(2.1.2024) Ein Zulassungsausschuss darf bei der Auswahl des Bewerbers im Rahmen einer vertragspsychotherapeutischen Praxisnachbesetzung denjenigen Bewerber bevorzugen, der das gleiche Richtlinienverfahren ausübt wie der Praxisabgeber (Sozialgericht Marburg, Beschluss vom 11.12.2023 - S 17 KA 306/23 ER). Wer die Nachbesetzung seiner psychotherapeutischen Praxis vorbereitet, sollte die Entscheidung bei seinen Planungen berücksichtigen.
Der Fall:
Eine Kinder- und Jugendlichen-Psychotherapeutin war in eigener Praxis tätig und zwar im Richtlinienverfahren der tiefenpsychologisch-fundierten Psychotherapie. Anfang 2023 beantragte sie die Nachbesetzung ihres Vertragspsychotherapeutensitzes. Auf diesen Sitz der Praxisabgeberin bewarben sich
- die Antragstellerin (die frühere langjährige Ausbildungsassistentin der Praxisabgeberin, die ebenfalls im Richtlinienverfahren der Psychotherapie tätig war)
- ein weiterer Psychotherapeut (der verhaltenstherapeutisch tätig war).
Ausbildungsassistentin und Praxisabgeberin konnten sich bezüglich Praxisübernahme und Mietvertrag einigen. Dagegen gab es (noch) keine solche Einigung mit dem sich ebenfalls bewerbenden Psychotherapeuten.
Der Zulassungsausschuss gab der ehemaligen Ausbildungsassistentin den Zuschlag und übertrug ihr den Vertragspsychotherapeutensitz. Zur Begründung führte er aus, dass
- die Antragstellerin das gleiche Richtlinienverfahren ausübe wie die Praxisabgeberin
- und daher das Gepräge der Praxis erhalten werden könne
- und so auch die Kontinuität der Versorgung sicher gestellt werde,
- die Praxis am Standort fortgeführt werden könne und
- die Möglichkeit zur Übernahme der Bestandspatienten bestünde und
- die Ausbildungsassistentin die Wunschnachfolgerin der Praxisabgeberin ist, sowie
- der Praxisübernahmevertrag abgeschlossen ist
Dagegen legte der unterlegene Psychotherapeut Widerspruch ein. Der Widerspruch hat aufschiebende Wirkung, so dass die Praxisübergabe bis zur Entscheidung des Berufungsausschusses auf Eis liegt und die Patienten derzeit nicht weiter behandelt werden können.
Daher beantragte die frühere Ausbildungsassistentin, das Sozialgericht Marburg möge einstweilig die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs des unterlegenen Psychotherapeuten aussetzen. Denn die Entscheidung des Zulassungsausschusses sei offensichtlich rechtmäßig und es bestehe Eilbedarf, weil die Behandlung der Patienten auf längere Zeit unterbrochen werde.
Die Entscheidung:
Das Sozialgericht beschäftigte sich im Wesentlichen mit der Frage, ob das von dem Praxisabgeber ausgeübte Richtlinienverfahren ein zulässiger Abwägungsgrund im Nachbesetzungsverfahren eines vertragspsychotherapeutischen Sitzes eines ist.
Dabei arbeitete das Gericht heraus, dass die Auswahlkriterien für die Nachbesetzung aus § 103 Abs. 4 Satz 5 SGB V (z.B. berufliche Eignung der Bewerber, Dauer der bisherigen ärztlichen Tätigkeit der Bewerber) im Ermessen der Zulassungsgremien stehen und dass dieses Ermessen nur beschränkt gerichtlich überprüft werden kann. Auch gebe es keine Rangfolge unter den verschiedenen Auswahlkriterien.
Danach wägte das Gericht die einzelnen Eigenschaften der konkurrierenden Bewerber gegeneinander ab. Dabei beschäftigte sich das Gericht auch mit der Frage, ob die vom Zulassungsausschuss getroffene Differenzierung nach Therapierichtungen rechtsfehlerhaft ist. Das Gericht kam zu dem Schluss, dass es zulässig ist, eine Bewerberin zu bevorzugen, die der gleichen Therapierichtung angehört, wie die Praxisabgeberin.
Denn Psychotherapeuten könnten Behandlungssitzungen nach anderen Richtlinienverfahren, für die Sie nicht zugelassen sind, nicht erbringen. Zwar finde auch in diesem Bereich eine Beplanung nach Therapierichtungen nicht statt. Dies bedeute jedoch im Umkehrschluss nicht, dass für eine Auswahlentscheidung im Nachbesetzungsverfahren nicht der Versorgungskontinuität insoweit Rechnung getragen werden dürfe, dass die Identität des Richtlinienverfahrens bei Abgeber*in und Nachfolger*in ein gewichtiges Argument für die berufliche Eignung und damit für die Nachbesetzungsentscheidung sein könne. In der Gesamtabwägung erscheine nach summarischer Prüfung im Hinblick auf den nicht gravierenden Unterschied bei Wartezeit, Approbationsalter und Berufserfahrung die vom Zulassungsausschuss vorgenommene Abwägung nicht als ermessensfehlerhaft.
Praxisanmerkung:
Die Kontinuität der Versorgung der Patienten ist - auch wenn es keine Rangfolge der Abwägungskriterien gibt - erfahrungsgemäß ein Kriterium, das für die Zulassungsgremien ein hohes Gewicht hat. Und tatsächlich können Patienten, die bisher z.B. tiefenpsychologisch behandelt wurden, nicht verhaltenstherapeutisch weiterbehandelt werden, da es sich dabei um verschiedene therapeutische Konzepte handelt. Daher ist es gut vertretbar, wenn die Zulassungsgremien die Identität der Behandlungsverfahren berücksichtigen. Bisher gab es dazu keine gerichtlichen Entscheidungen. Bewerber, die ein anderes Behandlungsverfahren nutzen als der Praxisabgeber, müssen daher mit (begründetem) Widerstand der Zulassungsgremien gegen ihre Bewerbung rechnen.