzt im Sinne eines menschlichen Wesens beantwortet werden müssen (Hippeli, jurisPR-HaGesR 10/2021 Anm. 4).

Die Entscheidung des LG Hamburg im Volltext:

Tenor

1. Die Beklagte wird verurteilt, es bei Meidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung zu verhängenden Ordnungsgeldes bis EUR 250.000,00, ersatzweise Ordnungshaft oder einer Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, zu vollziehen an dem Geschäftsführer, zu unterlassen, im geschäftlichen Verkehr für einen Roboarzt wie aus der Anlage zu diesem Urteil ersichtlich zu werben.

2. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger EUR 232,00 nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 22.12.2020 zu zahlen.

3. Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits nach einem Streitwert von EUR 40.000,00 zu tragen.

4. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar, zu Ziff. 1. gegen Sicherheitsleistung in Höhe von EUR 40.000,00 sowie zu Ziff. 2. und 3. gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages.

Tatbestand

Der Kläger ist ein eingetragener Verein zur Förderung gewerblicher Belange im Sinne des § 8 Abs. 3 Nr. 2 UWG, dem u. a. eine Reihe von Ärzten, von Heilpraktikern und Kliniken angehören sowie die Ärztekammer Hamburg und die Ärztekammer Schleswig-​Holstein.

Die Beklagte bietet gesundheitsbezogene Dienstleistungen an und veröffentlichte in diesem Zusammenhang u. a. die Anlagen K 4 und K 5.

(Inhalt der streitgegenständlichen Werbung:

  • "Service 24/7
  • Anamnese online
  • Befunddaten online (Eingabe selbstgemessener Werte wie zB Blutdruck)
  • Diagnose online, wahrscheinlichste Diagnose
  • Beratung online: weitergehende empfohlene Diagnostik durch RoBo KI Algorithmus
  • Therapie online: empfohlene Behandlungsmaßnahmen durch Robo KI")

Der Kläger wehrt sich vorliegend gegen die seiner Meinung nach unlautere Werbung für einen sog. Roboarzt in den aus Anlagen K 4 und K 5 ersichtlichen Veröffentlichungen und macht geltend, diese Werbung sei aus den in der Klageschrift näher genannten Gründen irreführend und verstoße gegen das Verbot der Werbung für Fernbehandlungen nach § 9 HWG.

Der Beklagte beantragt

wie erkannt.

Die Beklagte beantragt

Klagabweisung.

Die Beklagte macht geltend, die Klage sei aus den im Schriftsatz vom 15.02.2021 genannten Gründen weder zulässig noch begründet. Insbesondere fehle dem Kläger die Klagebefugnis und es liege auch weder eine Irreführung noch ein Verstoß gegen § 9 HWG vor. Außerdem sei die Beklagte nicht passivlegitimiert, weil die streitigen Angaben lediglich Werbung für eine Gesundheits-​App einer Firma A. H. GmbH betreffe, wobei der von Beklagtenseite eingerichtete Link inzwischen abgestellt worden sei.

Zur Ergänzung des Vorbringens der Parteien wird auf ihre Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.

Entscheidungsgründe

Die Klage ist zulässig und begründet.

Die Klage ist zulässig, insbesondere ist der Kläger nach § 8 Abs. 3 Nr. 2 UWG berechtigt, den hier streitgegenständlichen Unterlassungsanspruch geltend zu machen. Insbesondere gehören dem Kläger eine erhebliche Zahl von Unternehmern an, die Dienstleistungen gleicher oder verwandter Art auf demselben Markt vertreiben. Hierzu zählen neben den Ärzten, Heilpraktikern und Kliniken, die Mitglied des Klägers sind, auch die Ärzte, die Mitglied der Ärztekammern Hamburg und Schleswig-​Holstein sind und die mittelbar ebenfalls vom Kläger repräsentiert werden, da die Ärztekammern in Hamburg und Schleswig-​Holstein Mitglied beim Kläger sind. Die weitergehenden Voraussetzungen der Klagebefugnis des Klägers sind von Beklagtenseite nicht in Abrede genommen worden.

