(2.2.2024) Tritt während einer Anästhesie unter maschineller Beatmung eine Sauerstoffunterversorgung der Patientin ein (Blutsauerstoffgehalt von weniger als 40%), so hat der Anästhesist die Patientin von der maschinellen Beatmung zu trennen und ein anderes funktionierendes Beatmungsgerät einzusetzen oder erforderlichenfalls eine Mund-zu-Tubus-Beatmung durchzuführen. Tut er dies nicht und verläßt sich trotz eingetretener Hypoxie-Anzeichen auf die Richtigkeit der Angaben des Beatmungsgerätes, die eine ausreichende Sauerstoffsättigung anzeigen, so haftet er der Patientin, die infolgedessen einen Hirnschaden erlitten hat, auf Schadensersatz und Schmerzensgeld (Oberlandesgericht München, Endurteil vom 25.01.2024 – 24 U 2706/19).
Denn wenn das Beantmungsgerät eine 100%ige Sauerstoffversorgung anzeigt, eine Sauerstoffversorgung (Oxygenisierung) der Patientin aber gleichwohl nicht eintritt und die Patientin eine Blaufärbung (Zyanose) zeigt, so hat der Anästhesist in Betracht zu ziehen, dass dieses Beatmungsgerät nicht korrekt funktioniert und einen Gerätewechsel zu erwägen und dann erforderlichenfalls durchzuführen.
Verlässt sich der Anästhesist bei einer zyanotisch werdenden Patienten zuerst auf die Geräteanzeigen, die eine ordnungsgemäße Sauerstoffversorgung anzeigen, und geht daher davon aus, dass das Beatmungsgerät korrekt funktioniert, so stellt der unterlassene Wechsel des Beatmungsgerätes aber keinen groben Behandlungsfehler dar. Vielmehr handelt es sich dabei um einen (einfachen) Behandlungsfehler. Gleichwohl sah das Gericht hier aber nach sachverständiger Beratung den Fehler als kausal für den schweren Hirnschaden der Patientin an.
Ein Anästhesie – Protokoll, das der Anästhesist erst Tage nach der Behandlung verfasst, ist kein Teil der für die Beweiswürdigung besonders relevanten Behandlungsdokumentation, sondern vielmehr nur ein Teil seines Verteidigungsvorbringens.
Führt der Anästhesist nach der Behandlung mehrere für die Behandlung selbst nicht mehr erforderliche Handgriffe an dem Beatmungsgerät durch, die zu einer Störungsbehebung führen können (mögen diese Handgriffe auch möglicherweise in guter Absicht das Ziel gehabt haben, den Gerätefehler zu erkennen oder zu beheben), so macht der Anästhesist damit die Beweislage unklar. Denn dann lässt sich nicht mehr klären, ob das Gerät während der Behandlung einen mechanischen Fehler hatte oder nicht. Diese Verunklarung der Beweislage gereicht dem Anästhesisten zum Nachteil: nun trägt der Anästhesist die Beweislast dafür, dass der Hirnschaden der Patientin auf einer anderen Ursache beruhte, als auf einem Gasgemisch mit einem gerätefehlerhaft zu geringen Sauerstoffanteil.
Praxisanmerkung:
Die Anzeige von Meßgeräten ist nicht alleinentscheidend für den Arzt. Weist das klinische Bild des Patienten darauf hin, dass die Geräteanzeige fehlerhaft sein könnte, ist der Arzt gut beraten, wenn er weitere Prüfungen am Patienten durchführt und sich nicht mehr auf die Geräteanzeige verlässt.
Protokolle sollte der Arzt zeitnah verfassen, andernfalls wird das Protokoll nicht mehr als Teil der Behandlungsdokumentation angesehen und der Arzt kann dadurch Beweisnachteile erleiden.
Kommt es nach einer Anästhesie zu einem schwerwiegenden Vorfall (wie hier einem hypoxischen Hirnschaden der Patientin) und besteht der Verdacht, dass ein bei der Behandlung eingesetztes technisches Gerät fehlerhaft gewesen sein könnte, sollte der Arzt das Gerät sicher stellen, aus dem Praxisbetrieb nehmen und vor allem darauf verzichten, das Gerät selbst wieder zu kontrollieren oder gar zu reparieren - andernfalls kann er nachher möglicherweise den Gerätefehler nicht mehr nachweisen und sich so entlasten.