Ausscheiden aus radiologischer Gemeinschaftspraxis(4.12.2023) Eine Klausel in einem Gesellschaftsvertrag einer Gemeinschaftspraxis, wonach ein Vertragsarztsitz beim Ausscheiden eines Arztes (Gesellschafter) in der Gesellschaft verbleibt und er an der Nachbesetzung der Zulassung mitwirken muss (sog. Sitzbindungsklausel), ist wirksam, wenn kein Wettbewerbsverbot besteht und der ausscheidende Arzt Anspruch auf eine Abfindung hat. Dies gilt auch dann, wenn der ausscheidende Arzt 20 Jahre in der Gemeinschaftspraxis tätig war (Landgericht Kaiserslautern, Beschluss vom 25.11.2023 - 2 O 712/22).

Der Fall: 

Eine Ärztin trat im Jahr 2003 einer radiologischen Gemeinschaftspraxis bei und übernahm einen der vier dort bestehenden Vertragsarztsitze. In dem Gesellschaftsvertrag der Gemeinschaftspraxis war geregelt, dass nach dem Ausscheiden eines Gesellschafters die Gesellschaft unter den übrigen Gesellschaftern fortgesetzt wird. Weiter war geregelt, dass alle Ärzte darauf hinzuwirken haben, dass die Vertragsarztsitze der Gesellschaft erhalten bleiben und dass alle Ärzte bereits jetzt der Gesellschaft die Vollmacht erteilen, die dafür erforderlichen Anträge beim Zulassungsausschuss zu stellen. Der ausscheidende Arzt sollte eine Abfindung erhalten laut Vertrag mit Abschlägen von EUR 10.000 monatlich. Der Vertrag sieht kein Wettbewerbsverbot für einen ausscheidenden Arzt vor.

Die Ärztin verließ die Gemeinschaftspraxis Ende 2022. Der Aufforderung der Gemeinschaftspraxis, einen Nachbesetzungsantrag zu stellen, kam die Ärztin nicht nach. Vielmehr beantragte sie die Verlegung ihres Vertragsarztsitzes in ein Medizinisches Versorgungszentrum, in dem sie sich anstellen lassen wollte. 

Mit ihrem Eilantrag will die Gemeinschaftspraxis der Ärztin untersagen lassen, die Zulassung in das MVZ mitzunehmen. 

Die Entscheidung:

Das Landgericht gab dem Eilantrag der Gemeinschaftspraxis statt und untersagte der Ärztin einstweilig, die Zulassung mitzunehmen. 

Das Gericht wog das Interesse der Gemeinschaftspraxis auf Erhalt des Vertragsarztsitzes gegen das Interesse der Ärztin auf Mitnahme gegeneinander ab. Im Ergebnis sahe es das Interesse der Gemeinschaftspraxis als vorrangig an:

  • die Gemeinschaftspraxis braucht eine finanzielle Planungssicherheit, die sich im vorliegenden Fall insbesondere daraus ergibt, dass es sich um eine Radiologie handelt, in welcher teures medizinisches Gerät zum Einsatz kommt
  • auch eine längere Tätigkeit des ausscheidenden Arztes in der Gemeinschaftspraxis (hier 20 Jahre) gibt dem ausscheidenden Arzt keinen Vorrang
  • durch die Abfindung ist die ausscheidende Ärztin finanziell abgesichert
  • die ausscheidende Ärztin unterliegt keinem Wettbewerbsverbot, kann mithin also selbst für ihr Einkommen sorgen
  • der Vertragsarztsitz, auf den die ausscheidende Ärztin arbeitete, befand sich bei ihrem Eintritt in die Gemeinschaftspraxis bereit in dieser

Praxisanmerkung:

Sitzbindungsklauseln werden häufig in Gesellschaftsverträgen von Gemeinschaftspraxen verwendet. Ob sie wirksam sind, hängt von den Umständen des Einzelfalles ab. Maßgeblich ist, welche Folgen ein Belassen der Zulassung in der Gemeinschaftspraxis für die Parteien hätte und welche Folgen es hätte, wenn der ausscheidende Arzt die Zuzlassung mitnähme. Dabei spielen wie gesehen die wirtschaftlichen Interesse (ursprünglicher Standort der Zulassung in der Gemeinschaftspraxis oder vom ausscheidenen Arzt "miteingebracht"? Bestanden Wettbewerbsverbote? Erhält der ausscheidende Arzt eine Abfindung?) eine große Rolle. Maßgeblich kann aber auch sein, ob der ausscheidende Arzt die Gesellschaft maßgeblich durch seinen Einsatz mitgeprägt hat (z.B. indem er Patienten in großer Zahl akquirierte oder die Praxis umstrukturierte). 