Die streitgegenständliche Werbung verstößt gegen § 9 HWG, einer Marktverhaltensregelung im Sinne von § 3a UWG, sodass die mit der Klage geltend gemachten Ansprüche auf Unterlassung und Kostenerstattung nach §§ 8 Abs. 1, 12 Abs. 1 Satz 2 (13 Abs. 3 n. F.) UWG begründet sind.

Nach § 9 Satz 1 HWG ist eine Werbung für die Erkennung oder Behandlung von Krankheiten, Leiden, Körperschäden oder krankhaften Beschwerden, die nicht auf eigener Wahrnehmung an dem zu behandelnden Menschen beruht (Fernbehandlung), unzulässig. Die hier streitigen Veröffentlichungen enthalten eine derartige Werbung für Fernbehandlungen durch einen sog. Roboarzt. Die Werbung verspricht eine Erstlinien-​Behandlung durch ärztliche und medizinische Versorgung in der ersten Stufe kostenlos, eine Online-​Diagnose, Online-​Beratung und Online-​Therapie, also umfängliche Maßnahmen zur Erkennung und Behandlung von Krankheiten, die nicht auf eigener Wahrnehmung an dem zu behandelnden Menschen durch den Roboarzt beruhen. In diesem Zusammenhang ist es ohne Bedeutung, inwieweit diese Werbung in Kooperation mit der Firma A. H. GmbH erfolgt. Aus dem in der Werbung enthaltenen Hinweis auf diese Kooperation ergibt sich zunächst, dass es sich jedenfalls auch um ein Angebot der Beklagten handelt. Im Übrigen wäre die Beklagte unter dem Gesichtspunkt der Förderung fremden Wettbewerbs selbst dann für die streitige Werbung wettbewerbsrechtlich verantwortlich, wenn es sich hierbei ausschließlich um ein Angebot der Firma A. H. handeln würde.

Ebenfalls ohne Bedeutung ist es, ob der Verbraucher hinreichend sicher erkennt, dass es sich hier nicht um eine ärztliche Behandlung handelt. § 9 HWG gilt für jegliche Werbung für Fernbehandlung, nicht lediglich für eine Werbung für Fernbehandlungen durch Ärzte.

Auch die in § 9 Satz 2 HWG enthaltene Ausnahme von dem Verbot der Werbung für Fernbehandlungen ist hier nicht einschlägig. Dieses Verbot gilt nach § 9 Satz 2 HWG nicht für die Werbung für Fernbehandlungen, die unter Verwendung von Kommunikationsmedien erfolgen, wenn nach allgemein anerkannten fachlichen Standards ein persönlicher ärztlicher Kontakt mit dem zu behandelnden Menschen nicht erforderlich ist. Dies könnte vorliegend allenfalls nach § 7 Abs. 4 Satz 3 der Musterberufsordnung der Ärzte der Fall sein. Nach dieser Regelung ist eine ausschließliche Beratung oder Behandlung durch Ärzte über Kommunikationsmedien im Einzelfall erlaubt, wenn dies ärztlich vertretbar ist und die erforderliche ärztliche Sorgfalt insbesondere durch die Art und Weise der Befunderhebung, Beratung, Behandlung sowie Dokumentation gewahrt wird und die Patientin oder der Patient auch über die Besonderheiten der ausschließlichen Beratung und Behandlung über die Kommunikationsmedien aufgeklärt wird. Den danach zulässigen Bereich der Fernbehandlung überschreitet die hier beworbene Fernbehandlung bereits deshalb, weil sie sich nicht auf Einzelfälle beschränkt, sondern generell, unabhängig vom jeweiligen Einzelfall angeboten wird. Auch handelt es sich bei den hier beworbenen Fernbehandlungen auch nicht um solche durch Ärzte, sondern durch ein Computerprogramm bzw. künstliche Intelligenz. Dass es sich hierbei um eine zugelassene digitale Gesundheitsanwendung handelt, wird nicht geltend gemacht.

Der Zinsanspruch folgt aus §§ 286, 288 BGB.

Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 91, 709 ZPO.

Rechtsanwalt und Fachanwalt für Medizinrecht Philip Christmann
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