Augenärztin in Privatklinik(24.1.2024) Eine Augenärztin, die mit einer 35%igen Honorarbeteiligung in einer Privatpraxis tätig ist und dort kein unternehmerisches Verlustrisiko trägt, ist abhängig beschäftigt (Bundessozialgericht, Urteil vom 12.12.2023 - B 12 R 10/21 R).

Der Fall:  

Eine Augenärztin war mit einem „Servicevertrag“ seit 2014 bei einer Privatpraxis tätig. Die Abrechnung gegenüber dem Finanzamt oblag ihr selbst. Die Ärztin verpflichtete sich zu einem einheitlichen Auftreten nach außen unter Verwendung der von der Privatpraxis entwickelten Formulare. Für die Nutzung der Praxisinfrastruktur trat die Augenärztin 65% ihrer Einnahmen an die Privatpraxis ab. Die Praxis rechnete gegenüber den von der Ärztin behandelten Patienten ab. Hinsichtlich der Arbeitszeit wurden der Augenärztin erhebliche Freiheiten eingeräumt. Die Ärztin haftete selbst gegenüber ihren Patienten. 

Die deutsche Rentenversicherung Bund stufte die Tätigkeit der Augenärztin als abhängige Beschäftigung ein. 

Dagegen klagte die Privatpraxis.

Sozialgericht Bremen (27.3.2019 - S 31 R 107/16) und Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen (27.5.2021 – L 12 BA 7/19) sahen dies anders als die Rentenversicherung - die Augenärztin übernehme mit der Zahlung von 65% Ihrer Einnahmen an die Praxis ein Unternehmerrisiko, sei nicht weisungsgebunden und nicht in den Praxisbetrieb eingegliedert, folglich sei sie selbständig tätig und unterliege damit nicht der Sozialversicherungspflicht. 

Die Entscheidung:

Das Bundessozialgericht hob die Entscheidung des Landessozialgerichts auf und stellte fest, dass die Augenärztin abhängig beschäftig war.

Maßgeblich waren dafür aus Sicht des Gerichts folgende Umstände des Einzelfalls:

  • die Augenärztin trug kein Verlustrisiko - sie musste nur einen Teil (65%) ihrer Einkünfte abgeben, d.h. anders als bei einem echten Unternehmer entstanden ihr Kosten nicht auch dann, wenn keine oder nur ungenügende Einnahmen erzielt werden.
  • die Augenärztin war auch in die Betriebsabläufe der Praxis der Klägerin eingegliedert - Sie war auf die Nutzung vorhandener räumlicher, personeller und sächlicher Infrastruktur angewiesen, ohne bei deren Auswahl, Kosten, Wartung oder Qualifikation eine Mitsprachemöglichkeit zu haben. Die Ärztin arbeitete mit dem Praxispersonal arbeitsteilig zusammen, konnte ihm nur fachliche Weisung erteilen und hatte keine Arbeitgeberfunktion. Sie war an die von der Praxis vorgegebenen Öffnungszeiten gebunden. Praxis und Ärztin traten zudem durch die Verwendung von der Praxis entwickelter Formulare gegenüber allen Patienten auch nach außen einheitlich auf. Das gesamte Patienten-Management erbrachte die Praxis, die Ärztin selbst vergab keine Termine und sagte sie auch nicht ab. Das Qualitätsmanagement wurde ebenfalls durch die Praxis sichergestellt und unterlag nur deren Anforderungen.

Hintergrund:

Ob ein Arzt in einer Praxis oder Klinik selbständig tätig ist (und damit nicht der Sozialversicherungspflicht unterliegt) oder ob er abhängig beschäftigt ist, regelt § 7 Abs. 1 SGB V: Beschäftigung ist danach die nichtselbständige Arbeit, insbesondere in einem Arbeitsverhältnis. Anhaltspunkte für eine Beschäftigung sind eine Tätigkeit nach Weisungen und eine Eingliederung in die Arbeitsorganisation des Weisungsgebers. 

Ob eine sozialversicherungspflichtige abhängige Beschäftigung vorliegt, kann auf Antrag eines Beteiligten (Arbeitnehmer, Arbeitgeber oder z.B. Krankenversicherung) geprüft werden (sog. Statusfeststellungsverfahren). Zu der Frage, ob Ärzte frei oder angestellt beschäftigt sind, gibt es eine umfassende Rechtsprechung, die jeweils auf den Einzelfall und die dort bestehenden tatsächlichen Verhältnisse abstellt. Was Arzt und Praxis vertraglich geregelt haben und wie sie die Tätigkeit bezeichnen, ist dagegen von geringer Bedeutung.  

Praxisanmerkung: 

Wie das Urteil zeigt, muss ein Arzt große Freiheiten genießen, damit er in einer Praxis oder Klinik selbständig beschäftigt sein kann: Er muß über seine Arbeitszeit frei verfügen können. Er muß bei der Auswahl des Personals mitreden können und auf das Wie ihrer Arbeit Einfluß nehmen können. Auch in der Art und Weise seiner Tätigkeit muss er völlig frei sein. Dies ist mit Dienstplänen und der Personalplanung von Praxen oder Kliniken mit mehreren Ärzten und medizinischen Helfern aber praktisch nur in Ausnahmefällen umsetzbar. Der Arzt muss dann auch als sein eigener Herr nach außen auftreten und selbst viel Verantwortung übernehmen z.B. in der Abrechnung und Verwaltung seiner Tätigkeit. Zudem muss der Arzt ein wirkliches Verlustrisiko tragen, d.h. er muss Geld verlieren können zum Beispiel indem er laufende Kosten trägt und Investitionen in die Praxisinfrastruktur tätigt.

Da diese umfangreichen Anforderungen in der Realität einer medizinischen Organisation, werden Ärzte, die in Kliniken oder Arztpraxen tätig sind, von der Rechtsprechung regelmäßig als abhängig beschäftigt angesehen.

Der Arbeitgeber muss Sozial- und Rentenversicherungsbeiträge für den angestellten Arzt bezahlen, während ein freier Arzt diese Beiträge selbst aufbringen muss. Für Ärzte ist es daher oft ratsam, einen angebotenen Vertrag als freier Mitarbeiter abzulehnen und auf einer Anstellung zu bestehen. 

Rechtsanwalt und Fachanwalt für Medizinrecht Philip Christmann
Vertretung und Beratung im Medizinrecht und Arztrecht
Witzlebenstraße 3 - 14057 Berlin - Tel: (030) 536 47 749
E-mail: mail@christmann-law.de