Die Entscheidung liegt auf der Linie der höchst- und obergerichtlichen Rechtsprechung und ist auch insofern vertretbar. 

Die Gestaltung der Sitzbindungsklausel sollte die Interessen beider Parteien berücksichtigen. So sollten Wettbewerbsverbote oder Abfindungsausschlüsse nicht neben einer Sitzbindungsklausel stehen. Allgemein sind solche Klauseln unwirksam, die den ausscheidenden Arzt einseitig benachteiligen.  

Die Entscheidung des LG Kaiserlautern im Originaltext:

Zum Sachverhalt

I. Die Antragsteller und die Antragsgegnerin sind aufgrund eines Gesellschaftsvertrages vom 8.12.2009 (vgl. Anlage A2, Bl. 30 ff. d.A.) je zu gleichen Teilen Gesellschafter der GbR. Sie sind jeweils mit vollem Versorgungsauftrag in der vertragsärztlichen Versorgung für die Arztgruppe der Radiologen zugelassen. Für die Berufsgruppe der Radiologen besteht bundesweit und flächendeckend eine Zulassungsbeschränkung nach § 103 Abs. 1 SGB V, nach der eine Zulassung grundsätzlich nur im Wege des Nachbesetzungsverfahrens gemäß § 103 Abs. 3a, 4 SGB V zu erhalten ist.

Der Gesellschaftsvertrag lautet auszugsweise wie folgt:

„§ 13

Vertragsdauer, Kündigung

(1) Der Gesellschaftsvertrag wird auf unbestimmte Zeit abgeschlossen. Vorbehaltlich des Rechtes zur Kündigung aus wichtigem Grund kann der Vertrag von jedem Gesellschafter unter Einhaltung einer Frist von 9 Monaten zum Ende eines Kalenderjahres (=Wirtschaftsjahres) gekündigt werden. Im Falle einer Kündigung scheidet der kündigende Gesellschafter aus der Gesellschaft aus. Die Gesellschaft wird unter den verbleibenden Gesellschaftern fortgesetzt.

[…]

§ 15 a

Verwertung der Kassenzulassung

Im Falle der Beendigung der Gesellschafterstellung aus vorgenannten Bestimmungen heraus, sind sich die vertragsschließenden Parteien darüber einig, dass alle Handlungen und Erklärungen unverzüglich vorzunehmen sind, die eine Erhaltung bzw. die Wiederbesetzung des Vertragsarztsitzes im Interesse der verbleibenden Gesellschafter ermöglichen. Der ausscheidende Gesellschafter oder auch dessen Erben haben sich deshalb an den Verfahren nach §§ 101 SGB V oder einer Nachfolgeregelung zu beteiligen. Schon jetzt wird den verbleibenden Gesellschaftern hiermit unwiderruflich Vollmacht erteilt, vor dem Zulassungsausschuss zu vertreten und erforderliche Anträge zu stellen. In jedem Fall vereinbaren die Parteien hiermit, dass der Kassenarztsitz in der Gesellschaft verbleibt.“

Die Antragsgegnerin trat am 1.4.2003 in die Praxis ein und übernahm dabei einen der bereits vor dem Eintritt bestehenden 4 Vertragsarztsitze.

Mit anwaltlichem Schreiben vom 21.3.2022 erklärte die Antragsgegnerin gegenüber den Antragsgegnern die ordentliche Kündigung der Gesellschaft mit Wirkung zum 31.12.2022.

Mit anwaltlichem Schreiben vom 5.8.22 forderten die Antragsteller die Antragsgegnerin auf, einen Antrag auf Durchführung eines Nachbesetzungsverfahrens und Ausschreibung zu unterzeichnen.

Mit anwaltlichem Schreiben vom 17.10.2022 erklärten die Antragsteller gegenüber dem Zulassungsausschuss in Rheinland-​Pfalz im Namen der Antragsgegnerin ihren Verzicht auf die Zulassung zur vertragsärztlichen Versorgung und einen Antrag auf Durchführung des Nachbesetzungsverfahrens und Ausschreibung des Vertragsarztsitzes.

