Behandlung geriatrischer Patienten(30.11.2023) Die Betreuung von älteren Patienten in einem Pflegeheim kann eine Praxisbesonderheit der Arztpraxis darstellen; dies aber nur dann, wenn nachweisbar ein erhöhter Behandlungsbedarf besteht. Der Vertragsarzt muss die Tatsachen, die diese Praxisbesonderheit begründen, schon im Verfahren vor den Prüfgremien so genau wie möglich angeben und belegen. Es reicht nicht aus, wenn er dies erst im Sozialgerichtsverfahren tut (LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 15.11.2023 - L 5 KA 3043/21). 

Der Fall:

Eine allgemeinmedizinische Gemeinschaftspraxis (Klägerin) behandelte viele Fälle im Bereich Palliativmedizin, Geriatrie und Gerontopsychiatrie und Demenz. 

Die Prüfungsstelle stellte ein Überschreiten des Fachgruppendurchschnitts fest. Im Wirtschaftlichkeitsprüfungsverfahren wandte die Klägerin als Praxisbesonderheit ein, ihr Schwerpunkt liege im Bereich Palliativmedizin, Geriatrie und Gerontopsychiatrie, speziell Demenz und sie habe hier ein integratives Therapieangebot aufgebaut. Ein Vergleich der in diesem Bereich verordneten Medikamente mit der Vergleichsgruppe würde sicher ergeben, dass die Praxis deutlich über dem Durchschnitt liege, so die Klägerin.

Nach weiteren Ermittlungen und Beratungen der Prüfgremien setzte diese schließlich einen Regress von rund 30.000 € fest. Dagegen legte die Klägerin erfolglos Widerspruch ein. Auch eine Klage gegen den Regressbescheid war erfolglos. Die Klägerin legte deshalb nun Berufung zum Landessozialgericht ein.

Die Entscheidung:

Das LSG wies die Berufung aber als unbegründet zurück.

Die Klägerin habe die von ihr behaupteten Praxisbeonderheiten nicht früh genug und auch nicht umfassend genug dargelegt und bewiesen. Dazu führt das Landessozialgericht aus:

Praxisbesonderheiten sind anzuerkennen, wenn ein spezifischer, vom Durchschnitt der Vergleichsgruppe signifikant abweichender Behandlungsbedarf des Patientenklientels und die hierdurch hervorgerufenen Mehrkosten nachgewiesen werden. Die Abrechnung eines (bloßen) „Mehr“ an fachgruppentypischen Leistungen begründet keine Praxisbesonderheit. 

In der vertragsarztrechtlichen Wirtschaftlichkeitsprüfung obliegt die Darlegungs- und Feststellungslast für besondere, einen höheren Behandlungsaufwand rechtfertigende atypische Umstände, wie Praxisbesonderheiten und kompensierende Einsparungen, dem Vertragsarzt; diese Darlegungslast geht über die allgemeinen Mitwirkungspflichten nach § 21 Abs. 2 SGB X hinaus. Grundsätzlich ist es daher Angelegenheit des Vertragsarztes, die für ihn günstigen Tatsachen so genau wie möglich anzugeben und zu belegen, vor allem, wenn sie allein ihm bekannt sind oder nur durch seine Mithilfe aufgeklärt werden können. Der Vertragsarzt ist gehalten, solche Umstände im Prüfungsverfahren, also spätestens gegenüber dem Beschwerdeausschuss und nicht erst im nachfolgenden Gerichtsverfahren, geltend zu machen, die sich aus der Atypik seiner Praxis ergeben, aus seiner Sicht auf der Hand liegen und den Prüfgremien nicht ohne Weiteres an Hand der Verordnungsdaten und der Honorarabrechnung bekannt sind oder sein müssen. Die Darlegungen müssen substantiiert sein und spezielle Strukturen der Praxis, aus denen Praxisbesonderheiten folgen können, aufzeigen. Die bloße Auflistung von Behandlungsfällen mit Diagnosen und Verordnungsdaten genügt nicht. Notwendig ist grundsätzlich, dass der Arzt seine Patientenschaft und deren Erkrankungen systematisiert, etwa schwerpunktmäßig behandelte Erkrankungen aufzählt und mitteilt, welcher Prozentsatz der Patienten ihnen jeweils zuzuordnen ist und welcher Aufwand an Behandlung bzw. Arzneimitteln durchschnittlich für die Therapie einer solchen Erkrankung erforderlich ist. Überspannte Anforderungen dürfen aber nicht gestellt werden. Die Prüfgremien müssen die Darlegungen des Arztes aufgreifen und, soweit veranlasst, zum Gegenstand weiterer Ermittlungen von Amts wegen machen und dabei - im Wechselspiel von Amtsermittlung und (gesteigerter) Mitwirkungsobliegenheit des Vertragsarztes - auf ggf. notwendige Konkretisierungen hinwirken.

Praxisanmerkung:

Die eigentliche Arbeit des Arztes zur Darlegung seiner Praxisbesonderheiten muss also so früh wie möglich erfolgen und sie muss mittels umfassender statistischer Datenauswertungen auch in die Tiefe gehen. Wenn möglich, müssen Belege herausgesucht und den Prüfgremien vorgelegt werden.

Die praktische Erfahrung zeigt, dass dieser Prozess sehr arbeitsaufwändig ist und dass die von einer Wirtschaftlichkeitsprüfung betroffenen Vertragsärzte diese Arbeit, die neben der umfangreichen Praxistätigkeit erledigt werden muss, oft scheuen. Die vorliegende Entscheidung, die sich in eine ganze Reihe von gleichlautenden Entscheidungen zu diesem Thema einfügt, belegt aber erneut, dass diese Arbeit unbedingt nötig ist.

Der Rechtsanwalt kann den Vertragarzt dabei zwar unterstützen, die Hauptarbeit liegt aber beim Vertragsarzt. Als hilfreich hat es sich erwiesen, in solchen Fällen spezialisierte Datenauswerter einzusetzen, die mit Hilfe der Daten aus der Praxissoftware des Vertragsarztes umfassende und ergiebige Analysen erstellen, die dem Vertragsarzt dann im Wirtschaftlichkeitsprüfungsverfahren helfen.

Rechtsanwalt und Fachanwalt für Medizinrecht Philip Christmann
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