Am 14.11.2022 teilte der Zulassungsausschuss in Rheinland-​Pfalz den Bevollmächtigten der Antragsteller telefonisch mit, dass die Antragsgegnerin einen Antrag auf Verlegung ihres Vertragsarztsitzes gemäß § 24 Abs. 7 S. 1 Arzte-​VZ gestellt habe.

Die Antragsteller beantragen:

1. Der Antragsgegnerin wird es bei Meidung eines Ordnungsgeldes bis zu 250.000,00 Euro und einer Ordnungshaft im Falle der Uneinbringlichkeit des Ordnungsgeldes oder Ordnungshaft bis zu sechs Monaten untersagt, einen Antrag auf Verlegung ihres Vertragsarztsitzes gemäß § 24 Abs. 7 S. 1 Ärzte-​ZV gegenüber den Zulassungsgremien bei der Kassenärztlichen Vereinigung Rheinland-​Pfalz, Isaac-​Fulda-​Allee 14, 55124 Mainz, zu stellen.

2. Der Antragsgegnerin wird es bei Meidung eines Ordnungsgeldes bis zu 250.000,00 Euro und einer Ordnungshaft im Falle der Uneinbringlichkeit des Ordnungsgeldes oder Ordnungshaft bis zu sechs Monaten untersagt, auf Ihre Zulassung zu verzichten, um bei einem medizinischen Versorgungszentrum gem. § 103 Abs. 4a S. 1 SGB V oder bei einem Vertragsarzt gem. § 103 Abs. 4b S. 1 SGB V als angestellte Ärztin tätig zu werden.

3. Der Antragsgegnerin wird es aufgegeben, einen bereits gestellten Antrag auf Verlegung ihres Vertragsarztsitzes gemäß § 24 Abs. 7 S. 1 Ärzte-​ZV gegenüber dem Zulassungsausschuss, c/o KV RLP, Hauptverwaltung Mainz, Isaac-​Fulda-​Allee 14, 55124 Mainz, zurückzunehmen.

4. Der Antragsgegnerin wird es aufgegeben, von einer bereits erteilten Genehmigung auf Verlegung des Vertragsarztsitzes der Antragsgegnerin gem. § 24 Abs. 7 S. 1 Ärzte-​ZV einstweilen keinen Gebrauch zu machen.

5. Der Antragsgegnerin wird es aufgegeben, einen bereits erklärten Zulassungsverzicht nicht wirksam werden zu lassen und gegenüber den Zulassungsgremien bei der Kassenärztlichen Vereinigung Rheinland-​Pfalz, Isaac-​Fulda-​Allee 14, 55124 Mainz, entsprechende Erklärungen abzugeben.

Die Antragsgegnerin beantragt,

den Antrag auf Erlass einer Einstweiligen Verfügung durch Beschluss abzuweisen.

Aus den Gründen

II. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung ist zulässig und begründet, da die Antragsteller sowohl einen Verfügungsanspruch (1.) als auch einen Verfügungsgrund (2.) glaubhaft gemacht haben.

1. Die Antragsteller haben einen Verfügungsanspruch glaubhaft gemacht.

a) Sie haben gegen die Antragsgegnerin einen Anspruch, dass die Antragsgegnerin alle Handlungen und Erklärungen vornimmt, welche die Erhaltung ihres Vertragsarztsitzes in der Gesellschaft ermöglichen.

Der Anspruch findet seine Grundlage in § 15a des zwischen den Parteien geschlossenen Gesellschaftsvertrages. Die darin zum Ausdruck kommende Verpflichtung der Antragsgegnerin, im Falle des Ausscheidens aus der Gesellschaft auf den Vertragsarztsitz zu verzichten, ist nicht gemäß 138 BGB nichtig.

aa) Bei der Frage, ob die streitgegenständliche Klausel wirksam oder gemäß § 138 BGB nichtig ist, ist zu berücksichtigen, dass den Antragstellern ein nach Art. 12 GG geschütztes Interesse an dem Erhalt der Gemeinschaftspraxis zusteht. Diesem grundrechtlich geschützten Interesse der Antragsteller steht auf Seiten der Antragsgegnerin ebenfalls das Grundrecht aus Art. 12 GG gegenüber.

Dieser Konflikt ist nach dem Grundsatz der praktischen Konkordanz zu lösen, der fordert, dass nicht eine der widerstreitenden Rechtspositionen bevorzugt und maximal behauptet wird, sondern alle einen möglichst schonenden Ausgleich erfahren. Dabei ist zu ermitteln, welche verfassungsrechtliche Position für die konkret zu entscheidende Frage das höhere Gewicht hat. Die schwächere Position darf nur so weit zurückgedrängt werden, wie das logisch und systematisch zwingend erscheint. Ihr sachlicher Grundwertgehalt muss in jedem Fall respektiert werden. Vor diesem Hintergrund hat eine nach beiden Seiten interessengerechte Auslegung zu erfolgen (BGH, Urteile vom 22.7.2022 - II ZR 265/00 und II ZR 90/01 - zitiert nach juris).

bb) Bei der danach vorzunehmenden Abwägung zwischen den gegenläufigen Interessen der Antragsteller und der Antragsgegnerin sind die der Antragsteller als vorrangig anzusehen.

(1) Es ist zunächst nicht zu beanstanden, dass nach den vertraglichen Regelungen die Antragsgegnerin bei einem Austritt aus der Gemeinschaftspraxis ihre kassenärztliche Zulassung verlieren und diese in der Gemeinschaftspraxis verbleiben soll. Dass dies nicht „per se“ sittenwidrig ist, ergibt sich aus der bereits zitierten Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs. Hieran hat die Gemeinschaftspraxis auch ein berechtigtes Interesse. Denn die Gemeinschaftspraxis braucht eine finanzielle Planungssicherheit, die sich im vorliegenden Fall insbesondere daraus ergibt, dass es sich um eine Radiologie handelt, in welcher teures medizinisches Gerät zum Einsatz kommt.

2) Der Umstand, dass die Antragsgegnerin in der Gemeinschaftspraxis insgesamt fast 20 Jahre tätig gewesen ist, führt nicht ohne Weiteres dazu, dass ihre Rechtsposition gegenüber derjenigen der Gemeinschaftspraxis als vorrangig zu behandeln ist. Entgegen der Ansicht der Antragsgegnerin ergibt sich aus den vorgenannten Entscheidungen nicht, dass eine entsprechende Klausel dann unwirksam ist, wenn der ausscheidende Gesellschafter längere Zeit in der Gemeinschaftspraxis tätig gewesen ist. Zwar ist im Falle einer nur kurzen Anstellung davon auszugehen, dass der ausscheidende Gesellschafter in Bezug auf die kassenärztliche Zulassung gegenüber der Gemeinschaftspraxis keine gesicherte Rechtsposition gewonnen hat, sodass von vornherein die Abwägung zugunsten der Gemeinschaftspraxis auszufallen hat.

Dies führt im Umkehrschluss jedoch nicht dazu, dass bei einer längeren Anstellung die durch den ausscheidenden Gesellschafter gewonnen Rechtsposition gegenüber der Rechtsposition der Gemeinschaftspraxis vorrangig wäre. Vielmehr sind in diesem Fall die Einzelumstände gegeneinander abzuwägen, insbesondere auch dazu, ob der Gesellschaftsvertrag dem ausscheidenden Gesellschafter einen Ausgleich für seinen Verlust der kassenärztlichen Zulassung gewährt.

(3) Daran gemessen wurden Belange der Antragsgegnerin im vorliegenden Gesellschaftsvertrag ausreichend berücksichtigt. Gemäß § 14 des Vertrages in Verbindung mit der Anlage 1 des Vertrages hat der ausscheidende Gesellschafter einen Anspruch auf Abfindung, den er gemäß § 18 des Vertrages im Rahmen ein Schiedsgerichtsverfahrens durchsetzen kann.

Unabhängig von einer Einigung über die Abfindung sieht die Anlage 1 unter Abs. 5 vor, dass der Gesellschafter nach dem Ausscheiden aus der Gesellschaft monatliche Abschläge in Höhe von 10.000 EUR beanspruchen kann.

Es besteht damit eine unmittelbare finanzielle Absicherung des ausgeschiedenen Gesellschafters, die offensichtlich auch im Hinblick darauf geschlossen wurde, dass der ausscheidende Gesellschafter keine unmittelbare Neubeschäftigung findet.

(4) Außerdem gestattet es der Gesellschaftsvertrag der Antragsgegnerin, unmittelbar nach dem Ausscheiden aus der Gesellschaft ohne örtliche oder zeitliche Beschränkung eine neue Beschäftigung anzutreten. Es bleibt ihr auch ohne Einschränkung unbenommen, eine neue kassenärztliche Zulassung zu beantragen.

Ferner steht der Gesellschaftsvertrag einer erneuten Beschäftigung nicht im Weg. Der Vertrag enthält keinerlei Wettbewerbsverbot, sodass der ausgeschiedene Gesellschafter unmittelbar eine neue Beschäftigung antreten kann, und zwar ohne örtliche oder zeitliche Einschränkung.

(5) Schließlich war auf Seiten der Antragsteller zu berücksichtigen, dass die Antragsgegnerin ihre kassenärztliche Zulassung aufgrund des Eintritts in die Gemeinschaftspraxis erhalten hat. Denn unbestritten bestanden bereits vor dem Eintritt der Antragsgegnerin in die Gemeinschaftspraxis - genau wie heute - vier Vertragsarztsitze.

b) Seinem Inhalt nach ist der Anspruch darauf gerichtet, dass die Antragsgegnerin keine Handlung vornimmt, die eine Erhaltung des Vertragsarztsitzes in der Gesellschaft gefährdet. Hierzu gehören Handlungen in Form eines Antrags auf Verlegung ihres Vertragsarztsitzes nach § 24 Abs. 7 S. 1 Ärzte-​ZV stellt, eines Antrags auf Verzicht ihres Vertragssitzes um bei einem medizinischen Versorgungszentrum tätig zu werden. Der vertragliche Anspruch legt der Antragsgegnerin ferner die Pflicht auf, etwaige Anträge zurückzunehmen und von etwaigen Genehmigungen keinen Gebrauch zu machen (vgl. BGH, Urt. v. 22.7.2022 - II ZR 265/00 - juris, Rn 8).

2. Die Antragsteller haben auch einen Verfügungsgrund glaubhaft gemacht.

Ein Verfügungsgrund liegt vor, wenn die objektiv begründete Gefahr besteht, dass durch Veränderung des „status quo“ die Rechtsverwirklichung des Antragstellers mittels des im Hauptsacheprozess erlangten Urteils einschließlich dessen Vollstreckung vereitelt oder erschwert werden könnte.

Dies ist hier der Fall. Die Antragsgegnerin hat selbst vorgetragen, dass sie bei den Zulassungsgremien der Kassenärztliche Vereinigung Rheinland-​Pfalz einen Antrag auf Verzicht auf ihren Vertragsarztsitz zugunsten der Anstellung in einem Medizinischen Versorgungszentrum gestellt hat. Sie hat außerdem vorgetragen, dass sie hilfsweise die Verlegung ihres Vertragsarztsitzes zum Betrieb einer radiologischen Einzelpraxis ab dem 1.1.2023 an den Standort … beantragt hat. Beide Anträge sind Gegenstand der Sitzung der Zulassungsgremien am 30.11.2022. Ein Zuwarten bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache (im vorliegenden nach Durchführung eines schiedsgerichtlichen Verfahrens) hätte zur Folge, dass die Gemeinschaftspraxis einen ihrer vier Vertragsarztsitze verlöre.

Der Vertragsarztsitz der Antragsgegnerin könnte auch durch ein Hauptsacheverfahren nicht mehr „zurückgewonnen“ werden. Vielmehr müsste die Gemeinschaftspraxis hierzu ihrerseits eine neue kassenärztliche Zulassung erwirken, wobei aufgrund der bestehenden Beschränkungen nicht absehbar ist, ob und wann eine solche erfolgen wird. Hiermit wäre auf Seiten der Gemeinschaftspraxis die erforderliche finanzielle Planungssicherheit nicht mehr gewährleistet.

Soweit die Antragsgegnerin meint, eine Eilbedürfitgkeit sei deshalb zu verneinen, weil die Antragsteller aufgrund der Kündigung vom 21.3.2022 ausreichend Zeit gehabt hätten, ein Schiedsverfahren durchzuführen, teilt die Kammer diese Ansicht nicht. Denn durch die Kündigung der Antragsgegnerin hatten die Antragsteller nicht notwendigerweise Kenntnis davon, dass die Antragsgegnerin auch ihre kassenärztliche Zulassung aus der Gemeinschaftspraxis herauslösen möchte. Hierzu haben die Antragsteller glaubhaft gemacht, dass sie hiervon erst am 14.11.2022 durch telefonische Unterrichtung des Zulassungsausschusses erfahren haben.

Im Übrigen führt der hiesige Beschluss auch nicht zu einer Vorwegnahme der Hauptsache. Denn der Antragsgegnerin wird hierdurch nur vorläufig und nicht endgültig untersagt, ihren Vertragsarztsitz zu verlegen, bzw. auf diesen zu verzichten.

Rechtsanwalt und Fachanwalt für Medizinrecht Philip Christmann
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